Herzlich Willkommen in dem Raum, in dem es erlaubt und erwünscht sein soll, dass alle Fragen gestellt und authentisch von der Leber weg beantwortet werden können. Herzlich Willkommen zum ersten Text der Reihe „Mama Messages“.
Eine Interview-Reihe zu den Themen Schwangerschaft, Geburtserleben und Mutterschaft sowie zu allen umwerfenden und unerwarteten Erfahrungen, die mit diesen großen Umbruchpunkten im Leben vieler Frauen und Personen mit Uterus einhergehen. Diese Reihe entstand aus dem dringenden Bedürfnis heraus, die vielen gesamtgesellschaftlichen Leerstellen über Mutterschaft zu Lehrstellen werden zu lassen. Für alle Neugierigen und Unentschlossenen, wie ich selbst eine bin. Aber auch für alle Mütter, Eltern und Sorgetragenden, die alle so viel Respekt verdienen. Und mehr noch: Das Wissen, dass sie – auch mit ihren individuell scheinenden Schwierigkeiten und Gedanken – tatsächlich nie allein waren.
Lies gerne zuerst die Einleitung zur Reihe „Mit dem 1. Schrei – Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen“
Trigger-Warnung: Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch und Depression (die Textstellen sind farblich gekennzeichnet, sodass sie einfach übersprungen werden können).
Mama Rias Kinderüberraschung
Ria, 28, hat einen Sohn, der zum Zeitpunkt des Gesprächs 2 Jahre und 2 Monate alt ist.
Cleo: Sag mal, Ria, hast du Mutterschaft schon immer als Teil deines Lebensplans betrachtet oder nicht?
Ria: „Ja, das habe ich zwar, aber ich bin trotzdem nicht mit Absicht schwanger geworden.“ (lacht)
Nicht mit Absicht, das ist ja schonmal spannend! Was hast du denn gedacht oder gefühlt, als du deine überraschende Schwangerschaft bemerkt hast?
Ria: „Gefühlt habe ich eine leichte Panik. Aber ich habe mich darum bemüht ruhig zu bleiben, weil ich dachte, dass das eigentlich nicht sein kann. Denn ich habe damals mit einem Nuvaring verhütet. Gedacht habe ich in dem Moment aber sehr analytisch, ich habe versucht andere Gründe für meine andersartige körperliche Verfassung zu finden. Ob ich zum Beispiel meinen Lebensstil verändert hatte oder irgendetwas anders gemacht hatte als sonst, das meinen Zyklus beeinflusst haben könnte. Hatte ich aber nicht.“
Welche Veränderungen hast du denn bemerkt?
„Ich hatte als erstes wahnsinnige Brustschmerzen. Wie kurz vor meiner Periode, nur mit dem Unterschied, dass es nicht kontinuierlich besser wurde und dann die Blutung einsetzte, sondern dass es täglich mehr schmerzte. Ich konnte meine Brust fast gar nicht mehr berühren, das war irgendwann viel zu unangenehm. Ich konnte gar nicht mehr auf dem Bauch liegen und auch schon nach einer Woche keine BHs mehr tragen… Und als dann meine Brüste auch noch anschwollen, wusste ich auch schon, was Phase war. Es gab keine andere mögliche Erklärung mehr als eine Schwangerschaft. Ich hatte zum passenden Termin Sex gehabt und dann blieb auch noch meine Periode aus.“
Als es keine andere Erklärung mehr gab, wie hast du dich dann gefühlt?
„Noch panischer (lacht)! Ich hatte fürchterliche Angst, einen Schwangerschaftstest zu machen und war zu dem Zeitpunkt auch in der schlechtmöglichsten Situation für ein Kind: Ich befand mich am Beginn einer neuen Ausbildung, war daher wieder bei meiner Mutter eingezogen, weil ich so schnell keine Wohnung in der betreffenden Stadt gefunden hatte und bewohnte deshalb ein Reich, das ganze 9 Quadratmeter groß war. Und hatte meine Mutter daher permanent um mich… Ich habe dann noch fast eine ganze Woche gewartet, bis ich mich getraut habe einen Test zu machen. Weil ich ja wusste, wie das Testergebnis ausfallen würde. Und der Teststreifen zeigte schon nach sehr kurzer Zeit und in leuchtenden Farben ein positives Ergebnis an.“
Du sagst, du hast Panik empfunden und dich dazu selbst in einer sehr unvorteilhaften Lebenssituation gesehen, um ein Kind zu bekommen. Hast du an diesem Punkt über einen Schwangerschaftsabbruch nachgedacht?
„In dem Moment noch gar nicht. Ich habe erst einmal den Ist-Zustand sacken lassen und gleichzeitig den Vater des Kindes informiert. Und als er mich dann fragte, was ich tun wollte, kam in mir ganz automatisch das Gefühl auf, dass ich das Baby behalten möchte. Ich habe etwas später darüber nachgedacht, ob es rational gesehen nicht vielleicht klüger wäre, abzutreiben. Aber meine intuitive Entscheidung, buchstäblich aus dem Bauch heraus, war, dass ich dieses Kind bekommen möchte. Meine Vernunft hat dabei gar keine wirkliche Rolle gespielt, meine Intuition war einfach schneller und auch stärker. Die Idee eines Abbruchs stand deshalb nie mehr als nur so etwas ganz Abstraktes im Raum.“
Wusstest du denn, was die nächsten Schritte für dich sind? Und falls nicht, wo hast du dir Rat gesucht?
„Nachdem ich mit dem Vater gesprochen habe, habe ich mir erstmal ein paar Tage Zeit gelassen. Ich wusste, dass es in so einer frühen Phase der Schwangerschaft auch ohne absichtliches Zutun zu einem Abgang kommen kann. Ich habe irgendwann meinen Frauenarzt angerufen, um mitzuteilen, dass mein Teststreifen positiv war und um zu fragen, was ich jetzt tun soll.“
Also du warst darauf angewiesen beim Arzt anzurufen, damit dir die notwendigen Infos und Unterstützung angeboten werden konnte?
„Absolut. Ich wusste, dass man eine Schwangerschaft erstmal bestätigen soll, um Fehler auszuschließen. Als ich dann beim Termin war, habe ich erwartet, dass meine behandelnde Ärztin mich darüber aufklären würde, dass es Möglichkeiten gibt. Das ist aber tatsächlich nicht passiert.“
Du bist also nicht gefragt worden, ob du das Kind überhaupt behalten möchtest?
„Nein, ganz im Gegenteil. Trotzdem ich dort saß und absolut nicht wie das glückliche blühende Leben aussah. Ich war unglaublich unsicher und habe der Ärztin auch direkt mitgeteilt, dass das keine geplante Schwangerschaft war, die trotz Verhütung entstanden sei. Meine Ärztin beglückwünschte mich aber trotzdem direkt, so als wäre alles schon entschieden. Dabei wusste ich in dem Moment überhaupt nicht, ob ich das alles durchziehen kann. Dass ich es gerne durchziehen können würde, wusste ich schon, aber ich hatte eben große Zweifel und auch die andere Option noch im Hinterkopf.“
Hättest du denn gewusst, wie du ohne deine Ärztin an die Option eines Abbruchs herangekommen wärst?
„Nein, überhaupt nicht. Das ist eine riesengroße Wissenslücke bei mir.[1]“
Hast du denn dann von deiner Ärztin Informationen über die erste Zeit der Schwangerschaft erhalten? Also was dich erwartet oder wie du dich verhalten sollst, wenn deine Schwangerschaft bestehen bleibt?
„Ja, ich habe ein paar Materialboxen bekommen. Die Ärztin selbst hat mich wenig aufgeklärt. In diesen Babyboxen waren Broschüren, Büchlein und kleine Söckchen. Alles total niedlich, aber nicht wirklich hilfreich. Ich habe mir das alles einmal angeguckt und es dann nicht mehr angefasst, weil da nichts drin war, was die Fragen beantwortet hat, die mich in dem Moment wirklich beschäftigt haben. Und meine Ärztin hat nur ein paar Tests gemacht, um meinen allgemeinen Gesundheitszustand festzustellen.“
Hat sie dir denn gesagt, wie du dich verhalten sollst? Klassischerweise stelle ich mir vor, dass dann Ernährungstipps kommen?
„Ja, ne ganze Reihe. Solche Infos habe ich wirklich viel bekommen innerhalb der ersten Termine. Gerade weil die ersten 3 Monate einer Schwangerschaft ja die wirklich prägendste und wichtigste Phase der Entwicklung des Embryos ist. Zum Beispiel, dass man keine Salami essen darf. Das habe ich vorher nicht gewusst. Ich habe mich dann im Internet darüber umfassend informiert, welche Lebensmittel ich meiden soll. Aber da traf ich auch auf nichts anderes als das, was meine Ärztin mir geliefert hat: Nichts als Basics.“
Wo hast du diese Basics denn im Netz gefunden?
„Ich habe einfach gegoogelt und bin über die erste Seite der Suchergebnisse hinaus von Link zu Link tiefer in die Materie eingestiegen. Meistens habe ich bei eltern.de angefangen. Wenn man eben noch überhaupt nichts weiß, kann das einen Anstoß geben. Irgendwann hatte ich dann das Gefühl, dass ich einen groben Überblick darüber hatte, was ich zu mir nehmen sollte und was besser nicht.“
Eine Zwischenfrage hier: Hattest du das Gefühl diese Seiten wollten hauptsächlich informieren oder dir dabei auch etwas verkaufen?
„Auf jeden Fall gab’s ein kommerzielles Interesse. Zwar nur mit sehr subtiler Werbung und die Information stand im Vordergrund, aber häufig wurden nur bestimmte Marken empfohlen und keine Alternativen. Beim Folsäure-Präparat war es bspw. so, dass meine Ärztin mir das empfohlen hat. Und obwohl es tierisch teuer war, habe ich mich auch gar nicht nach Alternativen umgesehen, weil sie es mir so sehr ans Herz gelegt hat.“
Das klingt für mich sehr danach, als wären all die Informationen, die du am Anfang deiner Schwangerschaft gekriegt hast, sehr auf das Kindeswohl ausgerichtet gewesen. Ich hätte ja gedacht, dass es auch ärztliche Ratschläge oder Tipps für das Wohl der Mutter geben würde. Zum Beispiel gegen Morgenübelkeit, falls du das hattest?
„Ja, also was heißt Morgenübelkeit… Das war eine Ganztagsübelkeit. Ich habe mich 3 Monate nur von Apfelmus und Avocados ernähren können und 7 Kilo Gewicht verloren, weil ich ständig nur gekotzt habe. Als ich mir dazu Rat bei meiner Ärztin suchen wollte, weil mich dieser Umstand auch stark beim Arbeiten gestört hat, sagte sie, ich könne keine Medikamente nehmen, sondern müsse irgendetwas mit Ingwer ausprobieren. Ich habe eine sehr starke Abneigung gegen Ingwer. Trotzdem habe ich dann jeden Morgen mein Ingwerwasser mit zur Arbeit genommen, wo natürlich auch noch niemand von meiner Schwangerschaft wusste.“
Das große kleine Geheimnis
Das erinnert mich an diesen allseits bekannten Kodex, dass in den ersten 3 Monaten der Schwangerschaft nicht über selbige gesprochen wird. Hast du dich daran auch gehalten?
„Ich habe tatsächlich nur mit ausgewählten Menschen gesprochen. Mit meiner besten Freundin, die es sowieso irgendwie gerochen hat (lacht). Ich habe auch mit meiner Mutter darüber gesprochen, obwohl mir das ein wenig Angst gemacht hat. Ich hatte befürchtet Vorwürfe zu hören. Und mit dem Vater des Kindes natürlich.“
Okay, dass du es auf der Arbeit nicht direkt erzählt hast, kann ich verstehen. Die Verkündung einer Schwangerschaft tritt in diesem Kontext ja auch weitere Prozesse los. Aber in anderen Bereichen wie z.B. beim Sport hast du auch nichts gesagt? So als Information a la „falls es mir nicht so gut geht zwischendurch, ich bin schwanger.“
„Nein, gar nicht, ich musste es nur im Vertrauen zwei Arbeitskolleginnen erzählen, weil sie es quasi von selbst erraten haben. Es hieß im Spaß „Wer ist denn schwanger?!“ und da bin ich in Tränen ausgebrochen (lacht). Das war aber dann ein eher unfreiwilliges Geständnis. Ansonsten habe ich es absolut für mich behalten.“
Natürlich soll die Geheimhaltung schützen, aber was hältst du persönlich davon? Ich habe mich gefragt, falls dann doch ein natürlicher Abgang der Schwangerschaft passiert und niemand weiß, was die Mutter gerade durchmacht, kann das nicht auch zusätzlich belastend sein? Ich frage mich, ob dieses „so tun als wäre nichts gewesen“ vor Uneingeweihten nicht auch der eigenen Trauerbewältigung im Weg steht.
„Ich finde das schwierig. Für mich war das an sich kein großes Geheimnis. Ich hätte aber dieses Gespräch mit Menschen nicht führen wollen, die mir nicht so nahestehen, dass ich ihnen nicht sowieso erzählt hätte, dass ich einen Abgang hatte. Gerade weil das psychisch so belastend ist. Ich schätze, ich könnte so etwas besser verarbeiten, wenn ich das Thema im kleinen Kreis besprechen kann.“
Ja, das kann ich verstehen. Allerdings denke ich, dass diese sehr strikte Trennung auch verhindert, dass uns allen bewusstwird, wie viele Frauen tatsächlich von Abgängen oder sogar Fehlgeburten betroffen sind. Mit meinem aktuellen Wissensstand würde ich mich erstmal komplett allein fühlen in meinem Bekanntenkreis, wenn mir das selbst passiert. Und durch dieses starke private Siegel würde es mir sehr schwerfallen, aktiv nach anderen Betroffenen zu suchen. Ich würde mich wahrscheinlich im Netz umsehen, aber das wären ja keine Erfahrungen von Menschen, die mir vertraut sind.
„Ich glaube, es ist so ca. jede 2. Schwangerschaft, die natürlicherweise innerhalb der ersten 12 Wochen abbricht. Das ist erschreckend häufig und war mir früher auch überhaupt nicht bekannt. Ich habe das dann irgendwann mal im Internet gelesen. Letztens meldete sich eine alte Klassenkameradin bei mir und erzählte, dass sie jetzt auch ein Kind bekommen hätte. Sie sagte fast beiläufig, dass das aber nicht ihre erste Schwangerschaft gewesen sei, sondern dass sie bereits einmal ein Kind verloren hatte. Ich wusste gar nicht, was ich darauf sagen und wie ich damit am besten umgehen sollte, weil mir das Thema „Kinder verlieren“ total fremd ist. Dadurch fehlt an dieser Stelle natürlich auch ein Verhaltenskodex, der ein wenig Stabilität geben könnte. Wenn es um Schwangerschaftsabbruch oder Fehlgeburt geht, dann weiß ich gar nicht mal welches Wort ich eigentlich verwenden soll.
Ich verbinde mit diesen Begriffen eine diffuse Schuldzuweisung. Wurde etwas Falsches gegessen, sich zu wenig bewegt, wurde nicht auf den Körper gehört? Es fühlt sich direkt so an, als wäre man als Schwangere sofort dafür verantwortlich, wenn die Schwangerschaft nicht erfolgreich ist. Und ich denke, wenn da mehr und breitere Information zum Allgemeinwissen zählen würde, dann würden sich viele Leute auch weniger Selbstvorwürfe machen. Oder vorgehalten bekommen, sie hätten fahrlässig gehandelt.“
Das denke ich auch. Dabei ist sogar die Entstehung einer Schwangerschaft so ein unwahrscheinliches Ereignis, weil so viele Parameter stimmen müssen und dann noch das richtige Timing… Dass die Schwangerschaft bis zuletzt erfolgreich ist, kann sicherlich unterstützt und begünstigt werden, aber so wenig liegt eigentlich in der Hand der Eltern, dass sich in dieser Situation niemand einen Vorwurf machen sollte.
Sexy Mama
Apropos Schwangerschaft: Wie würdest du deine Erfahrungen aus der Schwangerschaft in wenigen Worten beschreiben?
„Nicht schön, aber besonders.“ (Gemeinsames Lachen)
Fallen dir Aspekte ein, die für dich unerwartet waren?
„Ich fand es sehr unerwartet, dass es mir nach den berüchtigten ersten 3 Monaten immer noch körperlich nicht wirklich gut ging. Die mediale Repräsentation beschränkt ja die Übelkeit etc. immer nur auf die erste Zeit, wenn es sonst noch keine von außen sichtbaren Anzeichen der Schwangerschaft gibt. Und danach, wenn der Bauch sich wölbt, ist alles wieder gut. Dabei geht das Kotzen auch gar nicht schon ganz am Anfang los, sondern erst eine ganze Weile, nachdem die Periode ausbleibt.
Ich dachte, nach der ersten Zeit würde es besser werden und ich könnte einfach meinem Bauch beim Wachsen zusehen. Ich habe mich aber an keinem einzigen Tag meiner Schwangerschaft wirklich gut gefühlt. Zwar auch nicht immer wirklich schlecht und ich war natürlich erleichtert als das Gekotze endlich aufgehört hat, aber im heißen Spätsommer schwanger zu sein, ist einfach kein Spaß. Ich bin jeden Nachmittag auf dem Heimweg von der Arbeit in der Straßenbahn ohnmächtig geworden, weil einfach alles so anstrengend war.“
Also unerwartet war, dass es keine „neutrale“ oder „unanstrengende“ Phase in der Schwangerschaft gab. Gab es denn auch etwas unerwartet Positives? Wie sah’s mit dem Sexdrive aus?
„Der war tatsächlich krass hoch. Ich hatte wahnsinnig viel Lust und das eigentlich gar nicht mehr richtig im Griff (lacht). Selbst wenn ich sauer auf meinen Partner war und ansonsten auch die Umstände überhaupt nicht für Sex sprachen, wollte ich nichts anderes. Er konnte aber auch die Finger nicht von mir lassen. Und je mehr mein Bauch wuchs, desto häufiger initiierte er den Sex, was mich überrascht hat. Es war Lust jenseits von Gut und Böse!“ (lacht)
Dich hat überrascht, dass dein Partner durch deine körperliche Veränderung so angeturnt war? Wieso das?
„Tja, weil ich da auch schon ganz andere Reaktionen von Männern in Bezug auf meine Schwangerschaft bekommen habe (lacht). Im fünften Monat konnte ich meinen Bauch noch ziemlich gut unter Kleidung verstecken und war damals mit meinen beiden besten Freundinnen tanzen. Plötzlich wurde ich von der Seite von einem jungen Mann angesprochen, der mir ziemlich eindeutig schöne Augen machen wollte. Er stellte sich mir mit „Ich bin…“ vor und ich antwortete „Und ich bin schwanger!“ und vermutlich hat der ganze Saal hören können, wie laut und erschreckt er geflucht hat.“ (lacht)
Wie siehst du denn selbst die Verbindung von Mutterschaft und Sexiness?
„Also ich selbst finde mich überhaupt nicht sexy, was aber daran liegt, dass ich weiß, wie selten ich dazu komme gründlich zu duschen (lacht). Man hat als Mutter generell, aber vor allem als hauptsächlich Alleinerziehende, wie ich eine bin, eigentlich überhaupt keine Zeit, um sich über Sexiness Gedanken zu machen. Für mich kam überraschend, dass manche Männer in meinem Umfeld das aber ganz anders sehen und mir signalisieren, dass sie mich attraktiv finden. Ich habe aber auch die Erfahrung gemacht, dass meine Mutterschaft auf Männer, also potentielle Partner, sehr abschreckend wirken kann, wenn sie nicht von vorneherein ersichtlich ist.
Mir ist es einmal passiert, dass ich mit dem Rad unterwegs war und mich ein attraktiver anderer Radfahrer angesprochen hat. Er wollte mich auf einen spontanen Kaffee einladen, aber ich habe ablehnen müssen, weil ich gerade auf dem Weg war meinen Sohn abzuholen. Da hat er, sobald die Ampel wieder grün wurde, ganz schön Gas gegeben. Man ist dann vielleicht noch sexy, aber definitiv nicht sexy genug, um das Kind auszugleichen.“
Aber müssen Mütter überhaupt sexy sein? Ich meine, hast du denn auch selber etwas davon, mal ganz abgesehen davon, wie und ob Männer dich wahrnehmen? Ich muss da an die „get your body back“ Bewegung auf Social Media denken, wo propagiert wird, dass es der Wunsch vieler Mütter selbst sei, wieder auszusehen wie vor ihrer ersten Geburt. Eine Agenda, in der wahrscheinlich sehr viel Geld steckt. Setzt dich das unter Druck?
„Nicht mehr so extrem wie früher. Aber die öffentliche Darstellung von Müttern triggert mich immer wieder, weil von vielen Seiten die Erwartung gestellt wird, man müsse wieder „normal“ aussehen wollen, also wie vor den Kindern. Wenn man das nicht versucht, dann würde man sich „gehen lassen“.
Zusammengefasst soll man so aussehen, als hätte man kein Kind. Man soll so arbeiten, als hätte man kein Kind und man soll so Mutter sein, als hätte man keinen Job.
Und das natürlich immer und alles gleichzeitig, was natürlich völlig unrealistisch ist. Ich bin froh, dass es im Moment in den sozialen Netzwerken auch eine Gegenbewegung dazu gibt. Dass es auch andere Körperbilder zu sehen gibt, als das unrealistische Schönheitsideal. Ich glaube aber auch, dass gerade nach der Anfangszeit, also den ersten 3-6 Monaten mit Kind, diese Ansprüche viel aus einem selbst kommen, weil man das Gefühl bekommt, die eigene Identität zu verlieren. Weil man so viel Magie erwartet, wenn das Kind einmal da ist. Aber anstatt viel Magie hast du vor allen Dingen ein hilfloses winzig kleines Würmchen und ansonsten Zerstörung pur. Und in diesem Spannungsfeld findet man nicht viel Schönes an sich selbst.“
Was ist es denn genau, was du nicht mehr schön findest?
„Naja, zum einen ist da der Bauch mit seiner Größe und den Schwangerschaftsstreifen. Auch wenn das Kind geboren ist, ist der ja nicht sofort wieder flach. Bei mir blieb so ein Sechsmonatsbauch zurück. Der Körper braucht ja auch seine Zeit, um alles zurückzubilden. Und das ist nichts, worüber ich vorher informiert worden wäre.“
Das bedeutet, so lange das Baby drin ist, hast du sozusagen die Berechtigung für einen dicken Bauch und wenn es auf der Welt ist, dann nicht mehr?
„Gefühlt, ja. Es ist zwar normal, aber es war total seltsam. Als ich dann da lag mit meinem schwabbeligen Sechsmonatsbauch, der keine Existenzgrundlage mehr hatte, weil er niemanden mehr beherbergen und füttern musste. Außerdem konnte ich mich nicht bewegen und habe stark geblutet.“
Wochen…was? Wochen-Stress!
Das ist dann das, was man Wochenbett und Wochenfluss nennt oder?
„Genau, Wochenbett ist die Ruhezeit, die man 8 Wochen nach der Geburt einhalten soll, in der man auch gesetzlich nicht arbeiten darf und Mutterschaftsgeld bekommt. Ich habe aber auch erst im Krankenhaus erfahren, dass das „Bett“ wirklich wörtlich gemeint ist. Also die ersten Wochen nur zu liegen und sich auszuruhen.“
Wie realistisch ist das eigentlich?
„Das Kind ist in der ersten Zeit nicht sehr aktiv, das erleichtert die Sache schon.“
Aber das Leben um dich herum geht doch weiter, du musst was essen und dein Lebensraum muss erhalten bleiben. Das muss dann ja jemand für dich machen oder nicht?
„Ja, also man braucht auf jeden Fall Hilfe in dieser Zeit. Aber mit solchen Sorgen war ich gar nicht so hauptsächlich beschäftigt, denn nach der Geburt verändert sich der Hormonspiegel ja Stück für Stück wieder und das bringt die spürbarsten Veränderungen mit sich. Ich hatte zum Beispiel während meiner Schwangerschaft noch viel volleres Haar bekommen, was sich dann aber durch den Hormonumschwung dazu entschied, in rauen Mengen wieder auszufallen. Ich habe furchtbar ausgesehen und mich dadurch auch furchtbar gefühlt. Jedes Mal, wenn ich geduscht habe, hatte ich büschelweise Haare in der Hand. Aber ich weiß erst jetzt, dass das völlig normal ist. Genauso wie die Tatsache, dass der Rückgang der Schwangerschaftshormone noch andere Nebenwirkungen hat und es allgemein eine sehr anstrengende Umstellung ist bis zu dem Moment, an dem die erste Periode wieder einsetzt.
Dann kehrte körperlich gesehen auch wieder rasch Normalität ein. Aber aus psychischer Perspektive befand ich mich in einer tiefen Identitätskrise, weil ich mich selbst nicht wieder erkannt habe. Es waren Monate vergangen, es war alles soweit abgeheilt, was nach meiner vaginalen Geburt abheilen musste, und ich dachte, jetzt müsste ich eigentlich wieder aussehen wie vor der Schwangerschaft, aber dem war eben nicht so. Und ich habe mich unheimlich hässlich gefühlt und war immer sehr, sehr müde. Die Schlaf- oder Erholungsphasen in dem Rhythmus, den das Kind vorgibt, sind so kurz und ich frage mich heute, wie man da von sich erwarten kann, man müsse den Haushalt alleine machen und alles andere selber schaffen und dabei auch noch gut aussehen. Das ist einfach ein so unrealistischer Anspruch.“
Woher kommt dieser Anspruch denn? Liegt das daran, dass vorher niemand sagt, dass du dein Leben nicht einfach mit derselben Organisation wie vorher weiterleben kannst, nur eben dann mit Kind?
„Absolut. Aber es wird auch allgemein erwartet, dass man das kann. Dass das Kind nebenbei auch noch gemanagt wird.“
Kommen denn diese Erwartungen von außen überhaupt von anderen Müttern oder Eltern oder kommt sie mehr aus dem Teil der Gesellschaft, in dem Sorgearbeit für Kinder keine Rolle spielt?
„Das kommt viel von institutioneller Seite, aber leider auch häufig von Männern in meinem Umfeld. Weil die sich als „unwichtigerer Elternteil“ sehen und deshalb eher weiterarbeiten, sodass sie schlicht nicht wissen, wie das Leben mit kleinem Kind zuhause abseits der Wochenenden ist. Und daher kommt diese „was machst du denn den ganzen Tag“ Einstellung und „irgendwer muss ja den Haushalt schmeißen“. Von Müttern in der gleichen Situation erlebe ich das überhaupt nicht. Ganz im Gegenteil sogar. Da kommen Eingeständnisse und Verständnis, auch wenn das nicht ganz ohne weiteres untereinander ausgetauscht wird.“
Es will sozusagen keine sich als erste die Blöße geben, dass sie nicht „alles auf einmal schafft“?
„Ja, genau. Ich war so gefangen in diesem „ich muss das aber schaffen, weil alle anderen es ja auch schaffen“. Dabei ist das totaler Bullshit. Kein Mensch schafft das, aber niemand zeigt es.“
Was, denkst du, müsste passieren, damit es in der nächsten Generation von Müttern normal ist und nicht negativ bewertet wird, wenn man äußert, dass man sich überfordert fühlt? Dass nichts perfekt ist und es auch nicht sein muss, auch nicht für und rundum das eigene Kind?
„Dazu braucht es Kommunikation zwischen Müttern und ihren Kindern. Zwischen allen Mitgliedern der Familie und dem erweiterten Familienkreis, zwischen Freundinnen und Freunden. Zwischen allen eigentlich, der ganzen Gesellschaft. Alle sollten miteinander sprechen, auch fremde Personen untereinander. Es gäbe überall die Möglichkeit für diesen Kontakt. Seit mein Sohn in der KiTa ist, habe ich Kontakt zu ca. 12 anderen Müttern, die z.T. mehrere Kinder haben und die sich dermaßen aufhübschen, um ihre Kids zur KiTa zu bringen oder abzuholen. Ich habe irgendwann einfach den Schritt gemacht und gesagt, ich krieg‘s überhaupt nicht hin, ich komme zu nichts, ich lege jetzt sicher kein Makeup auf, um zur KiTa zur gehen. Und dann reagieren die anderen auch darauf.“
Du meinst, die anderen Mütter haben ihr Verhalten auch angepasst?
„Ja, es kam allerdings stark auf das Alter der Frauen an. Ich bin mit 26 im Vergleich zu den anderen KiTa Mamas recht jung Mutter geworden und mein Eindruck war, dass je älter die Mütter sind, desto länger haben sie daran fest gehalten eine Art Schein zu wahren. Um nicht zuzugeben, dass es einfach viel ist.“
Aber das bedeutet, du siehst eine Entwicklung im Verhalten der jüngeren Mütter?
„Ja. Möglicherweise liegt es daran, dass die jüngeren Mütter etwas mehr zu Freundinnen geworden sind und es in der vertrauteren Gruppe einfacher ist, Überforderung oder Herausforderungen zuzugeben. Das zeigt, wie wichtig der ehrliche Austausch ist.“
Wenn die Tochter Mutter wird
Hat sich denn deine Sicht auf oder dein Verhältnis zu deiner eigenen Mutter durch deine Erfahrungen verändert?
„Ja! Wir sind uns sehr viel näher als früher. Wir sind sehr unterschiedliche Persönlichkeiten, die sich aber angenähert haben, weil meine Mutter mich jetzt, da ich selbst Mutter bin, auf eine andere Art ernst nimmt. Es fühlt sich so an, als würde sie mich jetzt erst als vollwertige Erwachsene wahrnehmen.“
Und was fühlst du ihr gegenüber?
„Ich habe gelernt, dass ich schwach sein darf vor meiner Mutter. Dass es in Ordnung ist, um Hilfe zu bitten. Auch wenn es das ist, was mir immer noch am schwersten fällt. Hilfe zu erbitten und auch anzunehmen, ohne mich dafür selbst geringzuschätzen. Ich war lange der Meinung, ich müsse alles alleine machen, aber ich habe eingesehen, dass das eine Sache der Unmöglichkeit ist. Und ich habe festgestellt, dass ich da bei meiner Mum offene Türen einrenne und dass ich gut mit ihr sprechen kann, selbst wenn wir unterschiedliche Meinungen und Ansätze zur Erziehung meines Sohnes haben.
Über die Zeit weitete sich der Kreis der Themen, über die ich sie um Rat fragte, auch auf andere Bereiche meines Lebens aus. Ich kann mich ihr gegenüber jetzt viel mehr öffnen. Wir haben uns auf einer neuen grundlegenden Ebene kennengelernt und es ist einfach tröstlich zu spüren, dass sie schon am selben Punkt war, an dem ich jetzt bin und dass sie als ebenfalls Alleinerziehende mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hatte.“
Das heißt, deine Mutter ist eine deiner Quellen für Infos zum Thema Mutterschaft und auch zu der Zeit post partum?
„Ja, das auf jeden Fall. Und da wird auch deutlich, wie viel weniger Zugang sie selbst als junge Mutter zu Informationen und Rat hatte, als ich das heute habe.“
Welche anderen Zugänge zu Informationen nutzt du denn noch?
„Mein neuer Zugang sind die Freundschaften zu Müttern, die ich geschlossen habe. Aber ansonsten lebt man als junge Mutter wie in einer Blase und dir wird nicht weitergeholfen, wenn du nicht aktiv auf Menschen zugehst und fragst. Einfach so gibt dir niemand Informationen darüber, wie z.B. ein Alltag mit Kind zu packen ist. Ich arbeite seit einem Jahr wieder und in dieser Zeit wurde mein Kind natürlich auch mal krank. Dann stand ich vor der Frage, wie mache ich das jetzt? Dass es einen Anspruch auf Kinderkrankengeld gibt, habe ich in der Kinderarztpraxis erfahren, als mir die Bescheinigung zum Ausfüllen für den Arbeitgeber überreicht wurde. Vorher war mir das alles gar nicht klar und ich musste auch noch einmal auf der Arbeit nachhaken, wie die Abläufe genau sind.“
Aber das könnte ja auch eine Info sein, die es vielleicht in Ratgebern/Büchern zu lesen gibt. War das nie eine Quelle für dich?
„Doch, ich habe viele Bücher geschenkt bekommen und gelesen sowie Blogs durchforstet. Aber die Inhalte drehen sich zu 99% um’s Kindeswohl und klärten nicht die praktischen Fragen, die ich hatte und die sich hauptsächlich auf mein alltägliches Überleben als berufstätige Alleinerziehende drehten. Ich stieß auf eine regelrechte Informationslücke zwischen Ratgebern zum Thema „Das Kind ist da, hurra“ und „Es tritt ein gravierendes Problem wie Wochenbettdepression auf“. Aber nach Tipps und Ratschlägen im Bereich „frisch Eltern sein und einen Alltag bewältigen, der plötzlich zu 100% anders ist“ habe ich vergeblich gesucht.“
Du hast gerade das Thema Wochenbettdepression erwähnt. Hat dich das auch betroffen?
„Ja, hat es. Ich wusste aber fast die ganze Zeit, in der ich depressiv war, nicht, dass ich depressiv war. Obwohl ich ständig nur geweint habe. Das begann so ab 5 Monaten nach der Geburt und intensivierte sich durch Dinge wie den exzessiven Haarausfall und die Hormonumstellung. Es ging mir gar nicht gut und ich habe mich nicht mehr wie ich selbst gefühlt. Ich litt unter starken Stimmungsschwankungen und zusätzlich hat der Kleine in dieser Zeit sehr viel geschrien, weil er intensive Wachstumsschübe durchlebte. Das bedeutete für uns dann häufig komplett durchweinte Nächte und niemand außer mir konnte ihn beruhigen. Am Ende hatte ich einfach keine Kraft mehr und konnte nichts anderes mehr tun, als mich auf den Boden zu setzen und zu weinen.“
Hattest du denn das Gefühl, die Depression entstand aus dieser Überforderung oder kam sie aus dir selbst heraus?
„Die kam aus mir heraus und dann zusätzlich zu den Herausforderungen. Ich wusste nicht, was ich tun sollte, weil ich ein Problem mit mir selbst hatte, das mich daran hinderte, wirksam mein Kind trösten zu können. Diese Phase ging glücklicherweise aber auch wieder vorbei.“
Das bedeutet, die Wochenbettdepression hatte den hormonellen Auslöser und wurde dann dadurch besser, dass dein Hormonhaushalt sich wieder eingependelt hat? Oder gab es noch andere Erlebnisse, die du vielleicht noch nicht aufgearbeitet waren?
„Beides ist wahr und ich denke, es war eine Kombination aus der Hormonumstellung und der Tatsache, dass die Geburt meines Sohnes künstlich eingeleitet wurde und daher sozusagen die Bereitschaft zu entbinden nicht direkt aus mir kam. Mein Kind war zwar ausgewachsen, aber mein Körper war eigentlich noch nicht bereit dafür, es auf die Welt zu bringen. Ich denke, das hat auch eine nachhaltige Überrumpelung hinterlassen. Allerdings hatte ich zu wenig Fruchtwasser und die Situation wurde kritisch für die Gesundheit aller Beteiligten. Die Einleitung hat bei mir aber keine geburtswirksamen Wehen ausgelöst und so hatte ich 18h lang einfach nur auslaugende Schmerzen, ohne dass es mit der Geburt voran ging. Ich denke, dieser Schmerz ist etwas, das sich der Körper auch eine ganze Weile merkt.“
Rias Geburtserleben
Kannst du dich denn so genau noch an die Phasen der Geburt erinnern?
„Ich kann mich von der „heißen Phase“ an gar nichts mehr erinnern. Dadurch, dass alles so lange gedauert hat. Die 18 Stunden der Geburt zähle ich erst ab dem Moment, wo ich am Kreissaal geklingelt habe. Ich habe Medikamente bekommen, um die Schmerzen etwas abzumildern, weil sich mein Muttermund nicht öffnen wollte. Irgendwann ging es langsam vorwärts, aber ich war total entkräftet, weil ich vor Schmerzen weder essen noch zwischendurch zur Ruhe kommen konnte. Wie die Geburt an sich ablief, weiß ich nur noch aus Erzählungen des Kindsvaters. Ich bin durch die Schmerzen, die Erschöpfung und auch die Medikamente letztlich im Delirium gewesen.
Ich bin auch nur sehr knapp einem Notkaiserschnitt entgangen, da das einzige Medikament, was mir etwas Linderung verschaffen konnte, von meinem Sohn nicht gut vertragen wurde. Das letzte, an das ich mich noch aktiv erinnern kann, ist, wie meine Ärztin mich vor die Wahl stellt, entweder sofort eine PDA oder ebenfalls sofort einen Notkaiserschnitt zu machen. Wenn die PDA nicht funktioniert hätte, dann wäre der Kaiserschnitt unumgänglich gewesen. Ich war wirklich am Ende meiner Kräfte und kurz davor ohnmächtig zu werden. Deshalb habe ich keine Abläufe mehr bewusst wahrgenommen.“
Es gibt ja Ansätze wie bspw. in der Antroposophie, in der alles, was als unnatürlicher Eingriff in den Geburtsablauf gilt, sehr negativ gewertet wird. Dazu zählt die Gabe schmerzstillender Mittel, aber eigentlich auch schon der Krankenhausaufenthalt an sich inklusive vieler Untersuchungen unter der Geburt. Es wird darauf bestanden, der Mutter und ihrem Körpergefühl zu vertrauen. Wie findest du diese Perspektive?
„In Bezug auf sehr viele Dinge, die Schwangerschaft, Geburt und Mutterschaft betreffen, wird behauptet, dass alles sehr individuell ablaufe. Ich denke, bei den meisten sind die Abläufe nicht besonders individuell. Aber der Umgang mit Schmerz und großer Belastung unter der Geburt ist eine dieser sehr individuellen Sachen. Ich war eigentlich nicht „auf Schmerzmitteln“, denn nichts, das ich bekommen habe, hat auch nur ansatzweise eine Wirkung entfaltet. Ich habe es ausgehalten. Warum ich mir das aber mit voller Absicht antun sollte, das kann ich mir heute beim besten Willen nicht vorstellen.“
Na, das Kindeswohl ist da doch das Hauptargument oder nicht?
„Also, man verzichtet über 9 Monate auf absolut alles. Und auf den letzten Metern bekommt man dann eben das zugestanden, was man haben möchte. Denn die Hauptsache ist, das Kind wird geboren und was ich in dem Moment so relativ kurzfristig in meinem System hatte, davon hat mein Kind auch gar nicht mehr so viel mitbekommen. Wir sind nur knapp einer viel gefährlicheren Situation entgangen und ich will nicht wissen, wie es ganz ohne Medikamente oder ohne die Einleitung gelaufen wäre. Ich kenne Frauen, bei denen sich die Geburt viel einfacher und ohne viel Zutun abgespielt hat. Wo alles in ein paar Stunden erledigt war. Ich kenne aber auch Frauen, bei denen es noch viel kritischer war als bei mir. Eine sehr gute Freundin musste letztlich Blutkonserven bekommen, weil sie so viel Blut verloren hatte. Und wenn sie nicht im Krankenhaus gewesen wäre, dann wäre sie vermutlich verstorben.
Deswegen finde ich es unverantwortlich den Finger zu heben und zu sagen „Du, du, du! Bloß nicht ins Krankenhaus, denn das ist schlecht für’s Kind.“ Nein. Zu sterben, das ist schlecht für’s Kind.
Mit all den Erfahrungen, die du jetzt gewonnen hast – sowohl die unangenehmen Überraschungen als auch die einmaligen Erlebnisse und schönen Momente – würdest du es nochmal machen?
„Auf jeden Fall (lacht)! Ich hätte gerne noch ein zweites Kind. Ich hätte vor allem aber gerne beim nächsten Mal noch rechtzeitig die PDA (lacht). Ich hatte nämlich die Probedosis noch bekommen, aber für die volle PDA war es dann leider doch schon zu spät. Denn die PDA ist ja ein sehr starkes Medikament, das direkt ins Knochenmark injiziert wird, und wofür man daher sehr stillsitzen muss. Dafür hatte ich in meinem Zustand und unter Wehen bereits nicht mehr die Kraft. Und dann ging auch alles plötzlich ganz schnell, mein Muttermund sprang regelrecht auf und, als hätte man einen Korken gelöst, platze die Fruchtblase und mit 4 mal pressen war mein Sohn auf der Welt!“
Und was, außer der PDA, würdest du beim nächsten Kind gerne anders machen? Würdest du dir in Bezug aufs Mutter sein weniger Druck machen als vorher?
„Mit Sicherheit. Ich kann jetzt sehen, dass meine Überforderung und die Tatsache, dass ich mich endlich getraut habe, nach Hilfe zu fragen und auch eine Therapie wegen meiner Depression zu beginnen, kein Scheitern als Mutter bedeutet. Sondern dass das eben der Weg ist, das Unmögliche zu bewältigen, das so ganz nebenbei von einem erwartet wird. Ich würde viel mehr den Fokus auf meine eigene Intuition setzen und auch von Seiten des Vaters viel mehr Unterstützung einfordern. Weil es wirklich nicht so ist, als könnten die Väter einem da nicht viel abnehmen. Auch wenn es die meisten offenbar nicht von Anfang an wissen, aber auch Männer sind in der Lage nachts aufzustehen und das Baby zu füttern und zu beruhigen. Das funktioniert wirklich!“ (lacht)
Ich habe von mehreren Seiten schon gehört, dass Eltern nach dem ersten Kind mit viel mehr Selbstvertrauen an die zweite Schwangerschaft heran gehen, um dann festzustellen, dass beim zweiten Kind alles ganz anders wird.
„Das kann sehr gut sein, das zweite Kind ist ja auch ein komplett anderer Mensch. Es wird sicherlich seine eigenen, individuellen Bedürfnisse haben. Und es ist auch nicht so, dass dann da plötzlich dieser neue Mensch ist und du dir denkst „Ich kenne dich so gut, denn ich kenne dich schon dein ganzes Leben lang. Ich weiß alles über dich.“ Man kennt das Kind zwar tatsächlich schon so lange, aber man weiß noch gar nichts über diesen Menschen.
Was aber auch daran liegt, dass das Kind sich ja auch selbst noch gar nicht kennt und damit überfordert ist, auf der Welt zu sein. In den ersten 2 Wochen sind die Neugeborenen nur damit beschäftigt zu realisieren, dass sie nicht mehr in der wohlig-warmen Welt sind, in der immer für sie gesorgt ist. Sie müssen verstehen, dass sie ihre Bedürfnisse sozusagen selbst erfüllen müssen, indem sie sie an ihre Unterstützer*innen, die Eltern, weitergeben. Und dabei diese Reizüberflutung durch Geräusche, Gerüche etc., da haben die erstmal überhaupt keinen Bock drauf.“
Tja, der Mensch ist ein Gewohnheitstier und das schon von Anfang an!
„Und auf die Welt kommen ist dann wirklich unbequem!“ (Gemeinsames Lachen)
Rias Mama Message: Sei dir selbst eine gute Mutter!
Ria, meine abschließende Frage an dich: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Dass man nicht mehr nur für sich selbst lebt, denke ich. Dass der eigene Lebensfokus sich erweitert, um einen weiteren Menschen. Und ich finde, das ist gleichzeitig das Schönste, weil man einfach mehr wird. Ein Selbst und ein Plus. Aber es ist auch gleichzeitig sehr gefährlich und ich bin in diese Falle geraten. Eine Falle aus der ich ohne therapeutische Hilfe nicht mehr herauskam: Man verliert leicht das eigene Ich aus den Augen, weil man das Beste für sein Kind möchte.
Und in dem Moment glaubt man, das Beste für das Kind sei die vollkommene Selbstaufgabe und dazu noch, dass der Haushalt fertig ist. Und das ist kompletter Quatsch. Das Kind braucht in erster Linie Liebe und Verständnis, was tragischerweise die beiden Aspekte sind, die sich am schnellsten aus den Augen verlieren lassen, wenn man sich die ganze Zeit mit Ansprüchen an Unwichtigkeiten auseinandersetzt und aufhält. Und darüber vergisst man dann das eigene Wohl, wird unausgeglichen und verliert das Verständnis mit und für sich selbst. Und ohne dieses Verständnis für dich selbst kannst du auch deinem Kind die Geduld nicht entgegenbringen, die es braucht.“
Das heißt, Mutter werden bedeutet auch, ein bisschen mehr für sich selbst Mutter zu werden und den Blick für die eigenen Bedürfnisse zu schärfen? Wenn man ihnen auch nicht immer nachgeht, zumindest zu wissen, welche es sind, dass sie da sind und dass sie irgendwann befriedigt werden müssen?
„Ja, das trifft es. Man wird zur Mutter für das eigene Kind und für sich selbst.“
An dieser Stelle des Gesprächs sind mit absoluter Bestimmtheit und ganz sicher keine leisen Tränchen verdrückt worden. Ria, ich danke dir aus vollem Hals und ganzem Herzen für deine Offenheit und deine Bereitschaft, dich von mir mit Fragen löchern zu lassen. Ich bin mir sicher, du wirst auch weiterhin die Unterstützung finden, die du benötigst, um für deinen Sohn und für dich selbst da zu sein. Denn du gehörst zu den verständnisvollsten Menschen, die ich kenne, was mich davon überzeugt, dass du deinen Weg aus der Überforderung finden wirst. Ganz viel Liebe.
[1] Unter diesen Links findest du Informationen zu Schwangerschaftsabbrüchen in Deutschland: Doctors for choice Germany & pro familia. Ironischerweise darf ich als Laie auf meiner Webseite viel detaillierter über Schwangerschaftsabbrüche informieren als Ärztinnen und Ärzte in Deutschland. Laut §219a gilt es bei ihnen nämlich als Werbung für von ihnen angebotene Leistungen und für Abtreibung darf hierzulande nicht geworben werden. Dass es einen Unterschied zwischen neutraler Information und kommerzieller Werbung gibt, wird in diesem Gesetz nicht berücksichtigt.
Erschwerend kommt in dieser Thematik noch hinzu, dass Abtreibung in Deutschland immernoch gesetzlich verboten ist und nur unter strengen Auflagen als straffrei geduldet wird. Glaubst du nicht? Dann lies selbst den verlinkten Artikel zu §218 Strafgesetzbuch. Ich persönlich fordere die Abschaffung oben genannter Gesetze sowie eine vollständige Entkriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen und der professionellen Aufklärung über die Thematik in Deutschland.