Jede Person, die sich einmal auf online Dating Plattformen rumgetrieben hat, kennt es. Dieses zunächst gähnend leere Textfeld, in das die sogenannte Selbstbeschreibung eingetragen werden soll. Manchmal gänzlich leer gelassen (keine Aussage zu treffen ist auch eine Form der Mitteilung über sich selbst, aber ist sie flirty?), häufig aber doch befüllt mit Witzen, Suchstichpunkten, Essays zur Persönlichkeitsentwicklung der*des Beschriebenen oder wenig bis mäßig aussagekräftigen Emojis.
Was früher der Absatz im Diddl Freundschaftsbuch war und meistens nur im vorpubertären Zeitalter mit Lieblingsfarben und Berufsträumen angereichert wurde, ist heute eine maximal 500 Wörter starke Herausforderung für Erwachsene und solche, die es durch eine zwischenmenschliche Eroberung vielleicht werden wollen.
Eigentlich ganz spannend, was sich beim Swipen hierdurch entdecken lässt. Vor allem dann, wenn sich Muster herausbilden. Auffallend oft begegnen mir Angaben der Körpergröße des*der Betreffenden, aber selten als neutraler Datenpunkt, sondern begleitet von einem scheinbar obligatorisch leicht zynischen „Weil es ja wichtig zu sein scheint“.
Ebenso häufig finden doch recht persönliche Daten wie der aktuelle Impfstatus oder die implizit damit verknüpfte politische Einstellung Erwähnung. Oder ob eine gewisse Toleranz gegenüber bewusstseinserweiternden Substanzen („420 friendly“ plus Pilz Emoji) meistens einhergehend mit einer subtilen bis offenen Intoleranz in Bezug auf staatliche Exekutiven („1312“ bzw. „ACAB“) bestehen.
Dating Profile – Alle gleich individuell
Ob es sich um abgekürzte Ergebnisse bestimmter mehr populärer als wissenschaftlicher Persönlichkeitstests („ENJ…“ ich weiß es doch auch nicht), die die Selbstbeschreibung eventuell sogar clever umgehen sollen, handelt oder um die pauschale Verkündigung, dass One-Night-Stands nicht willkommen seien („No ONS!“)… Die Profile sind zwar vielzählig, aber hinsichtlich beispielhaft genannter Muster eher wenig vielfältig, ja beinahe schon durch und durch kodiert.
Das ist eine interessante Beobachtung, wenn man den Gedanken der mangelhaften Individualität unserer online Dating Profile bis zu dem Punkt weiterspinnt, an dem bewusst wird, wie wenig „Auswahl“ wir folglich auf Bumble, Tinder und dem ganzen Haufen tatsächlich haben. Zumindest im Vergleich zu den nie versiegenden romantischen Möglichkeiten, die der Swiping Pool uns suggeriert. Will sagen, eine Auswahl aus 10 sehr ähnlich erscheinenden Profilen zu treffen, bildet das gleiche Maß an Kontrolle über Erfolg oder Misserfolg dieser Beziehung wie die Wahl zwischen tausenden von ihnen: Ein verschwindend geringes.
Wir sollten allgemein etwas mehr Abstand von dem Glaubenssatz nehmen, dass wir unsere online Dating Abenteuerreise wirklich selbst steuern würden und nicht die Dreifaltigkeit von Zufall (wer meldet sich wann wo an), Markt (Nachfrage nach mir und der App) und Algorithmus (wer mir überhaupt angezeigt wird und wem ich).
No drama, baby, please
Einer dieser Profil Codes fällt mir immer wieder in besonderer Weise auf. Zuerst wusste ich nicht genau, was mich am Anblick der folgenden Profilaussage so unruhig machte, aber nach einer Weile verfestigte sich mein Unbehagen und wurde zu Ärger über die meistens cis-het männlich daherkommende Suchanforderung nach „No drama“.
„Ich bin nicht auf der Suche nach Drama, sondern möchte eine entspannte Zeit haben.“
„I’m a laid-back guy, not up for no drama.”
So oder so ähnlich schlägt es mir auf glücklicherweise nicht übermäßig vielen Profilen, aber doch immer wieder entgegen. Die „Dunkelziffer“ der Profilbesitzer*innen, die sich das zwar nicht so deutlich auf die Fahnen schreiben, aber trotzdem diesen Anspruch als gesetzt für casual Dating annehmen, ist wahrscheinlich schon um einiges höher. Und im ersten Moment liegt eine mitfühlende Reaktion nahe. Natürlich will man keine dramatischen Auseinandersetzungen, sondern will Harmonie im Dating erfahren.
Schließlich wollen hier Menschen zueinander finden und ihre gemeinsame Zeit genießen. Aber wieso muss man das dann überhaupt auf dem Profil erst so plakativ deutlich machen? Ganz vielleicht, weil die Message dahinter eigentlich etwas anderes äußert, als den reinen Wunsch danach, sich zu vertragen.
Wunsch nach mehr Harmonie oder weniger Verantwortung?
Wenn man mal genauer überlegt, was „no drama“ im Dating Kontext eigentlich bedeuten müsste, gelangt man zu einem Bild von geregelter und beinahe klinisch-steriler Zwischenmenschlichkeit, welches mich mehr an einen Dienstleistungsvertrag erinnert als an alles andere. Denn was passiert tatsächlich, wenn Leute beim Dating „Drama machen“ (Nein, kein missbräuchliches oder manipulatives Verhalten, sondern ein handelsüblicher Konflikt)? Sie handeln Unterschiede in ihren Einstellungen oder Erwartungen aus. Sie setzen Grenzen.
„Drama“ oder Disharmonie entstehen nämlich dann, wenn zwei sich uneins darüber sind, wie man bspw. den gemeinsamen Umgang pflegen sollte. Oder was bei einem Treffen alles so miteinander passieren darf oder nicht. Auch was es eventuell für Folgen für den weiteren Kontakt und die zueinander entstandene Beziehung hat, wenn man miteinander intim geworden ist. Sich über solche Aspekte nicht erst einmal „on the same page“ bringen zu müssen, kommt nur dann vor, wenn man a) sich zufälligerweise eh in allem einig ist, b) sich gleichgültig gegenüber der Meinung des*der Partners*in positioniert. Oder c) im Vorhinein eine Absprache oder einen Vertrag geschlossen hat, der bereits alles weitere regeln sollte und bestenfalls keine Fragen offenlässt.
Ich weiß ja nicht, wie es bei allen anderen so läuft, aber Option c) kam mir persönlich bisweilen nicht unter und Option a) wirklich nur höchstselten. Daher vermute ich eine gewisse Mentalität der Distanzierung von der Verantwortung, die wir alle eigentlich füreinander tragen, wenn wir uns aufeinander einlassen, hinter dem mit Variante b) einhergehenden Verhalten. Der Wunsch nach möglichst wenig Drama lässt sich nämlich sehr gut in die Anspruchshaltung übersetzen, sich für „lockere Verhältnisse“ und deren zwischenmenschliche Konsequenzen nicht verantwortlich zeichnen zu müssen.
Diesen Stress und Aufwand scheint ein „casual date“ nicht wert zu sein. Das Kosten-Nutzen-Verhältnis darf für diese Art von Verhältnis nicht unverhältnismäßig werden. Denn dann ließe sich die Frequenz dieser Art von Begegnungen oder sogar deren Gleichzeitigkeit gar nicht so ohne Weiteres aufrechterhalten. Da man davon ausgehen müsste, dass anstrengende und andauernde Kommunikation von Nöten sein müsste, um die Verhältnisse zu pflegen. Sowohl über die Wünsche und Erwartungen der Partner*innen als auch über den aktuellen Zustand eigener Bedürfnisse.
Das wäre womöglich sehr kräftezehrend und zeitaufwendig, das verstehe ich schon. Aber anstatt sich bewusst und eigenverantwortlich mit den Grenzen eigener Ressourcen auseinanderzusetzen und daraus Konsequenzen a la „Ich habe nur Kapazitäten für ein intimes Verhältnis zur (selben) Zeit“ zu ziehen, wird diese Verantwortung ausgelagert, indem man den Anspruch auf „no drama“ innerhalb von Beziehungen etablieren will. Sollen sich doch die anderen allein mit ihren Problemen im Verhältnis zu mir auseinandersetzen. Ich habe ja direkt von Anfang an gesagt, ich bin nicht offen für Diskussion.
Wieso „no drama“ kein legitimer Anspruch sein sollte
Als würden die Mitspielenden aus reinem Spaß an der Freude „Drama machen“. Als würde es sich dabei nicht um ein Äußern der eigenen Bedürfnisse und Grenzen handeln, ganz genau wie der Wunsch kein Drama zu erleben. Nur dass das „Drama“ eventuell doch keine weinerliche Hysterie einer gelangweilten Tinderella darstellt, die dazu auch noch gar keinen Grund hatte.
War doch von vorneherein klar, dass es bei den Treffen nur um Sex geht. Und bisschen Netflix und Kuscheln gegen einsame Sonntagabende. Und ab und zu bei jedem Date über Kindheitstraumata, den strengen, nie zufriedenen Vater und die Ellbogenmentalität im Job auskotzen, während man mit dem Kopf in ihrem Schoß… Was? Das hat jetzt Assoziationen einer verbindlichen Beziehung geweckt, obwohl mein lone-wolf Selbstbild was ganz anderes kommuniziert hat?
Selbst wenn man konsistent in dem ist, was man über die eigenen Erwartungen und Wünsche an Beziehungen kommuniziert und lebt. Wieso sollten wir davon ausgehen, dass es allein das „Problem“ unseres Gegenübers ist, wenn er*sie sich gewahr wird, dass seine*ihre Bedürfnisse sich verändert haben?
Was ist das für ein Anspruchsdenken, nach dem wir mit dem Verlassen eines anderen Körpers auch direkt die ganze Verantwortung für das entstandene Verhältnis abstreifen? Wie realistisch kann das sein? Was daran soll für wen genau erstrebenswert oder irgendwie vorteilhaft sein? Füttert das nicht auch bei den Leuten am längeren Hebel der Bedürfnisse letztlich die Angst, dass man sie bei anderer Gelegenheit ähnlich im Regen stehen lässt?
Was ich an der „no drama“-Bio unverschämt finde – wenn ich sie nicht sogar als red flag betrachte – ist, dass ich mich sofort in meinem Recht stumm gestellt fühle, mein Wohlergehen innerhalb einer Beziehung zu thematisieren und dadurch zu beschützen. Wer mir von Beginn an zu verstehen gibt, dass jegliche Konfrontation mit anderen Ansichten oder Bedürfnissen unerwünscht ist, der triggert meinen weiblich-serviceorientierten Reflex nicht als anstrengend wahrgenommen werden zu wollen. Bloß keine Arbeit zu machen oder emotional unangenehm zu werden, selbst wenn das auf Kosten meines mentalen Friedens und meiner Zufriedenheit in einer Beziehung geht.
Own your drama!
Das mag als so ausbuchstabierte Äußerung viel radikaler klingen als betreffende Personen mit so einer Bio das wahrscheinlich je selbst formulieren würden. Aber haben sie sich wirklich mal damit auseinandergesetzt, was sie da auf ihren Durchschnittsprofilen verlangen? Ob sie sich jemals gefragt haben, inwieweit intime Verbindungen unter solchen Vorzeichen überhaupt möglich sind? Ob sie ihren Verhältnissen dadurch nicht einen gläsernen Boden einbauen, der immer verhindern wird, dass die Beziehung eine Tiefe erreicht, die gegenseitigen Respekt, funktionierende Kommunikation und ein generelles Wohlfühlen ermöglicht?
Anyway. Ich möchte mit diesem Text den besagten Profiltexten widersprechen. Ich möchte Mut dazu machen, anstrengend zu sein, wenn es eben sein muss. Nehmt euch nicht zurück, wenn Partner*innen oder Dates eure Grenzen übertreten oder den Anforderungen nicht gerecht werden, die ihr zu eurem Beziehungsglück braucht. Jede*r sollte die Freiheit und Unabhängigkeit dazu haben, das sogenannte „Drama“ zu machen, wenn ihm*ihr danach ist. Und ich finde nicht, dass andere Beteiligte sich dann sofort achselzuckend aus dieser Affäre ziehen sollten. Denn das ist eben, worauf wir uns einlassen, wenn wir zueinander in Beziehung treten wollen.
Wer sich herausnehmen möchte, anderen als Beziehungsvoraussetzung die Stimme ihrer Bedürfnisse zu nehmen, sobald ein Interessenskonflikt aufkommt, sollte die eigenen Erwartungen an ein respektvolles Miteinander überdenken.
Seid laut, seid fordernd, macht Drama, wenn ihr anders nicht gehört werdet. Bleibt dabei aber bitte selbst respektvoll und akzeptiert, wenn euer Gegenüber nicht auf eure geäußerten Bedürfnisse eingehen kann oder möchte. Lasst euch in diesem Fall jedoch kein schlechtes Gewissen für eure Erwartungen machen, lasst euch nicht stumm schalten, sondern nehmt euch heraus, eure Beziehungen aktiv und nach eigenen Vorstellungen zu gestalten. Und wer da nicht mitmachen möchte, den*die lasst hinter euch. Nutzt ja eh nix.
Auf den Geschmack gekommen, mich über Dating ranten zu lesen? Dafür gibt’s hier quasi ne ganze Kategorie. Schau mal bei „Lust und Frust“ rein.