Weiter geht’s mit dem zweiten Teil des Nicht-Monogamie FAQ und meinen persönlichen Antworten auf acht mir häufig gestellte Fragen. Die ersten fünf Fragen, Antworten und weiterführende Links finden sich übrigens im ersten Teil von Beziehungsstatus ungelöst.
Here we go!
6. Wirst du denn gar nicht eifersüchtig? Und stört es dich nicht, wenn dein Partner nicht eifersüchtig wird? Wie viel erzählt ihr euch gegenseitig?
Zu sagen, wir würden uns absolut alles und jedes Detail erzählen, wäre wahrscheinlich nicht wahr. Manchmal passt es und wir haben Lust uns die Zeit zu nehmen und uns gegenseitig von Erlebnissen mit anderen Leuten haarklein zu berichten. Meistens räumen wir den Details nicht diesen Raum ein.
Trotzdem leben wir definitiv nicht nach dem Don’t Ask, Don’t Tell Prinzip, sondern erzählen uns, was sich richtig und wichtig anfühlt. Viele Fragen dürfen gestellt werden und keine müssen. Akzeptanz für die Privatsphäre meines Partners in Bezug auf seine Affären zu lernen, war ein wichtiger Schritt für mich.
Wenn ich mich sicher und gefestigt fühle, brauche ich auch keine Auskünfte. Keine Versuche durch Wissen die Kontrolle zu behalten. Je mehr ich das Bedürfnis verspüre zu wissen, was vor sich ging oder was die gedatete Person ausmacht, desto wahrscheinlicher ist es, dass ich mich gerade unsicher fühle. Und aus Unsicherheit und Unzufriedenheit sprießt in mir die Eifersucht.
Also ja, ich werde eifersüchtig und das muss sich nicht nur auf meinen Partner beziehen, sondern kann sich auch auf meine Romanzen und ihre weiteren Dates ausweiten. Zweiteres passiert sogar viel häufiger. Wundert mich auch gar nicht so sehr. Ich kenne die Leute in der Regel ja auch nicht so gut wie meinen langjährigen Partner, führe keine committete Partnerschaft mit ihnen und habe noch keine oder nur eine sehr dünne Vertrauensbasis.
Darüber hinaus sind die meisten Menschen, die ich date, monogame Singles, die sich häufig auch auf Partner*innensuche befinden. Die Wahrscheinlichkeit, dass ich sehr schnell wieder „abmoderiert“ werde, wenn ein vielversprechendes anderes Date ins Haus steht, ist super hoch und verunsichert mich mehr.
Eifersucht gegenüber meinem Partner kommt also seltener vor, kann aber umso heftiger ausfallen. Wie ich bereits feststellen durfte, schützt mich auch eine jahrelange Karriere des wenig Eifersucht Empfindens nicht davor, plötzlich unerwartet stark eifersüchtig zu sein. Hätte ich in diesen Fällen allerdings besser darauf geachtet, wie es mir zu dem Zeitpunkt ging und wie viel Halt ich mir tatsächlich von meinem Partner gewünscht hätte, wären diese wirklich unschön krassen Gefühlslagen durch vorherige Kommunikation vielleicht etwas abgemildert oder sogar verhindert worden.
Insgesamt hat mich die gelebte Nicht-Monogamie dazu gezwungen mich mit meiner Eifersucht und ihren zugrundeliegenden Ängsten auseinanderzusetzen. Und das hat geholfen, Eifersuchtsgefühle entweder zu verhindern, abzumildern oder gut auszuhalten.
Letztlich habe ich sie sogar als Zeichen verstehen gelernt, dass ich mich wieder besser um mich selbst kümmern muss. Am Ende erreicht man bei allen Überlegungen zu diesem Gefühl immer einen Punkt: Sich selbst. Dort entsteht sie, dort schwelt oder wütet sie und dort gilt es sie in den Griff zu kriegen. Außer natürlich man möchte sie gerne zum Problem des jeweiligen Partners oder der jeweiligen Partnerin machen. Passiert (mir) häufig, ist der Weg des geringsten Widerstands und meistens auch der größeren Katastrophe.
Dass mein Partner nicht oder nur sehr selten eifersüchtig ist, stört mich tatsächlich gar nicht. Ich liebe ihn sogar dafür. Denn ich interpretiere seine geringe oder fehlende Eifersucht als tiefes Vertrauen in unsere Bindung, als das Ausbleiben von Neid und Missgunst und stattdessen als eine gewisse Mitfreude. Und vor allem als Zeichen eines gesunden Selbstvertrauens und bewahrter Unabhängigkeit. Und wer würde das einer geliebten Person nicht wünschen? Auf mich wirkt das jedenfalls äußert rückversichernd und attraktiv.
7. Vergleichst du deinen Partner und den Sex mit ihm nicht mit den anderen Menschen, auf die du dich einlässt?
Klar, natürlich mache ich das. Und mein Partner macht das auch. Ich denke nicht, dass man das vermeiden kann. Ich denke auch nicht, dass ich Spaß daran hätte, auch mit anderen Leuten intim zu werden, wenn ich keine Vergleiche ziehen würde. Denn DASS ich mich auf etwas anderes als meinen Partner einlasse, ist letztlich, was mich daran reizt. Um wertschätzen zu können, dass ich eine neue Erfahrung mache, ist der Vergleich somit essentiell. Und unpopular opinion: Vergleichen ist nichts Schlechtes.
Vermutlich ist das Bedrohliche hinter dem Begriff „vergleichen“ der Wettkampfgedanke, der im zweiten Schritt direkt mitgedacht wird. Denn im Wettkampf „schlechter“ abzuschneiden, bedeutet in der Regel dadurch Nachteile zu haben. Das Beruhigende an einer offenen Beziehung ist, dass wir keinen Wettkampf stattfinden lassen, weil die Beziehung mit der einen Person den Sex mit der anderen nicht ausschließt. Und ja, natürlich verhindert diese Vergleichsmöglichkeit nicht, dass uns Menschen begegnen, die wir als „bessere Partner*innen“ betrachten könnten. Aber diese Gefahr besteht in jeglicher Beziehungsform, egal ob offen, poly oder monogam.
Das Risiko wird durch den ausgelebten Vergleich aber auch nicht erhöht. Meine Erfahrung ist bisher, dass die praktische Möglichkeit den Vergleich zu ziehen, „das grünere Gras auf der anderen Seite“ häufig relativiert und entglorifiziert. Während es in einer Situation, in der es mir nur möglich ist zu fantasieren, nicht zu einer Entglorifizierung, sondern eher zum Gegenteil kommt.
Der Vergleich zeigt mir, wer ich bin und was ich an meiner Beziehung habe. Und festzustellen, was ich in meiner Beziehung vielleicht nicht habe, kann eine Chance sein, Dinge zum Positiven zu verändern. Oder ich kann lernen, dass es normal und in Ordnung ist, mit einem einzigen Partner nicht alles „zu haben“, was ich gerne hätte.
8. Wie steht es um Regeln in eurer Beziehung? Wo liegt für dich eine unverhandelbare Grenze?
Ja, Regeln haben wir…mal aufgestellt. Wir haben sie allerdings Absprachen genannt, um zu signalisieren, dass sie keine unumstößlichen Gebote sind. Und daher sind heute auch nicht mehr sehr viele übrig.
Ich weiß tatsächlich nicht mehr, wie viele Absprachen wir zu Beginn der offenen Beziehung getroffen hatten, aber es sind definitiv mehr gewesen, als wir heute befolgen. Ich glaube, wir haben im Sinne von learning by doing Stück für Stück von Absprachen abgesehen, die sich als doch nicht umsetzbar oder als viel unwichtiger als gedacht herausgestellt haben.
Noch heute halten wir einen verantwortungsbewussten Umgang mit Verhütung für sehr wichtig. Zudem ist unsere gemeinsame Wohnung immer noch ein Rückzugsort, der nur uns als Paar für Intimität und Sex zur Verfügung steht. Auch von Affären innerhalb unserer Freundeskreise sehen wir ab. Und ab jetzt wird es auch schon schwieriger… Falls wir noch mehr aktive Absprachen haben oder befolgen, fallen sie mir gerade nicht ein und eine dementsprechend große Rolle spielen sie auch.
Wir haben von Beginn an nicht versucht, uns mit unerprobten Abmachungen davon abzuhalten, uns in andere Menschen zu verlieben, uns zu zwingen uns immer alles oder überhaupt gar nichts zu erzählen oder unsere zusätzlichen intimen Kontakte auf eine feste Anzahl oder Frequenz zu beschränken. Die gefühlte Sicherheit, die solche Regeln uns eventuell hätten geben sollen, erreichten wir letztlich viel effektiver durch Praxis und Routine. Eine tatsächliche Sicherheit halte ich persönlich in der Liebe weder für erreichbar noch für erstrebenswert. No risk, no fun, no eroticism. Frag Esther Perel!
Eine unverhandelbare Grenze stellen Konsens und Freiwilligkeit für mich dar. Sollten wir einmal einen Punkt erreichen, an dem eine:r von uns nicht mehr aus freien Stücken an unseren Abmachungen festhält, wird die gesamte Geschichte wahrscheinlich scheitern. Zwischenmenschliche Beziehungen – egal in welcher Form – sollten auf Freiwilligkeit beruhen und gleichberechtigt gelebt werden. Bewusst Doppelstandards in einer Beziehung zu etablieren oder eine*n Beteiligte*n in irgendeiner Form zu etwas zu zwingen, verfehlt mein Verständnis von Partnerschaft und überschreitet allzu leicht die Grenze zum Missbrauch. Daher sollte diese Grenze immer gewahrt bleiben.
9. Hast du dich schon einmal in eine andere Person verliebt? Hast du keine Angst deinen Partner zu verlieren, wenn ein*e dritte*r Partner*in sich monogam verhalten will?
Ja, ich denke, verliebt habe ich mich. Es ist schon ein paar Jahre her und fühlt sich im Rückblick auch gar nicht mehr so stark emotional an, wie ich es damals empfunden habe. Allerdings habe ich über diese Zeitspanne von etwa einem halben Jahr das erste Mal konkret darüber nachgedacht, wie es wohl wäre, zwei committete Beziehungen zu führen.
Es ist damals sehr unerwartet passiert, denn ich habe den betreffenden Mann gar nicht in einem Dating-Kontext kennengelernt. Und dazu als neues Mitglied eines Freundeskreises (ergo unerlaubtes Terrain). Ob ich mich also auch verknallt hätte, wenn wir an diesem Punkt (noch) nicht offen gelebt hätten? Möglich.
Ich war jedenfalls (und bin es auch heute noch) sehr dankbar für die unaufgeregte Reaktion meines Partners, als ich ihm noch in derselben Nacht aufgedreht (also ich aufgedreht, er schlaftrunken) von meiner Begegnung berichtete. Und von dem Geflatter in meinem Bauch.
Er blieb ganz ruhig, sprach mir sein Vertrauen aus und schlug vor abzuwarten, was die Zukunft bringen würde. Sie brachte, zugegeben nicht ausschließlich durch das Schicksal beeinflusst, meine erste, schöne Sommerromanze seit der Öffnung unserer Beziehung und besagte Gedankenexperimente mit polyamourösen Strukturen. Später brachte sie Enttäuschung über doch nicht so empfundene Gefühle seinerseits und Ernüchterung meinerseits hinsichtlich der fehlenden Grundlage für meine ersten poly-Erfahrungen.
Im Rückspiegel sieht heute, wie schon gesagt, alles viel kleiner aus und ich kann wertschätzen, dass diese erste Erfahrung mehr einem „Zehen ins Wasser dippen“ gleichkam als einem ungebremsten Kopfsprung.
Und trotzdem fühlt sich heute deswegen die Vorstellung, dass mein Partner sich anderweitig verlieben könnte, weniger unheimlich an. Weil ich einen kleinen Schimmer davon erhaschen konnte. Von dem Verstehen, dass es möglich ist, mehrere romantische Verbindungen zu spüren und sie ausleben zu wollen. Und zwar ohne, dass sie sich gegenseitig zu ihrem Nachteil beeinflussen.
Natürlich möchte ich meinen Freund nicht verlieren und daher ist es selbstverständlich, dass mir der Gedanke Angst macht, dass er mich verlassen könnte. Aber ich möchte auch nicht ständig in Angst leben. Deshalb vertraue ich ihm und schaue ihn mir lieber durch blaue Augen an. Macht das Lieben leichter.
Ich denke, das können die allermeisten Leute gut nachvollziehen. Denn die Möglichkeit, für eine andere Liebe vom Partner oder der Partnerin verlassen zu werden, besteht in jeglicher Beziehungsform und wird in keiner sonderlich begünstigt oder vermieden.
Ich kann ihm also nur mein Vertrauen genauso entgegenbringen, wie er es vor wenigen Jahren für mich tat, und hoffen, dass er meine Bedürfnisse und unsere Verbindung nicht über Bord wirft, wenn es soweit sein sollte. Und natürlich kann ich immer still und heimlich hoffen, dass er sich einfach lieber nicht nochmal verliebt. Zwinkersmiley
10. Habt ihr immer gleichzeitig Dates oder immer „synchron“ weitere langfristige Affären?
Nein, meistens laufen wir da nicht „synchron“. Wenn es einige Male dazu gekommen ist, dass wir an denselben Tagen Verabredungen hatten oder beide über denselben Zeitraum eine längere Affäre, dann war das reiner Zufall. Tatsächlich haben wir auch anfänglich nicht darauf geachtet, dass sich unsere Treffen mit anderen Personen ausbalancieren, so wie es einige offene Paare zu Beginn gerne abmachen.
Ein eigenes Date beispielsweise als Ablenkung oder anderweitige Anti-Eifersuchts-Strategie zu nutzen, wenn der*die Partner*in unterwegs ist, kann ich nachvollziehen. Allerdings wäre mir persönlich der organisatorische Aufwand zu hoch, sogar (mindestens) vier Leute terminlich unter einen Hut zu bekommen. Mal ganz abgesehen von der mangelnden Möglichkeit zur Spontaneität, die ich vor allem im Online Dating bisher immer sehr reizvoll fand.
Apropos Online Dating: Ich habe bisher von keinem offenen hetero Paar oder hetero Polycule gehört, dass es besonders realistisch wäre, eine Dating-Chancengleichheit vorauszusetzen, wenn man sich hauptsächlich auf Dating Plattformen bewegt.
Katja Lewina hat in ihrem Buch „Sie hat Bock“ in Worte gefasst, was bereits viele buchstäblich schon am eigenen Leib erfahren haben:
„Weder meinem Mann noch mir mangelt es an Gelegenheiten für Flirts und Affären. Doch gibt es einen großen Unterschied darin, wie unsere Zielgruppen (meine: Männer, seine: Frauen) auf unseren Hinweis reagieren, dass die Sache auf keinen Fall in eine romantische Zweierbeziehung münden wird: Meine Flirts sind ausnahmslos zu allem bereit, die meines Mannes hingegen verlieren in acht von zehn Fällen augenblicklich das Interesse“ (Sie hat Bock, S. 55).
Diese Zahlen sind natürlich keine repräsentative empirische Studie, aber ähneln unheimlich den Erfahrungen meines Partners. Die Gründe, warum Frauen und weiblich gelesene Personen augenscheinlich Casual Sex eher ablehnen, wenn er nicht zu einer monogamen Partnerschaft führen kann, sind ein ganz eigenes Thema. Eines, das hochinteressant ist und viel häufiger diskutiert werden sollte.
Daher empfehle ich als Lektüre mindestens Katja Lewinas Ausführungen an genannter Stelle ihres Buchs. Wer lieber lesen und gleichzeitig durch Comics und Illustrationen näher ans Thema herangeführt werden möchte, dem*der kann ich bedenkenlos Liv Strömquists „Der Ursprung der Liebe“ ans Herz legen.
In diesem FAQ-Artikel geht es allerdings um etwas anderes.
Hier geht es mir um die Erklärung, dass Dating in einer offenen Beziehung zwar manchmal ein Balanceakt ist, aber in unserem Fall kein Nullsummenspiel. Zwischenmenschliche, intime Beziehungen zu knüpfen hat auch immer etwas mit Unberechenbarkeit zu tun. Zwingend auf Synchronizität oder Ausgleich aus zu sein, würde die ganze Geschichte in meinen Augen recht reizlos und unentspannt werden lassen.
Ich befinde mich weder in einem Wettkampf mit meinem Partner, noch vertrete ich die Auffassung, dass eine Balance gehalten werden muss, damit sich niemand zurückgelassen oder übervorteilt fühlt. Neidisch sein auf „den Lauf“ des*der Anderen darf man natürlich. Verlangen, dass der*diejenige sich einschränkt, weil man selbst gerade keine „Erfolge feiert“, halte ich (wenigstens in unserer Beziehung) nicht für den richtigen Weg.
Aber die Ungleichheit kann auch aus der anderen Richtung kommen. Nämlich dann, wenn ein*e Partner*in eine viel geringere Lust auf Dating hat. Ich benötige des Öfteren mal eine nervliche Erholungspause vom Online Dating, weil es mich mehr anstrengt als meinen Freund. Wenn er mir dann in den Ohren liegen würde, dass ich doch auch daten müsse, damit er kein schlechtes Gewissen wegen seiner Aktivitäten habe… Ob mir das gefallen würde?
I doubt it.
11. Wie kam es dazu, dass ihr die Beziehung geöffnet habt und wie habt ihr den Wunsch untereinander kommuniziert?
Vom Konzept der „offenen Beziehung“ hatte ich schon einige Jahre zuvor das erste Mal gehört und ich muss sagen, ich fand es direkt super spannend. Ob ich es von Beginn an für mich selbst und Beziehungen, wie ich sie führen wollte, in Betracht zog, weiß ich heute nicht mehr. Aber neugierig war ich definitiv direkt.
So kam es auch, dass ich das Thema schon in meiner vorherigen monogamen Beziehung ansprach. Mein Expartner und ich waren zu diesem Zeitpunkt bereits 5 Jahre zusammen und ich wollte mich unbedingt in verschiedene Richtungen ausprobieren. Daher habe ich damals versucht ein alternatives Konzept durchzudrücken, obwohl mein Freund nicht sehr davon überzeugt war. Das hat so natürlich nicht gut funktioniert und wir haben das Experiment sehr schnell für gescheitert erklärt.
Nachdem ich meinen aktuellen Partner kennen und lieben gelernt hatte, dauerte es ein paar Jahre bis die Neugierde zurückkam. Ich kann mich noch erinnern, dass Podcasts zum Thema und ein Buch von Friedemann Karig („Wie wir lieben – Vom Ende der Monogamie„) uns zu hypothetischen Gesprächen anregten. Das Fantasieren verwandelte sich dann schnell in die Lust Nicht-Monogamie auch einmal praktisch auszutesten. Nur auf Probe versteht sich. Und diese Phase haben wir einfach bisher nicht wieder beendet.
Die Auslöser für unsere Öffnung waren rückblickend also viel Neugier und eine kleine Portion Abenteuerlust. Die Gretchenfrage des „Wie stelle ich die Frage?“ musste sich keine:r von uns stellen. Das Ansprechen des Themas hatten ja die Leute im Radio für uns übernommen und ich hatte mir eine schnelle Nachfrage bei meinem Partner nicht verkneifen können. Auch wenn mich zu diesem Zeitpunkt nur seine Meinung interessierte und ich gar nicht mit einer bewussten Absicht im Hinterkopf das Terrain abklopfen wollte.
Das ist natürlich eine ziemlich optimale Situation, vor allem wenn das Gegenüber dann ebenfalls Offenheit und Interesse bekundet. Ich kann mir vorstellen, dass viele eher allein und für sich selbst ihr Interesse entdecken und dann vor der Herausforderung stehen, wie sie ihre Gedanken und Gefühle möglichst schonend und wenig fordernd dem*der (aktuellen oder zukünftigen) Partner*in mitteilen können.
Klar, eine fixe Idee heraus zu posaunen, obwohl man die Angelegenheit selbst noch nicht ganz durchdacht hat, ist in Liebesdingen häufig riskant. Schließlich wollen wir alle keine Zurückweisung in unseren Wünschen erfahren oder Ärger und Misstrauen auslösen.
Aber Vertrauen ist an dieser Stelle das richtige Stichwort. Wenn du mich fragst… nimm dir Zeit, um dir deiner Bedürfnisse bewusst zu werden und dann sprich es an. Bereite dich ein bisschen vor, habe Links zu Podcast-Folgen oder Blogartikeln im Ärmel, die du gut findest und für dich sprechen lassen kannst. Du musst nicht gleich alles erklären können, dafür gibt es ja Leute, die ihre Erfahrungen mit Nicht-Monogamie öffentlich teilen.
Vertrau darauf, dass dein*e Partner*in deinen Ideen zuhören und deine Wünsche mit dir diskutieren wird. Mit welchem Ergebnis auch immer. Du hast dich in diesen Menschen verliebt, dafür muss es Gründe gegeben haben. Und wir dürfen alle erwarten von unseren engsten Vertrauten akzeptiert zu werden. Auch wenn sie unsere Bedürfnisse nicht teilen sollten.
Niemand soll zu etwas gezwungen werden, aber anerkennen, dass Interessen und Bedürfnisse bestehen, überschreitet meiner Ansicht nach diese persönliche Freiheit noch nicht. Eine Ablehnung der Wünsche kann und darf allerdings geäußert werden.
Hab keine Angst vor einer buchstäblichen Meinungsverschiedenheit. Die eigenen Grenzen setzen und Bedürfnisse diskutieren zu können, sind in offenen oder poly-Beziehungen generell wichtige Fähigkeiten. Sollte die Reaktion aber besonders heftig negativ ausfallen, gibt es mit ziemlicher Sicherheit sowieso Redebedarf auf viel basalerer Ebene eurer Beziehung.
12. Für welche Menschen ist eine nicht-monogame Beziehung geeignet?
Welche Beziehungsform zu wem passt, ist sicherlich eine genauso individuelle Frage der Einzelpersonen wie des Paars, das sie gemeinsam bilden. Der Zeitpunkt und die aktuellen Lebensziele oder Herausforderungen haben bestimmt noch einmal so viel Einfluss darauf, wie Beziehungen sich am besten für alle Beteiligten gestalten. Es gibt daher wahrscheinlich ziemlich viele Menschen, für die Nicht-Monogamie mindestens für eine gewisse Zeit oder mit einer bestimmten Person geeignet ist.
Vielleicht ist es deshalb einfacher eine Einschätzung darüber abzugeben, welche persönlichen Eigenschaften oder Präferenzen für nicht-monogame Beziehungen wahrscheinlich ungeeignet sind. Bei aller Vorsicht gegenüber zu vielen Pauschalisierungen, möchte ich es einmal mit den für mich wichtigsten Aspekten versuchen:
· Es fällt dir sehr schwer den Überblick über deine eigenen Bedürfnisse und Grenzen in Liebesbeziehungen zu bekommen, zu behalten und anderen Menschen gegenüber zu kommunizieren?
Generell reflektierst du nicht gerne, was von dir als negativ empfundene Gefühle ausgelöst haben könnte oder machst „Probleme immer nur mit dir selber aus“?
Das sind leider keine guten Voraussetzungen für die benötigte offene Kommunikation mit deinen Partner*innen.
· Du findest, dass deine aktuell monogame Beziehung schlecht läuft und überlegst eine Öffnung vorzuschlagen, um die Liebe zu retten und deine*n Partner*in zu halten?
Eine monogame Partnerschaft umzustellen und die vorherige sexuelle Exklusivität aufzugeben, kann die Lust eines Paars wiederbeleben, bei dem die Leidenschaft stark eingeschlafen ist. Trotzdem bedeutet diese Umgewöhnung Stress und fordert gute und ständige Kommunikation sowie Resilienz von den Partner*innen.
Bestehende Probleme, Verletzungen und andere Gräben können dadurch erweitert anstatt überbrückt werden und der Beziehung viel mehr schaden als helfen. Möglicherweise ist der*die Partner*in dann noch schneller „weg vom Fenster“, wenn New Relationship Energy mit dem ersten frischen Date einsetzt. Ergo: Es braucht eine gute und stabile Basis, um in einer Beziehung glücklich zu sein. Nicht-Monogamie kittet nichts mehr, wenn der Karren schon vor die Wand gefahren wurde.
· Du hast Schwierigkeiten mit Empathie und die Bedürfnisse anderer sind dir meistens recht egal? Zwar achtest du oft auf die Wünsche deines Partner oder deiner Partnerin, aber was Dritte wollen könnten, spielt für dich keine Rolle?
Eine sogenannte Primärbeziehung zu führen, bedeutet nicht, dass es jetzt „wir zwei gegen die Welt“ heißt. Auch eure weiteren Dates werden Gefühle und Erwartungen haben, die sie nicht immer kontrollieren können und müssen. Wenn du den verantwortungsbewussten Umgang mit anderen Personen als deinem Partner oder deiner Partnerin für „zu viel Anspruchsdenken“ ihrerseits oder für Zeitverschwendung hältst, erspar der Menschheit lieber deinen Elefanten im Porzellanladen und bleib monogam.
· Du findest es zwar sehr anregend, wenn du dir vorstellst, außerhalb deiner Partnerschaft Sex zu haben, kannst den Gedanken aber in Bezug auf deine*n Partner*in nicht ertragen?
Niemand wird dadurch wirklich glücklich werden, wenn in der nun nicht mehr monogamen Beziehung eine krasse Schere zwischen den neuen Freiheiten klafft. Wenn du dir absolut nicht vorstellen kannst, deinem*r Partner*in zu gönnen, was du selbst gerne hättest, wird eine*r von euch wahrscheinlich immer unglücklich sein. Ganz egal, wie ihr es letztlich macht: There is no need in the world for more Doppelstandards.
Andersherum: Wenn dein*e Partner*in dir einräumt sexuell nicht mehr exklusiv zu sein, diese Möglichkeit aber für sich selbst nicht in Anspruch nehmen möchte, solltest du das respektieren können. Falls du bei dieser Vorstellung ein so starkes schlechtes Gewissen bekommst, dass du den*die Andere*n dazu überreden möchtest, sich genauso zu verhalten, entsteht vielleicht folgendes Dilemma: Du möchtest dein Gegenüber zu etwas zwingen, damit dein eigenes Gewissen beruhigt ist und du deine ausgelebten Wünsche einfach genießen kannst. Der fairere Weg wäre zu lernen, wie du mit dem selbstgewählten Ungleichgewicht zurechtkommst, ohne es zum Problem deines*r Partners*in zu machen. Wenn dir das zu anstrengend erscheint (weil es das ist), bleib lieber in monogamer Balance.
Das waren einige der wirklich wichtigen Aspekte, die in meinen Augen gegen eigens gelebte Nicht-Monogamie sprechen. Übrigens gehört meiner Meinung nach ein ausgeprägter Hang zur Eifersucht nicht zwingend dazu. Tatsächlich könnte die alternative Beziehungsform den Beteiligten dabei helfen, sich mit den Wurzeln ihrer starken Eifersuchtsgefühle gezielt auseinander zu setzen. Ganz verlieren wird man seine Eifersucht dann zwar wahrscheinlich nie, aber das ist sicherlich auch nicht nötig. Zu lernen sie zu akzeptieren und bewusst mit ihr umzugehen, sollte die Lebensqualität in allen Beziehungen deutlich steigern, wenn man vorher sehr unter ihr litt. Und man darf sicherlich auch nicht unterschätzen, dass ein wenig Eifersucht zu fühlen, anspornen kann, den*die Partner*in wieder für sich zu erobern.
13. Willst du sagen, dass jetzt alle in Nicht-Monogamie leben sollten?
Ja, genau, lasst uns am besten die Monogamie-Monokultur um 180° drehen und ab dem nächsten Ersten allen Menschen per gesellschaftlicher Konvention vorschreiben, dass sie jetzt poly leben müssen. Weil sie ja sonst ihre Partner*innen nicht wirklich lieben.
Ich hoffe, ich kann mit diesem ironischen Bild deutlich machen, dass ich das natürlich nicht sagen will.
Stattdessen möchte ich mit meinen Erläuterungen gerne aufklären und Einblicke geben. Einblicke in eine Beziehungsalternative wie mein Partner und ich sie leben, Einblicke, die zeigen, wie vollkommen normal und valide das ist.
Den vorherigen Satz würde ich am liebsten gar nicht schreiben müssen. Allerdings lebe ich in einer Gesellschaft, die mir lange Zeit vorenthalten hat, dass es Alternativen zur Monogamie gibt. Und falls sie doch einmal aufblitzten, wurden sie als Untreue oder Bindungsunfähigkeit abgetan. Das ist nicht gerecht und entspricht auch einfach nicht der Lebensrealität vieler Menschen. Der monogamy-fits-all Ansatz, und das ist unschwer zu erkennen, ist ziemlich realitätsfern.
Was ich sagen möchte, ist, dass den Menschen von Anfang an bewusst sein sollte, dass sie eine Wahl haben (gesetzt den Fall ihre gesellschaftspolitische Umgebung räumt allen Beteiligten die gleichen Freiheiten ein und lässt bspw. Frauen nicht in Abhängigkeit von männlichen Partnern zurück). Dass es mehr für sie gibt als nur eine Möglichkeit zu lieben und Partnerschaften zu gestalten. Dass mit ihnen nichts falsch oder abnormal ist, wenn sie nicht das Bedürfnis nach oder einfach nicht die Fähigkeit zu Monogamie haben.
Sich selbst freiwillig für Monogamie zu entscheiden hingegen, ist weder engstirnig noch konservativ noch prüde oder langweilig. Niemand sollte den Druck verspüren nicht-monogam leben zu müssen, weil er*sie fürchtet nicht modern oder aufgeschlossen zu wirken. Oder noch schlimmer, weil ein*e neue*r Wunschpartner*in das verlangt und missbräuchlich durchsetzen will, um Verantwortungen zu vermeiden (An dieser Stelle möchte ich klarstellen: Sich über den Begriff „offene Beziehung“ zu definieren, um keine Verantwortung für möglicherweise verletzende oder gefährdende Handlungen zu übernehmen, „da man ja offen sei“, ist kompletter Bullshit. Mit ethical non-monogamy hat das nichts zu tun. Falls dir mal jemand begegnet, der unter offen/poly sein versteht, dass du ihm*ihr keine Szene machen darfst, wenn deine Grenzen überschritten werden, LAUF).
Will sagen, niemand soll sich in eine Richtung geschoben fühlen, die nicht den eigenen Überzeugungen entspricht. Stattdessen soll Klarheit darüber herrschen, dass es eben nicht nur die eine wahre monogame Richtung für alle Menschen gibt.
Ich schließe diese letzte Frage und auch den gesamten Beitrag mit den Worten von Paartherapeut Dan Savage ab, der die großartige Einsicht hatte, dass wir dazu neigen die Beziehungskonvention Monogamie härter zu verteidigen als unsere eigentlichen Beziehungen. Und zwar in den Situationen, in denen wir zum Beispiel wegen eines einzigen Schritts vom Wege eine langjährige Partnerschaft als gescheitert und nicht weiterführbar erachten. Momente, in denen unser significant other einmal nicht den hohen Erwartungen entsprach, die die Jahre zuvor aufrechterhalten wurden:
„We are committed and loyal to monogamy to such an extent that we are not committed and disloyal to the people we’ve married. And that is crazy, that is cart-before-the-horse-shit. And we should correct that. That doesn’t mean everyone should be in an open relationship like we are [meint: Dan und seinen Partner]. That doesn’t mean everyone has to be polyamorous or non-monogamous or monogamish. That means everyone needs to have realistic expectations. And that monogamous relationships are likelier to survive the long haul, including the near inevitable infidelity, if we talk about it this way instead.“
Wenn du Lust hast, schau dir diesen Talk von ihm an, aus dem das Zitat stammt. Die zitierte Stelle beginnt bei Minute 37:00, aber wenn du die Zeit hast, gönn dir das ganze Video. Witziger Typ und obendrein hat er in vielen Dingen recht. Zwinkersmiley