Herzlich Willkommen zum zehnten und letzten Teil der Eltern Messages – einer Gesprächsreihe mit authentischen Berichten über Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft. Ein bisschen wehmütig bin ich zum Ende dieser Interviewreihe. Schließlich habe ich in diesem Rahmen viele intime Gespräche mit Müttern führen dürfen, bewegende Momente mit ihnen geteilt und viele neue Einsichten gewonnen. Speziell in diesem zehnten Interview liegt die Wehmut aber auch in der Geschichte an sich begründet, die Melissa mir dankenswerterweise erzählt hat.
Denn Melissa ist Sternenmama, was bedeutet, dass ihr persönlicher Weg in die Mutterschaft geprägt war vom größten aller möglichen Verluste im Leben eines Elternteils: Dem Tod des eigenen Kindes. Ich möchte daher an dieser Stelle eine Trigger-Warnung für den gesamten Text hinsichtlich der Themen Verlust eines geliebten Menschen, Tod eines Säuglings und Beschreibung von tiefer Trauer aussprechen. Wenn dich diese Themen zu stark belasten, dann ist das vollkommen okay und du darfst gerne hier „umdrehen“. Ich habe hier sogar einen Alternativvorschlag für dich. Solltest du weiterlesen wollen, dann beginnt das Interview auch schon nach diesem Satz.
Melissa ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 31 Jahre alt. Ihre Tochter Aleyna verstarb im August 2020 nur zwei Stunden nach ihrer Geburt.
Cleo: Liebe Melissa, in der Vorbereitung auf unser Gespräch habe ich es schon angedeutet. Ich fühle mich unsicher. Ich kann mich eigentlich immer sehr gut auf meine eigenen Worte und was ich mit ihnen ausdrücken kann, verlassen. Ich spreche und schreibe wirklich gerne.
Aber im Bereich „Sternenmutterschaft“ oder „Sternenelternschaft“ fehlt mir ein Wortschatz. Den Namen „Sterneneltern“ für Eltern, die ein Kind verloren haben, habe ich erst durch dich kennen gelernt und ich stelle fest, dass mir weitere Worte schlicht fehlen.
Wie ging dir das? Wenn ich deinen Social Media Auftritt auf Instagram richtig gedeutet habe, dann bist du mit dem Thema Tod des eigenen Kindes auch vollkommen unvorbereitet konfrontiert worden. Wie hast du deine Worte gefunden?
Melissa: „Ich hatte auch keine Worte dafür. Ich würde von mir selbst auch sagen, dass ich eigentlich ein sehr wortgewandter Mensch bin und mich über viele Themen umfangreich austauschen kann. Aber in Bezug auf Sternenelternschaft hatte ich ebenfalls kein Vokabular. Ich wusste nicht einmal, was mit mir passierte und dass ich zur Sternenmama geworden war. Ich dachte, ich bin jetzt Mama und habe ein totes Kind. Dass es das Konzept der Sternenelternschaft gibt, wurde mir und meinem Mann erst von der Seelsorge im Krankenhaus erzählt. Auch unter dem medizinischen Personal und den Hebammen war dieser Begriff verbreitet.
Ich bin allerdings ein sehr wissbegieriger Mensch und habe daher Stück für Stück recherchiert, was es damit auf sich hat und ob ich die einzige bin. Anfangs dachte ich nämlich, ich sei die einzige Frau auf der ganzen Welt, der so etwas passiert ist. Über die Recherche und das Lernen wuchs dann auch ziemlich schnell mein Wortschatz. Ich habe Berichte gelesen und Posts auf Instagram, mir Videos angesehen und Bücher gelesen. Dadurch habe ich erfahren, wie viele Menschen sich mit Trauer an sich beschäftigen und welchen Wortschatz es für den Trauerausdruck und die Trauerarbeit gibt.
Es geht plötzlich um komplett andere und in diesem Umfang vorher nie gekannte Emotionen, die trauernde Menschen durchleben. Vor allem in einer Situation, in der das eigene Kind gerade zur Welt gekommen ist und dann direkt wieder geht.“
Aus meiner Sicht betrifft das auch nicht nur den Wortschatz rund um Sternenelternschaft, sondern auch um die spezielleren Themen Fehlgeburt und Totgeburt. Das scheint mir ein deutliches Anzeichen dafür zu sein, welche riesigen Tabus auf negativen Geburtserfahrungen liegen. Hast du diesen Eindruck auch bekommen?
Melissa: „In jedem Fall! Deswegen versuche ich auch Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen meiner eigenen Möglichkeiten auf Instagram zu leisten. Und darüber hinaus in meinem gesamten Umfeld offen darüber zu sprechen, was mir passiert ist. Es ist ein riesiges Tabu darüber zu sprechen, dass es Sterneneltern überhaupt gibt. Dass es Fehlgeburten gibt, also Abgänge der Schwangerschaft bis zur 24. Woche. Diese Bezeichnung ist ein Unding in meinen Augen, weil man ein Kind, das schon 20 Wochen alt ist, also schon die Hälfte der Schwangerschaft geschafft hat, nicht mehr „nur“ als Fehlgeburt abstempeln sollte. Das ist allerdings schon fast wieder ein politisches Thema. Mit solchen Dingen beschäftigt man sich, wenn man damit zwangsläufig konfrontiert wird.
Ich versuche mit aller Macht dieses Tabu zu brechen, indem ich offen darüber spreche. Ich würde auch sagen, dass die Frauen in meinem direkten Umfeld, sobald sie selbst schwanger werden, dadurch mit einem anderen Bewusstsein an die Sache heran gehen. Ich bemerke bereits, dass das Thema durch meine Offenheit auch weitere Kreise zieht als nur in meinem direkten Umfeld.“
Passiert es dir auch, dass Leute in deinem Umfeld dein Gesprächsangebot zu diesem Thema ablehnen?
„Ablehnung begegnete mir bisher nicht, nein. Aber die Reaktionen sind tatsächlich sehr unterschiedlich. Ich würde sagen, das hängt mit der emotionalen Reife meiner Gesprächspartner*innen zusammen. Wir Menschen neigen ja dazu, uns nur mit den positiven Emotionen wie Glück, Freude und Liebe zu beschäftigen. Das ist ja auch das, was unser Leben lebenswert macht. Aber alles, was negativ behaftet ist, das wollen wir nicht gerne wahrhaben. Das wollen wir lieber aus unserem Charakter und unserem Leben verbannen.
Wer sagt auch schon, wenn ihm der Kopf weh tut: „Danke, dass ich Kopfschmerzen habe! Ich weiß, das soll bedeuten, ich sollte mich jetzt besser ausruhen.“ Niemand sagt das! Wir denken, wieso müssen jetzt auch noch Kopfschmerzen sein (lacht)?! So machen wir das leider häufig auch mit sämtlichen negativ konnotierten Gefühlen.
Wir wollen sie wegschieben, obwohl das meiner Meinung nach falsch ist. Sie gehören genauso zu uns wie die positiven Emotionen. Und all diese Emotionen und der Austausch darüber formen uns. Wir würden keine negativen Erfahrungen machen und daraus lernen, wenn wir das nicht brauchen würden. Vor allem, wenn wir von der Grundannahme ausgehen wollen, dass unser Leben nicht einfach grundlos ungerecht ist. Ich sage das und denke das, trotzdem ich die Erfahrung machen musste, mein Kind zu verlieren.
Insofern reagieren die Menschen in meinem Umfeld „positiv“ auf meine Offenheit, weil sie reflektiert sind und das ähnlich sehen wie ich. Es gibt aber auch einige wenige Personen, die das nicht so gut können. Die eben auf meine Erfahrungen negativ reagieren und das von sich wegschieben wollen. Daran ist leider kürzlich auch eine langjährige Freundschaft von mir zerbrochen. Das ist manchmal auch recht schwierig zu akzeptieren. Aber jeder geht seinen Weg und wir begleiten einander immer nur für ein Stück darauf. Aber der Großteil meines Umfelds hat positiv reagiert und war vor allem für mich da.“
Wenn die Hilfe nicht hilfreich ist
Eine Frage noch, bevor wir uns deiner Geschichte von vorne widmen: Hattest du das Gefühl, dass das angesprochene Tabu dir dabei im Weg stand, die Unterstützung zu erhalten, die du gebraucht hättest? Oder hat sich trotz des Tabus Hilfe aufgetan?
„Nein, leider nicht. Ich wohne zwar in einer deutschen Großstadt und habe damit eine noch vergleichsweise gute Infrastruktur für professionelle Hilfe zur Verfügung als beispielsweise in ländlicheren Gegenden. Trotzdem habe ich keine gute professionelle Unterstützung erhalten. Es gab hier nur eine Stiftung, wo wir zu einer Dame gehen konnten, die Trauerbegleitung gemacht hat. Das hat uns auch wirklich geholfen, war aber auch nur ein ehrenamtliches Angebot.
Ansonsten habe ich an in einem Rückbildungskurs von einem Frauengesundheitszentrum teilgenommen, der „leere Wiege“ hieß. Aber welche Mama möchte allen Ernstes in einen Rückbildungskurs gehen, in dem ausschließlich trauernde Mütter sitzen, denen es genauso schlecht geht wie ihr? Und der dann auch noch „leere Wiege“ heißt, was total schwer und niederschlagend behaftet ist. Sowas müsste meiner Meinung nach viel liebevoller und mit mehr Pietät gestaltet werden.
Danach durfte ich erleben, welch mangelhafte Unterstützung man als verwaistes Elternteil bekommt. Denn es gibt keine professionellen und spezialisierten Psychotherapieansätze, über die ich Hilfe hätte in Anspruch nehmen können. Ich war bei einer Psychotherapeutin, die mich allerdings fast sensationsgeil behandelt hat. Ich bin nach diesem Erstgespräch nicht wieder zu ihr gegangen. Insofern habe ich das Hilfsangebot in meiner Umgebung als wirklich gering wahrgenommen. Deshalb habe ich mir vorgenommen, die Art der Unterstützung für andere zu schaffen, die es in dieser Situation braucht.“
Das finde ich sehr gut! Ich bin sehr verwundert, dass meine Erwartungen in Bezug auf das Hilfsangebot im professionellen Bereich offenbar von der Realität weit untertroffen werden. Ich hätte ja gedacht, dass es im psychotherapeutischen Bereich ein Hilfsangebot geben müsste. Dass es dort Menschen gibt, die schon einen Wortschatz zu Trauerbewältigung besitzen. Es schockiert mich richtig zu hören, dass das bei dir offensichtlich nicht der Fall war. Auf der anderen Seite deckt sich das auch wieder mit Erfahrungen in Bezug auf andere stark tabuisierte Themen in unserer Gesellschaft.
„Mit Sicherheit gibt es irgendwo in Deutschland einige wenige spezialisierte Profis, aber die habe ich eben nicht gefunden.“
Das reicht ja auch nicht, um den tatsächlichen Bedarf zu decken. Es gibt Statistiken, die zeigen, dass es jährlich tausende neue Sterneneltern in Deutschland gibt.
„Tatsächlich waren es laut dem 37° Magazin über 3000 neue Sterneneltern in Deutschland im Jahr 2020. Aber diese Zahl zeigt auch nur einen Ausschnitt, weil viele Fehlgeburten in dieser Statistik gar nicht berücksichtigt werden. Und zwar die Abgänge, die so früh passieren, dass sie keine Ausschabung der Gebärmutter erfordern. Die werden nicht mitgezählt, obwohl das trotzdem unerfolgreiche Schwangerschaften waren. Selbst wenn sie sehr früh enden.“
Du würdest also auch die Personen als Sterneneltern verstehen, bei denen es nicht zur Vollendung der Schwangerschaft kam?
„Ja. Allerdings müssen es letztlich alle Betroffenen selbst entscheiden, ob sie sich so bezeichnet sehen möchten oder nicht. Ich kenne eine Person, die jeweils innerhalb der ersten 12 Wochen ihrer Schwangerschaften bereits zweimal Fehlgeburten erleben musste. Als ich sie darauf aufmerksam machte, dass sie in meinen Augen auch eine Sternenmama ist, konnte sie sich gar nicht mit diesem Begriff identifizieren. Sie hatte laut eigener Aussage noch keine Verbindung zu den Föten aufgebaut.
Ich wiederum glaube an das Konstrukt einer Seele. Ich glaube daran, dass meine Tochter sich mich als Mutter ausgesucht hat. Deshalb denke ich, dass ich auf einer zunächst unsichtbaren Ebene bereits sehr stark mit meiner Tochter verbunden war. Und das beziehe ich auf alle Schwangeren und ihre ungeborenen Kinder, auch schon innerhalb der ersten 12 Wochen. Trotzdem bleibt es eine sehr individuelle Entscheidung, ob man sich als Sternenelternteil verstehen möchte oder nicht.“
Kinderüberraschung wird Babyglück
Auf deinem Instagram Profil hast du deine Geschichte der letzten Jahre dokumentiert. Ich würde dich gerne bitten, etwas von deiner Entwicklung in Bezug auf deine Mutterschaft zu erzählen. Um das ein wenig einzugrenzen: Magst du mit dem Zeitpunkt beginnen, an dem du das erste Mal bemerkt hast, dass du schwanger bist?
„Das war tatsächlich zu Silvester 2019 (lacht). Da ist mir nach einer stressigen Weihnachtszeit urplötzlich aufgefallen, dass meine Periode sehr überfällig war. Mein Partner und ich hatten in dieser Zeit nicht geplant oder versucht Kinder zu bekommen. Aber irgendwas hat wohl bei der Verhütung nicht geklappt. Ich habe dann sobald es ging einen Schwangerschaftstest gekauft, bin Heim gegangen und habe den dort direkt gemacht. Das Ergebnis war positiv.
Unsere Welt stand dann erst einmal Kopf, denn wir haben uns absolut noch nicht bereit gefühlt Eltern zu werden. Wir waren beide in 2019 gerade erst aus den USA nach Deutschland zurückgekehrt und wollten hier erst einmal wieder Fuß fassen. Daher waren wir erst einmal ziemlich geschockt. Irgendwann haben wir diese erste Schockphase aber überwunden und uns gedacht, dass wir ja auch schon im richtigen Alter sind, um Kinder zu bekommen. Circa zwei, drei Wochen nach dem positiven Test haben wir dann angefangen uns zu freuen.
Und ab dann habe ich wirklich eine Bilderbuchschwangerschaft erlebt. Durch Covid ging es schnell, bis ich dauerhaft zuhause sein musste und nicht mehr arbeiten durfte. Denn Anfang 2020 wusste ja noch niemand, wie groß das Risiko für Schwangere durch das Virus sein könnte. Aber bei mir ist alles gut gegangen.
Am 30. August 2020 kam dann unsere Tochter zur Welt und wir dachten, sie sei kerngesund. Alle vorangegangenen Untersuchungen beim Frauenarzt waren super verlaufen. Auch dadurch, dass es mir während der Schwangerschaft so gut ging, dachten wir, wir müssten uns keine Sorgen machen. Wir sind davon ausgegangen, dass wir ein gesundes Kind erwarten.
Aleyna kam nach einer vierstündigen und relativ leichten Geburt zur Welt. Mit leicht meine ich, dass es weder Komplikationen gab, noch dass ich irgendwelche Eingriffe oder eine PDA gebraucht hätte. Es hat einfach irgendwie gut funktioniert, auch wenn es schmerzhaft war. Aber so sind Geburten eben.
Dann lag unsere Tochter in meinen Armen und ich war einfach nur überglücklich! Das, was alle Mamas sagen, stimmt einfach: Trotz dieses großen Schmerzes, nach der Geburt ist plötzlich alles vorbei. Ich konnte vorher nie glauben, dass solche Schmerzen auf einmal vergessen sein sollen. Aber es ist tatsächlich so!
Mein Partner neben mir hat vor Glück geweint. Es war einfach so schön! Ich hatte den Eindruck, ich hätte Aleyna nur eine Minute im Arm gehalten, da sagte die Hebamme, ich solle sie mal dem Papa geben. Ich hatte nämlich eine Wassergeburt, die Nachgeburt stand noch an und ich musste erst einmal versorgt werden.“
Kurze Zwischenfrage: Du warst nicht im Krankenhaus oder wo habt ihr euch in dem Moment befunden?
„Doch, war ich. Die meisten Krankenhäuser haben auch die Kapazitäten, um Wassergeburten anzubieten. Ich hatte mich im Vorhinein informiert und gehört, dass diese Art der Geburt angenehmer für die Mutter sein soll. Man könne sich im Wasser wesentlich leichter bewegen und auch die Wärme des Wassers sei angenehm und unterstützend. Das kann ich genauso bestätigen und würde mich auch nochmal für eine Wassergeburt entscheiden.
Wenn das Schlimmste eintritt
Unsere Tochter war unterdessen ungefähr fünf Minuten bei meinem Partner, als die Hebamme sagte, dass etwas mit ihr nicht stimmen würde. Ich war in dem Moment immer noch ziemlich benebelt von der Geburt. Als die Hebamme sagte, dass etwas nicht in Ordnung sei und mein Partner noch stärker und jetzt sorgenvoll zu weinen anfing, dachte ich mir noch, was sollte schon passieren? Unser Kind war doch gesund. Manche Kinder haben am Anfang noch etwas Wasser in der Lunge, gerade nach Wassergeburten. Daher war ich überzeugt davon, dass die Hebamme sehr bald mit Aleyna zurückkommen würde.
Ich wurde in der Zwischenzeit in den Kreißsaal verlegt und immer wieder mit den Worten vertröstet, dass unsere Tochter gleich zurückkommen würde. Andauernd ging die Tür auf, aber niemand kam mit meiner Tochter zurück. Das waren natürlich zwei absolute Horrorstunden für uns, weil uns keiner mehr sagen wollte, was los war.
Irgendwann habe auch ich selbst nicht mehr daran geglaubt, dass alles gut war. Wieso sollten sie mir das Kind sonst so lange vorenthalten? Und dann stand plötzlich der Kinderarzt vor uns und sagte: „Ich muss Ihnen jetzt sagen, falls ein medizinisches Wunder passiert, wird ihr Kind schwerstbehindert sein. Es wird weder sehen, noch schmecken, noch fühlen können. Nicht selbst auf die Toiletten gehen oder essen können, gar nichts.“ Das war dann der Zeitpunkt, zu dem ich realisiert habe, dass etwas gewaltig schief gegangen sein muss.
Dann haben sie uns in den Raum geführt, in dem meine Tochter lag. Ich konnte mich nur im Rollstuhl fortbewegen, denn nach einer Weile spürte ich die Belastungen der Geburt wieder. Aleyna lag dort auf einem kalten Metalltisch wie man ihn aus solchen Krankenhausserien kennt. Und um sie herum ein Team aus Ärzten und Rettungssanitätern aus der Kinderklinik und unzählige Hebammen. Der ganze Raum war voller Menschen, die ihr helfen wollten.
Ich kann mich vor allem an einen sehr großen Mann erinnern, der neben ihr stand und versuchte sie mithilfe einer kleinen Sauerstoffspritze am Leben zu erhalten. Man konnte erkennen, dass ihr Körper dort lag, aber sie selbst war schon nicht mehr da. Es war sehr sichtbar, dass kein Leben in diesem Körper war. Das war einfach nur eine Hülle. In diesem Moment habe ich es verstanden.
Der Kinderarzt sagte uns dann, dass wir jetzt eine Entscheidung treffen müssten. Er war sehr deutlich und nachdrücklich, weil er sicher weiß, wie man in solchen Schockmomenten mit Eltern sprechen muss. Alles weniger Direkte hätte uns wahrscheinlich nur verwirrt.
Ich habe eine Tante gehabt, die schwerstbehindert war und wusste demnach, was das für ein Leben bedeutet. Ich wusste, das ist weder eine Lebensqualität für uns noch für unsere Tochter, die die nur noch mit Maschinen weiter am Leben gehalten werden konnte. Wir haben also die Entscheidung getroffen, dass wir so ein Leben für unsere Familie nicht wollen. Dann hat das medizinische Personal die Versuche sie zu beatmen eingestellt und dadurch ging es dann auch schnell zu Ende.
Danach fing dann das ganze Drama an, denn wie sollte ich damit umgehen? Erstmal war ich als Mutter durch diese höllischen Geburtsschmerzen gegangen. Dachte mir zwischendurch, dass ich das einfach nicht schaffe, einfach nicht kann und die Geburt sofort aufhören müsse.
Irgendetwas in mir brachte mich doch zum Weitermachen, ich hielt durch und dann lag dieses vermeintlich gesunde Kind auf einmal in meinem Arm. Ich war der glücklichste Mensch der Welt und hatte zu diesem Zeitpunkt schon eine emotionale Achterbahnfahrt hinter mir gehabt… Und dann kommt plötzlich irgendein fremder Mensch, der Kinderarzt ist, und sagt mir, dass mein Kind jetzt stirbt.
Das kann ich heute – ein Jahr später – in diesem Interview so deutlich in Worte fassen. Aber in diesem Moment konnte ich das einfach nicht begreifen. Mein Partner und ich haben dann beide unsere Mütter angerufen, die dann auch trotz Covid zu uns ins Krankenhaus kommen durften. In dieser Situation war es uns tatsächlich allen scheißegal, dass auch noch dieses blöde Virus existiert hat. Alles, alles war auf einmal nebensächlich.
Wir lagen dann zu zweit auf diesem Zimmer im Krankenhaus und unsere Welt war zerstört. Wir haben nur noch mitbekommen, dass es draußen hell und dunkel wird. Aber wir haben nicht mehr verstanden, wer wir sind und die Zeit blieb für uns stehen. Ich dachte vorher immer, das sei nur so ein blöder Spruch. Aber nach diesem Erlebnis habe ich verstanden, dass es dieses Empfinden wirklich gibt. Ich habe nur noch geweint.
Dann kam noch dazu, dass natürlich meine Wochenbettzeit anbrach und demnach auch der Wochenfluss losging. Ich war also gezwungen, mich um mich selbst und meinen heilenden Körper zu kümmern, trotz des emotionalen Dilemmas, in dem ich mich befand. Ich wusste praktisch nicht mehr, wie ich noch weiterleben soll.
Ich habe mir nie die Frage gestellt, ob ich noch weiterleben will. Dafür liebe ich das Leben zu sehr. Ich habe mir gedacht, dass dieser Schmerz irgendwie zum Leben dazu gehört, aber es war schwer zu ertragen. Eigentlich kann ich gar nicht richtig in Worte fassen, wie dieser Tag in meinem Leben für mich war. Auf jeden Fall mit Abstand der schlimmste Tag meines Lebens. Ich hoffe inständig, dass ich in Zukunft nichts erleben werden muss, das schlimmer ist als dieser 30. August 2020.
Von Trauer und Sorgen
Danach begann für mich die erste Trauerphase, die so ca. acht bis zwölf Wochen gedauert hat. Diese Zeit war verbunden mit der Organisation von Aleynas Beerdigung. Das war Teil meines Verständnisprozesses, was es bedeutet, sein Kind zu verlieren. Und zwar nicht nur wie in unserem Fall direkt nach der Geburt, sondern auch in Bezug auf ältere Kinder. Menschen sterben in jedem Alter, ganz gleich, ob sie 3, 13, 23 oder 33 Jahre alt sind. Dahinter steht wahrscheinlich immer eine Mama, die noch lebt und um ihr Kind trauert. Ich denke nicht, dass es einen Zeitpunkt gibt, an dem der Tod des eigenen Kindes schlimmer oder weniger schlimm ist. Ob direkt nach der Geburt oder 30 Jahre später, es wird immer schlimm sein.
Erst nach der Beerdigung durften wir ein wenig zu Ruhe kommen. Bis zu diesem Zeitpunkt waren unsere Familien Tag und Nacht um uns herum, denn sie wollten uns nicht alleine lassen. Das hat uns sehr viel Kraft gespendet. Genau wie die Besuche von unseren engsten Freunden. Wir konnten in dieser Zeit deutlich spüren, was für ein riesiges Netzwerk hinter uns steht. Wie viele Menschen uns sehr liebhaben und mit uns gelitten haben. Auch unsere eigenen Mütter haben gelitten, denn wer will seinem Kind dabei zusehen, wenn es durch so einen schweren Schmerz gehen muss?
Als dann diese erste Phase der Trauer überwunden war, musste ich auch schon wieder arbeiten gehen. Ich war ratlos, wie ich das machen sollte. Wie ich für ein Catering Unternehmen Aufträge für freudige Firmenfeiern an Land ziehen und die alte Melissa spielen sollte. Ich konnte meine eigentliche Persönlichkeit überhaupt nicht mehr ausleben. Ich war noch nicht wieder ich selbst. Ich würde sagen, heute gibt es mein altes Ich auch nur noch zu gewissen Anteilen in mir. Zu meiner Persönlichkeit ist sehr viel Neues hinzugekommen. Aber diese unbeschwerte Melissa von damals gibt es nicht mehr.“
Als du eben zurecht gesagt hast, dass es ungeachtet des Alters immer schlimm sein muss, sein Kind zu verlieren, da habe ich mich folgendes gefragt: Gehört es eventuell zu Mutterschaft dazu, dass man immer besorgt ist und dass man generell nicht mehr so unbeschwert ist wie vorher?
„Ja, das glaube ich in jedem Fall. Ich habe alle Mamas in meinem Umfeld erzählen hören, wie schlagartig ihr Leben sich verändert habe und dass es nicht mehr so sei wie vorher. Ich kann nur davon sprechen, dass sich mein Leben als Mama ohne Kind auch stark verändert hat.
Ich denke, dass das eigene Kind das Wichtigste für dich wird und du es beschützen willst. Dadurch siehst du plötzlich potentielle Gefahren in Dingen, die dir vorher gar nicht weiter aufgefallen sind. Das sehe sogar ich jetzt, obwohl mein Kind physisch gar nicht mehr bei mir ist.
Jetzt verstehe ich auch meine eigene Mama besser. Meine Jugendzeit war recht wild. Schön, nichts Verbotenes, aber wild. Meine Mutter hat sich immer Sorgen um mich gemacht, was ich nie verstanden habe. Ich dachte mir immer, dass sie sich ruhig mal ein wenig entspannen könnte (lacht). Heute kann ich viel besser nachvollziehen, woher dieses Verhalten kommt.“
Worte verletzen, Worte befreien
Einmal abgesehen von der Beerdigung – gab es Situationen, die du als Sternenmama so gar nicht gebrauchen konntest? Also etwas, worüber du sagen würdest, damit sollte man Sterneneltern unbedingt verschonen?
„Vielleicht mit manchen Kommentaren, die ich gehört habe. Es gab Leute, die zu mir gesagt haben, dass das alles sicher schlimm sei, ich aber lieber froh sein sollte, dass es direkt nach der Geburt passiert ist. Zu dem Zeitpunkt hätte ich sie ja noch gar nicht richtig gekannt. Und wie schlimm es dagegen erst gewesen wäre, wäre sie erst nach 10 Jahren verstorben. So ein unfassbar dummer Spruch…
Wie kann man einer Frau, die ein Kind aus sich rausgepresst hat, sagen, sie solle doch froh sein, dass es so früh schon gestorben ist?! Dahinter steckte mit Sicherheit keine böse Intention und es kam nur sehr selten vor, aber manche Leute haben sich echt wie Trampeltiere benommen. Daher würde ich sagen, mit unüberlegten Kommentaren sollte man Sterneneltern in jedem Fall in Ruhe lassen.“
Hast du eigentlich rückblickend Informationen oder Erkenntnissen gewonnen, die du lieber im Vorhinein über eine Schwangerschaft oder Geburt gewusst hättest?
„Nein, gar nichts. Ich bin froh, dass ich nichts von all dem, was ich heute weiß, so detailliert wusste.
Ich bin sehr bewusst an das Thema Schwangerschaft heran gegangen ab dem Moment, ab dem ich mich auf das Kind gefreut habe. Ich bin sehr achtsam, geduldig und bewusst mit mir umgegangen. Ich denke, das ist der beste Rat, den man Schwangeren geben kann.
Man muss sich nicht zwingend damit auseinandersetzen, was alles schief gehen kann. Insofern halte ich mich auch selbst mit Berichten sehr zurück, wenn ich mit Frauen spreche, die unbedingt einmal Kinder haben wollen. Ich denke, man muss sich nicht mit jedem Horrorszenario auseinandergesetzt haben, bevor man selbst schwanger wird.“
Aber hält das nicht auch das Tabu mit aufrecht?
„Ja, zum Teil. Aber ich denke, es gibt ganz viele Frauen, die schon Mama sind und mit denen man detaillierter über eigene Erfahrungen sprechen kann. Außerdem ist es speziell in meinem Fall so, dass ich ja auf meinem Instagram Account gar kein Blatt vor den Mund nehme. Und jede Person, die mir dort folgt oder sich meine Inhalte ansieht, entscheidet sich in diesem Moment bewusst und aktiv dafür, diese Informationen von mir zu erhalten.
Alle Menschen, die das nicht möchten, können sich ebenso aktiv dagegen entscheiden, meine Beiträge etc. zu anzuschauen. Darin liegt für mich der große und wichtige Unterschied. Ich habe ein sehr gutes Gespür für mein Gegenüber und weiß ungefähr einzuschätzen, wem ich wirklich wie viel zumuten kann. Zudem denke ich, dass dieses Tabu auf einer ganz anderen Ebene und zwar gesamtgesellschaftlich gebrochen werden muss. Ohne dass jede 20jährige hören muss, was für schlimme Sachen während Geburten passieren können.
Ich fände es sinnvoll, mit meinem Thema zum Beispiel an Krankenkassen heranzutreten und Kampagnen zu allumfassenderer Schwangerschaftsgesundheit zu starten. Und in diesem Rahmen in abgespeckter Version darauf hinzuweisen, welche Risiken bspw. eine Hausgeburt haben kann. Welche Vorteile es an welcher Stelle gibt etc.
Damit junge Menschen, die Eltern werden wollen, sich nicht vom schönen und rein idyllischen Werbeschein der Instagram-Muttis, die eigentlich Unternehmerinnen sind, beeinfluss lassen. Bei denen immer alles super läuft und die nach der Geburt sofort wieder ihren Traumbody haben. Und bei denen es natürlich auch niemals zu Komplikationen in der Schwangerschaft oder unter der Geburt kommt. Es sind unheimlich viele dieser Fake-Welten leicht zugänglich unterwegs, die den Kanon bilden, auf dessen Grundlage das moderne Bild von Elternschaft festgesetzt wird.
Natürlich gibt es auch die Bilderbuchgeschichten. Aber das betrifft eben nur einen kleinen Bruchteil von Menschen, die Kinder bekommen. Daher finde ich, es müsste von bundesweiter und offizieller Stelle Informationen zum Thema Schwangerschaft verbreitet werden, die wirklich alle erreichen.“
Es klingt so, als wäre für dich vor allem Konsens dabei das Stichwort. Also eine Zustimmung zu einem Informationsangebot, das sich wiederum nicht nur in Nischen verbirgt, sondern für absolut alle klar und deutlich verfügbar und verständlich ist. Ich würde mir auch wünschen, dass wir dort hinkommen. Vielleicht sind die Krankenkassen in Deutschland oder das BZgA sogar die richtigen Ansatzpunkte.
Wünsche und Hoffnungen wachsen zu Visionen und Plänen
Vorhin hast du angedeutet, dass du dich im Übergang von der ersten zur zweiten Trauerphase nicht mehr mit dem Beruf identifizieren konntest, den du vor deinem Mutterschutz ausgeübt hast. Wie ging es dann weiter für dich?
„Ich habe meinen Job gekündigt. Natürlich habe ich mir vorher Gedanken darüber gemacht, was ich stattdessen mit meinem Leben anfangen will. Mir war auch zuvor schon bewusst, dass der Job, den ich bis dahin gemacht habe, mich nicht wirklich erfüllt. Ich bin nie nach der Arbeit nach Hause gegangen und dachte, dass ich einen richtigen Mehrwert im Leben einer anderen Person geschaffen hätte.
Meine Auffassung von einem guten Leben ist allerdings, dass wir, wenn möglich, einer Tätigkeit nachgehen sollten, die nicht nur uns selbst sondern auch anderen einen Mehrwert bringt. Mir hat es schon länger nicht mehr gereicht, nur arbeiten zu gehen, damit mein Bankkonto gefüllt wird. Deshalb habe ich noch einmal angefangen zu studieren und zwar Sozialpädagogik an einer Fernhochschule. Nebenbei habe ich angefangen in einer sozialen Einrichtung mit Kindern als English Speaker zu arbeiten.
In dieser zweiten Trauerphase hat sich übrigens auch meine Vision entwickelt. Ich habe mich gefragt, was ich mit meiner neugewonnenen Stärke und den ganzen Erfahrungen, über die ich öffentlich spreche, anfangen könnte. Ich habe in dieser Phase zwar noch jeden zweiten Tag geheult, aber mir ist sehr schnell bewusst geworden, dass es mir schon wieder etwas besser ging.
Ich war unsicher, ob es mir überhaupt schon wieder besser gehen durfte. Daraus entstand meine Vision von einer speziellen Unterstützung, die ich mir in dieser Zeit selbst sehr gewünscht hätte. Die solche Fragen und Zustände antizipiert und aufnehmen kann. Und die sich vor allem zu dem Hilfsangebot abgrenzt, das ich tatsächlich bekommen habe.
Ich habe mich mit vielen anderen Sternenmamas vernetzt und ausgetauscht. Daher weiß ich auch, dass es für viele gar keine Unterstützung gab. Und aus dieser Lücke erwuchs meine Vision von Frauenhäusern mit Schwerpunkt ganzheitlicher Gesundheit. Dieses konkrete Konzept gibt es nämlich aktuell in Deutschland nicht bzw. nicht strukturell. Ich stelle mir ein ganz spezialisiertes Hilfsangebot für Mütter und Menschen vor, die ihre Kinder verloren haben.
Um das Ganze professionell zu untermauern, habe ich das Studium begonnen. Sodass ich, wenn ich ein Frauenzentrum nach meiner Vorstellung eröffne, diese staatlich anerkannte Ausbildung besitze, um pädagogisch mit Menschen arbeiten zu dürfen. Meine zweite Trauerphase war also geprägt von Antriebsfindung und Ideen, die sich jetzt als Pläne manifestieren.
Ich knüpfe immer mehr Kontakte und plötzlich beginnen die Dinge sich zu fügen. Ein Schritt nach dem anderen zwar, denn ich möchte nichts überstürzen. Aber ich würde sagen, über diese neuen Entwicklungen, die ab und an immer noch durchzogen von tiefer Traurigkeit waren, bin ich fließend in eine dritte Phase der Trauer übergegangen. Dort befinde ich mich jetzt gerade und es ist eine Phase der großen Veränderung im positiven Sinne.“
Das klingt sehr gut und ich drücke dir bei allem die Daumen!
„Danke (lacht)!“
Das bedeutet, wir sind sozusagen im Jetzt angekommen, wo du ganz viele lose Enden in die Hand zu nehmen scheinst, um sie zu verknüpfen. Da liegt für mich natürlich die Frage nahe: Mit welchen Hoffnungen oder Gedanken blickst du in die Zukunft?
„Mit der Hoffnung, dass das Tabu, das auf Sternenelternschaft liegt, noch in meiner Lebenszeit in Deutschland abgelegt wird. Sodass ich es für mich im Rahmen meiner Vision vom Frauenzentrum beispielsweise möglich wird, mit Krankenkassen zusammenzuarbeiten und das Thema in der Politik größer zu machen.
Ich hoffe auch, dass ich die Gelegenheit finden werde, ein Buch zu schreiben. Und ich hoffe, dass dieses Buch dann nicht nur unter Sterneneltern gelesen wird, sondern weitere Kreise zieht und dadurch bei weiterer Aufklärung hilft.
Ich hoffe, dass ich aktiv daran mitarbeiten können werde, dass das Stigma auf Sternenmutterschaft verschwindet. Sodass das Thema offen besprochen werden kann und Betroffene viel einfacher an institutionelle Unterstützung gelangen können.
Darüber hinaus wünsche ich mir, dass mir meine neue Stärke bleibt. Und ich wünsche mir für mich selbst, dass ich so etwas Schlimmes in meinem Leben nicht noch einmal durchmachen muss. Denn nur weil ich es jetzt einmal geschafft habe durch diesen Schmerz zu gehen und daraus tatsächlich auch viel für mich mitzunehmen, darf nicht übersehen werden, dass der Großteil einfach eine schreckliche Erfahrung war. Daher wünsche ich mir für mich und meinen Partner, dass wir das nicht erneut erleben müssen.“
Mit diesen Worten lehnst du dich zurück und streichelst über deinen Bauch.
Das sind Hoffnungen und Wünsche auf einer sehr großen Ebene. Die natürlich aus dir selbst und deinen Erlebnissen entstanden sind, aber trotzdem direkt das Wohl von mehr Menschen als nur dir selbst im Blick haben. Gibt es auch Hoffnungen, Wünsche oder vielleicht auch Bedenken, die deine familiäre Zukunft betreffen?
„In jedem Fall, denn wir sind wieder schwanger und freuen uns riesig darüber. Es fühlt sich aber auch sehr ambivalent an, weil wir uns auf der einen Seite auf das zweite Kind freuen und auf der anderen Seite immer noch um unsere erstgeborene Tochter trauern. Ich glaube auch nicht, dass das jemals aufhören wird. Egal, ob wir jetzt bald noch einmal Eltern werden oder erst in fünf Jahren.
Die aktuelle Schwangerschaft kam unverhofft und schneller als wir gedacht haben zustande. Ich nenne es gerne unser ungeplantes Wunschkind. Denn wir waren uns schnell einig, dass wir weitere Kinder haben möchten, wenn auch erst irgendwann. Meine Frauenärztin meinte zu mir: „Hey Melissa, da hat dir jemand ein Regenbogen-Geschwisterkind geschickt.“ So nennt man nämlich die Geschwisterchen, die nach Sternenkindern kommen: Regenbogenkinder. Denn sie bringen den Regenbogen, die Sonne und die Freude zurück ins Leben.
Dahingehend ist natürlich ganz klar mein Wunsch, dass dieses Kind bitte, bitte kerngesund zur Welt kommt und sich auch dafür entscheidet, auf dieser Welt zu bleiben. Sodass wir auch einmal die Erfahrung machen dürfen, glücklich Eltern zu sein. Ein Familienglück zu dritt erleben zu dürfen und nicht nur darüber sprechen zu müssen, wie es gewesen wäre.
Insofern wünsche ich mir, dass es meinem Partner und unseren Familien immer gut geht. Ich wünsche mir ein schönes und intaktes Familienleben, in dem wir alle miteinander wachsen dürfen.“
Sternenmama Melissas Message
Die Interviewreihe, zu deren Anlass wir miteinander sprechen, heißt ja „Mama“ bzw. „Eltern Messages“. Und um den Kreis daher ein wenig zu schließen: Hast du eine Message, die du gerne an Menschen richten würdest, die überlegen, ob sie mal Eltern werden wollen?
„Gute Frage (lacht)! Eine Message von mir ist in jedem Fall: Versucht an Elternschaft positiv heranzugehen. Stellt euch vielleicht einmal die Frage, ob ihr es verkrampft versucht und wenn ja, macht euch lockerer. Lehnt euch zurück, entspannt euch und lasst euch vom Leben überraschen. Nehmt die Situationen dann an, wie sie kommen, ohne zwanghaft zu versuchen, alles verändern zu wollen. Auch wenn das schwer ist. Geht mit Liebe und Gelassenheit an das Thema Kinderkriegen heran und nicht mit Verbissenheit.
Und zu einem ganz anderen Zeitpunkt in diesem Prozess des Eltern Werdens: Lasst euch nach der Geburt alle Zeit, die ihr braucht, um wieder sexuell aktiv zu werden.
Liebe Mamas, spürt in euren Körper hinein und hört auf eure Bedürfnisse. Wenn ihr noch lange nach der Geburt nicht wieder das Bedürfnis nach Sex verspürt, dann ist das völlig in Ordnung.
Der Körper macht so viele Veränderungen durch und ist damit und mit seiner Heilung teilweise lange ausgelastet. Also lasst euch auch von euren Partnern nicht zu etwas drängen, das sich noch zu früh anfühlt. An dieser Stelle dürft ihr auf Geduld und Verständnis beharren.“
Meine letzte Frage an dich, Melissa: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Die Liebe, die man für ein anderes Wesen in sich trägt und die man bedingungslos schenken kann. Du bist eine Mama für mich, wenn du für dein Sternenkind, das in der 13. Woche abging, diese Liebe aufbringst. Du bist aber auch dann eine Mama für mich, wenn du nach der Geburt in eine Depression verfällst und dein Kind erst Wochen später annehmen und lieben kannst.
Ich denke, bedingungslos zu lieben, bedeutet, nichts zurück zu erwarten für diese Liebe. Und für ein anderes Wesen das eigene Leben ein Stück weit zurückzustellen. Damit meine ich keine komplette Selbstaufgabe. Ich denke, wir sollten die Kinder in unser Leben miteinbinden und nicht andersherum. Jeder und jede ist Mama, der oder die Liebe schenken kann. Jede Person, die Lust hat, sich auf diese Aufgabe einzulassen und auch zulässt, in diesem Zusammenhang einmal schwach zu sein.“
Liebe Melissa, ich danke dir tausendfach für dein großes Vertrauen in mich und für dein Verständnis für meinen anfänglich fehlenden Wortschatz. Ich danke dir außerdem, dass ich dir jegliche Fragen stellen durfte, die ich hatte, und dass du mir mit so großer Geduld und Offenheit begegnet bist. Ich wünsche dir, deinem Partner und eurer gesunden zweiten Tochter Nala alles, alles Gute für die Zukunft. Ich bin davon überzeugt, dass deine Vision bald zu einer Wirklichkeit wird, die deine initiale Idee bei Weitem übertrifft.
Darüber hinaus möchte ich mich zum Ende dieser Interview-Reihe noch einmal bei meinen neun anderen Gesprächspartnerinnen für ihr Vertrauen und ihren Mut bedanken. Der Einfluss dieses Projekts auf mich und die Mitlesenden ist jetzt schon so viel größer geworden, als ich es mir vorstellen konnte. Vielen Dank auch an alle Leser*innen, die diesen Texten ihre Zeit und Aufmerksamkeit geschenkt und sie mit anderen geteilt haben.