Das hier sollte ein Text über die häufig beobachtete Ungleichheit der Dating-Chancen (vor allem online) von nicht-monogamen Heteropaaren werden. Zumindest kam mir die Idee zu so einem Text, als es mal wieder darum ging, dass manche poly Lebenden für ihre Beziehungen die Regel aufstellen, ausschließlich „synchron“ zu daten. Auch gerne herangezogen als praktischer Tipp gegen Eifersucht, wenn der Partner oder die Partnerin sich mit einem anderen Menschen für ein romantisches Treffen verabreden.
„Dann geh doch selbst auch zu nem Date.“ Lenk dich doch mit kurzfristig positiver Außenbestätigung von deinen eigenen Unsicherheiten ab, um den „Erfolg“ und Nachgeschmack deines Abends komplett davon abhängig zu machen, wer von euch später oder verschmierter nach Hause kommt.
Man merkt, ich halte nicht viel von Synchronizität. Zumindest nicht, wenn sie beabsichtigt ist.
Außerdem muss diese synchrone Regelung die Frequenz tatsächlich stattfindender Dates unheimlich herunter regeln, wenn nicht gerade mehrere vielleicht sogar commitete Partner*innen am Start sind. Nicht nur gilt es, mindestens vier Terminkalender zu koordinieren, sondern auch immer gleichzeitig datewilliges Personal an Land zu ziehen. Und – believe it or not – das ist gar nicht mal so einfach.
Swipest du noch oder datest du schon?
Es herrscht ja die landläufige Vorstellung, dass munter drauflos gevögelt wird, sobald eine monogame Beziehung endlich geöffnet wurde. Dabei wird, wenn man ein wenig genauer hinhört, schnell das Klagelied der hetero-männlichen Partner laut, denen auf Online Dating Plattformen reihenweise auch noch die Matches weglaufen, die vor dem Swipe nach rechts den Hinweis auf die offene Beziehung im Profil großzügig übersehen haben.
Ganz anders geht es da meistens den weiblichen (gelesenen) Parts derselben Beziehungen. Ihnen steht die Welt des Casual Dating weit offen. So jedenfalls meine bisherige Erfahrung, die häufig auch von anderen nicht monogamen Frauen geteilt wird. Schließlich wirken die Vorurteile „Sie ist sexuell offen für mehr als eine Person, also ist sie wahllos und schläft auch mit mir“ und „Sie hat da ja schon jemanden zuhause, der die ganze (emotioanle) Arbeit übernimmt, deshalb kann ich ihr gegenüber auch faul und rücksichtslos sein“ doppelt attraktiv!
Ja, ich wünschte auch, das wäre ein Witz.
So denken natürlich nur potentielle Dates, die bei mir schnell ihr Potential einbüßen, wenn solche Denkmuster zu Tage treten. Aber natürlich ist das nicht immer sofort ersichtlich, was mich viele erste-letzte-Dates führen ließ. Manchmal wurden sie auch zu One Night Stands, weil… Na, weil’s so war. Sex braucht nicht immer einen besonderen Grund.
Aber über die Jahre der gelebten Nicht-Monogamie zeigte sich auch in Romans und meiner Beziehung, dass meine Existenz und unser geteiltes Leben quasi eine viel höhere Hürde für seinen Datingerfolg darstellten als anders herum für mich. Wir hatten nie eine Synchronizitäts-Regelung, weshalb es tatsächlich auch im nächsten Sinne zu Date Neid kam: Wenn ich Sex mit einem anderen Menschen hatte und er auf Bumble Mal wieder geghostet wurde.
Aber auch das ist nicht der Umstand, der mich letztlich dazu bewegt hat, diesen Text zu schreiben.
Ain’t no Dating when she’s gone
Ich bin gerade neidisch.
Ja, ich bin unfassbar neidisch auf mich selbst. Besser gesagt, auf mein Vergangenheits-Ich. Auf die Cleo, die noch nicht so viel ihrer Dating Geduld dadurch eingebüßt hatte, dass sie aus Unsicherheit über ihre eigenen Wünsche die Klasse in jeder Masse suchte. Nicht falsch verstehen, ich slut shame mich hier nicht selbst. Aus heutiger Sicht hätte ich mit genauso vielen Menschen Sex gehabt, nur zum Großteil mit anderen. Und ich hätte es noch mehr genossen, mich viel weniger geschämt.
Ich beneide das Vergangenheits-Ich, das Kompromisse machte, ohne sie zu bemerken. Das dafür aber auch sehr viel, sehr einfache Selbstbestätigung aus Superlikes auf Tinder zog. Und zwar aus denen, die nicht ausversehen gemacht wurden, als kurz der Schwanz aufs Handy fiel.
Und rückblickend ist es nicht ganz einfach mein damaliges Selbstwertgefühl dafür nicht geringzuschätzen. Jap, es war nicht alles Tinder-Gold, was glänzte. Aber eins lief immerhin: Ich hatte Dates und fand meistens Männer, mit denen ich mich wohl genug fühlte, um mit ihnen nach Hause zu gehen. Und manchmal auch, um eine schöne und sogar recht verbindliche Freundschaft plus zu führen.
Ich bin neidisch auf diese Zeit, auf diese Cleo, denn irgendwie war es eine Art von Zufriedenheit und es war Wildheit und Abenteuer und Spaß, not many strings attached. Doch dann entschied ich mich für eine lange Pause vom Online Dating und der Partnersuche an sich. Teilweise weil die pandemische Situation es verlangte, teilweise weil mir sexualisierte Gewalt im Online Dating begegnet war.
Dating geht einfacher, wenn du nicht weißt, was du nicht willst
Ich habe diese Pause genutzt, um mich selbst besser kennenzulernen. Ich habe sie genutzt, um herauszufinden, wer ich sein will und was mich ausmacht. Und ich realisiere jetzt, in Bezug auf Dating war das ein großer Fehler.
Ja, jetzt bin ich zurück im Dating Game und weiß durch meine Selbsterfahrung auch dort nun besser, wo meine Ansprüche liegen. Sie betreffen viel weniger den Status oder Habitus meines Gegenübers, sondern beziehen sich auf Grenzen, die ich für mein eigenes Wohlbefinden gezogen habe.
Das umfasst hauptsächlich eine viel geringere Kompromissbereitschaft, wenn es um Dinge geht, die mir eigentlich wichtig sind. Es gibt nicht mehr die 27. Ausnahme, für die ich doch wieder in eine andere Stadt fahre, obwohl ich meine Treffen mit dem Fahrrad erreichen können wollte. Da ist kein Platz mehr in meinem Kopf für den Uncomfort einer schmutzigen vollbesetzten WG, die mir beim Sex zuhört, obwohl ich mit meinem Date lieber allein gewesen wäre. Da ist keine überstrapazierte Geduld mehr mit Menschen, die mich versetzen oder „hard to get/reach“ spielen, weil eine naive Hoffnung mir mehr Interesse seitens des Anderen einflüstern will, als dort offensichtlich wirklich ist.
Da sind nur noch Wünsche nach den Dingen, die ich auch selbst geben kann und möchte. Sowie eine unbändige Lust auf einen richtig guten funkensprühenden Flirt. Mit Geknister und Verschwörung, wir zwei gegen die Welt. Auf derselben Welle sendend, die Kommunikation ein offenes kleines Duell um gereichtes Wasser und geteiltes Grinsen. Ich will den Blick aufs summende Telefon richten und diese unbestechliche Hoffnung spüren, was den Absender der gerade empfangenen Nachricht betrifft.
Ich will „Denk dabei an mich“ und „Viel Erfolg bei deiner Sache“ am selben Tag. Denn ich kann das alles selber geben, jetzt noch mehr als damals. Ich hab jetzt richtig was zu sagen, jetzt noch mehr als damals. Ich kann mich zeigen und schäme mich nur noch so selten dafür. Ich hatte meine Meinung irgendwie, irgendwo schon immer, aber jetzt nicht mehr mit dem Ziel dadurch zu gefallen, sondern entweder damit oder eben nicht. Ich hab mich in die Mitte gestellt und laut „Da bin ich wieder. Jetzt so sehr wie noch nie“ gesagt und es hat eingeschlagen.
Wie ne Bombe. Ein riesiger Krater um mich herum und meilenweit kein Mensch. Denn die Resonanz ist recht einseitig und sie weist eine Frau, die sich selbst lebt, weit von sich. Ich bin auf einmal anders bzw. ich werde anders wahrgenommen. Bist du unsicher, trauen sich alle nahe ran, um dir zu sagen, was du alles machen solltest, damit das nicht so bleibt. Wirst du selbstsicherer, erntest du dafür als Frau und WGP nicht wirklich Applaus.
Auch ich habe meine Hausaufgaben gemacht und das Urteil lautet: Ich bin zu… Ich mache zu… Ich sage zu… Ich denke zu… zu. Ich denke, dieses „zu“ sein bedeutet, ein Stück weiter ich selbst zu sein. Und auch wenn die Konsequenz aus diesem Urteil offenbar bedeutet, im Dating Game niemandem mehr zu begegnen, der zu mir passt und zu dem ich passe, ich kann es nicht mehr ändern. Nicht einmal für Sebi-32-ich-sehe-keine-Likes-also-schreib-mir-besser-einfach-direkt-ne-Nachricht auf Okcupid. Ich sehe besser, wenn ich in meinem eigenen Blickfeld bleibe and it cannot be unseen.
Dating ist politisch
Natürlich ist das gerade auch mehr als nur milde frustrierend. Ich befürchte so langsam, an dieser Sache mit dem „erfolgreiche Frauen haben keinen Erfolg im Dating“– Phänomen, das landesweit beobachtet wird, ist tatsächlich was dran. Wobei „erfolgreich“ hierbei auch eine sehr weit gefasste Definition bekommen sollte. Ich denke, dass darunter nicht nur ambitioniert, Karriere machend, finanzstark, smart, gut ausgebildet, sondern auch immer mehr orientiert, willensstark, (selbst-)bewusst, autonom, Respekt einfordernd und feministisch ausgerichtet verstanden werden kann.
In einer Gesellschaft, in der Frauen und weiblich gelesene Personen aber im binären Gegensatz zu einem „starken Geschlecht“ definiert werden, sehe auch ich ein, dass das unheimlich unattraktiv wirken muss. An kaum einer anderen Stelle als während des Dates kommt so deutlich zum Vorschein, auf welchen Gedankenschienen wir wirklich noch unterwegs sind. Da, wo wir Geschmack und Präferenz für schlicht unpolitisch und einfach nicht beeinflussbar halten, da täuschen wir hauptsächlich uns selbst.
Politik und Dating sind beides zwischenmenschliche Angelegenheiten. Abseits der patriachal-heteronormativen Liebe sogar unfreiwillig dieselbe.
Mehr Interesse an Erklärungen zur Frage, warum Liebe und Dating und auch unser „persönlicher Geschmack“ in Wirklichkeit ein Politikum sind? Dann empfehle ich die unheimlich bereichernde Lektüre des Buchs „Radikale Zärtlichkeit“ von Şeyda Kurt. Wenn du ihr lieber zuhören anstatt lesen willst, hier geht’s zu einem Interview, das Shanli Anwar in einer Folge der Sendung Eine Stunde Liebe mit ihr geführt hat.