Es ist immer großartig für mich, am Anfang von etwas Aufregendem zu stehen. Aktuell stehen die tolle Charlotte Theile und ich am Beginn unserer Themenreihe bei Spiegel Online mit dem catchy Titel „Wann ist es bei dir so weit?“. Der Titel lässt erahnen, dass es um den Kinderwunsch geht. Bzw. um die Suche nach ihm oder seiner Erfüllung.
Mein erster Text für diese Reihe packt alle meine Fragen auf den Tisch. Fragen, die sich im Kern um ein und dieselbe Ungewissheit drehen: Wird meine persönliche Zukunft Mutterschaft enthalten oder nicht? Welche Alternativen kann ich im Vorhinein abtasten? Wie kann ich an die Infos herankommen, die mich interessieren und die mir eine Entscheidung ermöglichen? Aber ich will nicht zu viel spoilern.
Ich bin ohne meine Mutter groß geworden, sie starb noch vor meinem dritten Geburtstag. Als ich Kind war, bestand meine Familie aus meinem Vater und einer Großmutter. Eine Konstellation, die heute noch fast genauso selten vorkommt wie 1996.
Vielleicht ist es mir deshalb bis heute nicht klar, ob ich selbst einmal Mutter werden will. Vielleicht ist die Kinderfrage deswegen für mich wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei: War meine Unentschlossenheit zuerst da, ob ich eines Tages mal ein Kind aus mir schlüpfen lassen sollte oder die Fragen der Anderen, wann es denn bei mir so weit sei?
Die Nachfragen von Nachbar*innen, ehemaligen Mitschüler*innen, Leuten, denen meine Familienplanung egal sein kann, setzen bei mir immer wieder dieselbe innere Debatte in Gang. Mittlerweile bin ich in einem Alter angekommen, in dem die ungebetenen Kinderwunsch-Blitzinterviews gehäuft auftreten. Eine gute Antwort habe ich noch nicht.
Ich bin 29 Jahre alt und führe ein Leben, das andere als “frei” bezeichnen: Ich genieße es, trotz einer jahrelangen, stabilen Partnerschaft allein und finanziell unabhängig zu leben. Genauso wie die Freiheit, mein Liebesleben offen und konsensuell mit mehr als einem Partner gleichzeitig zu gestalten.
Ich bin durch und durch Genussmensch. Deshalb liegt es nahe, dass ich mich theoretisch wie praktisch und schriftlich (auf meinem eigenen und fremden Blogs) gern mit Sexualität beschäftige. Auch wenn es in diesem weiten Feld bisher kaum Tabus gab, denen ich mich nicht wenigstens intellektuell nähern wollte, habe ich für die längste Zeit einen riesigen Aspekt von Sex ignoriert: Die Fortpflanzung.
Kinder ziehen meine Aufmerksamkeit nicht auf sich. Ich fühle sogar eine gewisse Abneigung gegenüber dem Gedanken, Babys zu halten. Kinderkriegen fühlt sich für mich an wie ein abstraktes Zukunftskonzept, eine Möglichkeit von vielen. Aber keine Möglichkeit, die sich interessanter oder erstrebenswerter anfühlt als andere.
Eine Frau fragt sich nicht, ob sie einen Kinderwunsch hat. Oder?
Dabei ist Elternschaft, besonders Mutterschaft, als Lebenszweck um mich herum medial sehr präsent. Auf Netflix, in Literatur, auf Instagram nehme ich größtenteils ein einheitliches Bild wahr: Eine Frau fragt sich nicht, ob sie einen Kinderwunsch hat. Stattdessen wird Mutterschaft als Sinn und Ziel vorausgesetzt – #couplegoals. Auch ungeplante Schwangerschaften werden selten als grundlegend ungewollte Zustände inszeniert, sondern als unerwartet früher Schicksalswink.
Glaubt man diesem Narrativ, gibt es für Frauen keinen anderen erfüllenden Lebensinhalt als Mutterschaft. Also wenn sie wirklich glücklich werden wollen und nicht nur so als Girlboss. Mutter zu werden, gehört zu ihrem Leben dazu. Außer sie können durch tragische äußere Umstände keine eigenen Kinder bekommen. Weswegen sie ihr Leben ohne Kinder aber trotzdem niemals wirklich akzeptieren oder – bewahre – genießen können. Stattdessen werden sie ewig Kinderwagen hinterher schmachten.
Glaubenssätze dieser Art haben sich in meinem bisherigen Leben zunächst unbemerkt aufgestaut und eine Erwartungswand gebildet, von der ich noch nicht weiß, ob sie mir den Weg weist oder mich einengt.
Wieso weiß ich so wenig über Mutterschaft?
Dann bekam ich zu meiner Überraschung vor drei Jahren ein Patenkind. Und mit ihm reifte der Verdacht, dass das, was ich für meine Allgemeinbildung über Kinderwunsch, Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft hielt, mehr Leerstellen als Wissen oder gar Wahrheiten aufwies.
Meine Skepsis gegenüber den Eindrücken, die ich bisher erhalten hatte, war geboren. Ebenso wie der Ehrgeiz, diese Leerstellen als Lehrstellen zu betrachten und mich aktiv zu informieren. Ich bekam das Gefühl, dass ich andernfalls gar keine fundierte Entscheidung für oder gegen meine eigene Mutterrolle treffen könnte.
Wieso weiß ich so wenig über Mutterschaft? Habe ich bisher nicht zugelassen, dass mich realistische Informationen erreichen? Oder hat diese ganze Romantisierung vom Muttersein System?
Im vergangenen Jahr habe ich für meinen Blog (cleographie.com) zehn Interviews mit Müttern geführt. Um echte und persönliche Antworten auf meine teils naiven Fragen zu Themen wie Schwangerschaft, Geburt und die Realität der Mutterrolle zu erhalten.
Wie viele Bezugspersonen braucht ein Kind?
Die Antworten der Frauen waren so individuell und vielfältig, dass sich mein Fragenkarussel erst recht in Gang setzte: Fehlt mir als “motherless child” die Intuition, Mutter zu sein? Bin ich vollkommen orientierungslos und dadurch stärker beeinflussbar durch gesellschaftliche Erwartungen an Mütter? Oder im Gegenteil immun, da mir bereits alternative Elternschaftkonzepte und Patchwork-Arrangements vorgelebt wurden?
Könnte ich gemeinsam mit weiteren Partner*innen Kinder großziehen, die biologisch gesehen nicht meine eigenen sind? Ist es am Ende durch meine polyamore Beziehungserfahrung leichter, eine stabile Co-Parenting Situation mit drei oder vier Eltern zu etablieren? Wie viele Bezugspersonen braucht ein Kind? Und wann wird die Verteilung von Verantwortung zur größeren Aufgabe als die Erziehung selbst?
Und last but not least: Werde ich es bereuen, existenzielle Lebenserfahrungen zu verpassen, wenn ich mich gegen Kinder entscheide? Welches Neugier-Skepsis-Verhältnis reicht aus, um sich als Kinderwunsch zu qualifizieren? Und was, wenn ich wirklich Mutter werde – und meine Mutterschaft bereue?
Auf all diese Fragen möchte ich in den kommenden Wochen und Monaten Antworten finden. Allein und mithilfe der Perspektiven anderer Menschen – unter anderem von Charlotte, die gerade nach langer Kinderwunsch-Behandlung schwanger geworden ist.
Stichwort “schwanger werden”. Im nächsten Text geht es um Sex und um die Frage, was passiert, wenn Fortpflanzung dabei ungewollt eine Rolle spielt.