Seit wann ist es eigentlich okay, schon beim ersten Sex ungefragt zu „spanken“? Spanking, also Schläge auf den nackten Hintern, scheinen für viele hetero Männer mittlerweile selbstverständlich zu sein. Natürlich nur, sie zu verteilen, nicht, sie zu erhalten.
Ich habe mehrfach erlebt, dass bereits beim ersten Sexdate plötzlich flache Hände mit lautem Knall Abdrücke auf meiner Haut hinterließen. Selbstbewusst und unabgesprochen schlugen die Kerle zu, als würde das nicht weh tun. Was ich als erniedrigend empfand, fanden sie offenbar total normal.
Ich war verunsichert. Lag es an mir? Hatte ich als einzige den Gruppenchat stumm gestellt, in dem sich alle darauf geeinigt hatten, dass Spanking oder Analsex jetzt zum guten Ton beim ersten Date gehören? Irgendwann riss mir im Bett eines dieser Männer der Geduldsfaden, nachdem mein Hintern wieder einmal in den Genuss dieser unerwünschten und schmerzhaften Behandlung gekommen war. Fluchtartig und auf allen Vieren verließ ich sein Bett, mir auf den Fersen seine Verwirrung.
Ich: „Sorry, aber ich steh überhaupt nicht drauf, wenn du mir auf den Hintern schlägst.“ Er: „Oh, ich dachte, du bist so offen beim Sex. Das ist doch nichts Wildes.“ Ich: „Wie kommst du darauf?“ Er: „Na ja, weil du ja sexpositiv bist und so. Ich dachte, dann ist das kein Thema.“ Ich war sprachlos und sauer.
Mein Umgang mit Sexualität ist offen und schambefreit. Ich habe der Tabuisierung von Sex den Kampf angesagt, denn ich bin davon überzeugt, dass die Scham und das gegenseitige Shaming für unsere Lust die Welt nicht besser machen. Deshalb war es mein erklärtes Ziel, nicht nur offen über Sex zu sprechen, sondern mir nichts mehr verbieten zu lassen – weder von mir selbst noch von anderen.
Aber hinter der Ziellinie wartete eine unangenehme Nebenwirkung auf mich: Nämlich die Erwartung anderer, dass ich Sex ständig und in allen verfügbaren Facetten performen muss. Sexpositivität wird einfach viel zu oft missverstanden und missbraucht, um Druck aufzubauen.
Damit will ich jetzt Schluss machen: durch Sexneutralität. Das ist die Betrachtungsweise von Sexualität als neutralem Teil einer jeden Persönlichkeit, der uns mitgegeben wird wie unser Körper. Sie ist ein Aspekt unseres Selbst, der weder unterdrückt noch überperformt werden muss, sondern frei von uns genutzt werden kann – oder eben nicht.
Dass der besagte Mann wie mehrere andere vor ihm meine sexpositive Einstellung mit Vögelfreiheit verwechselte, war das eine. Mir dann aber auch noch das Gefühl zu geben, seine Erwartungen zu enttäuschen, weil ich meine Grenzen verteidigte, war für mich die viel größere Frechheit. Er ist längst nicht der einzige Mann, der Sexpositivität nur geil findet, weil er sie mit dem Fehlen persönlicher Grenzen seiner Partnerin gleichsetzt.
Dabei wäre ein tatsächlich sexpositiver Move in dieser Situation gewesen, meine Grenzen nicht in Frage und mich nicht als prüde hinzustellen. Stattdessen hätte er mich vorher fragen sollen, ob ich genauso auf butt stuff abfahre wie er. So schwer ist es wirklich nicht, sich im Bett respektvoll zu verhalten. Man muss es halt wollen. Denn sexuelle Intimität bedeutet für die meisten Menschen Verletzlichkeit – und zwar nicht nur im psychischen Sinne. Darauf im Namen der „Offenheit“ herumzutrampeln, ist ein buchstäblicher Dick Move.
Sexpositivität und das Offenheits-Diktat
Und das ist nicht das einzige Missverständnis: Einige Menschen fühlen sich angegriffen, wenn ich mich öffentlich sexpositiv äußere, etwa über meine guten Erfahrungen mit offenen Beziehungen spreche. Dann fühlen sie sich plötzlich bemüßigt, gegenzuhalten. Diese „kritischen Stimmen“ können es offenbar nicht ertragen, wenn andere nicht nach denselben Regeln lieben wie sie, und damit auch noch glücklich sind. In defensiv-rhetorischem Ton fragen sie mich dann: „Willst du etwa, dass jetzt alle offen sind oder was?! Soll etwa jeder Sex mit jedem haben?!“
Ich verstehe schon. Durch den Frust hindurch schimmert die Sorge, als langweilig zu gelten. Nicht begehrenswert zu sein, weil man in Sachen Sex und Partnerschaft engere Grenzen setzen möchte als andere. Dabei ist die Message, die Befürworter*innen von Sexpositivität senden, doch das genaue Gegenteil: Grenzen sind sexy – und sie zu respektieren, ist es erst recht! Das gilt auch für die Wahl des Beziehungsmodells.
Deswegen lautet meine Antwort auf diese Frage immer: Natürlich soll nicht jeder mit jedem immer alles machen! Die Promiskuität unserer Mitmenschen ist kein Aufruf zum Wettbewerb. Und wer denkt, zügellosen Sex in Aussicht zu stellen sei das Einzige, was potenzielle Partner*innen anziehen kann, der irrt.
Das Problem wurzelt im Missverständnis darüber, wofür Sexpositivität eigentlich steht – nämlich für Toleranz statt Performanz. Aber in einer Kultur wie unserer, die besonders weibliche sexuelle Verfügbarkeit einfordert („Sei nicht so verklemmt!”), während sie sie gleichzeitig bestraft („Du hast es aber auch provoziert“), verfängt schnell der Eindruck, dass Sexappeal der Schlüssel ist, der alle Türen öffnet.
Eine sexpositive Einstellung hat aber nichts mit Sexappeal zu tun. Sie erzeugt auch keinen Druck, persönliche Grenzen zu verletzen. Wer anderen Spielverderberei vorwirft, weil sie keine Dreier oder Fesselspiele ausprobieren wollen, handelt nicht sexpositiv, sondern manipulativ.
Auch als Werbebegriff wird „sexpositiv“ vollkommen falsch gebraucht. Es reproduziert nämlich meist nur das altbekannte Verfügbarkeits-Versprechen von „unkompliziertem“ Sex – bei dem keine Rücksicht auf Bedürfnisse genommen werden muss. Deshalb tut eine Frau sich heute keinen Gefallen mehr, wenn sie „sexpositiv“ in ihre Tinder-Bio schreibt.
Ist Sexpositivität also überflüssig? Nein. Als Gesellschaft brauchen wir sexpositive Strukturen. Es muss weiterhin einen Weg geben, um über erotische und partnerschaftliche Vielfalt sprechen und aufklären zu können. Denn nur so erhalten wir die Freiheit, Beziehungen nach unseren eigenen Bedürfnissen zu gestalten. Ohne sexpositiven Diskurs gibt es keine Akzeptanz. Weshalb wir weiter über alle Bereiche sprechen müssen, in denen Menschen Diskriminierung erfahren. Das betrifft queeren Sex genauso wie reproduktive Rechte und körperliche Selbstbestimmung.
Gleichzeitig bin ich davon überzeugt, dass individuelle Sexneutralität immer die bessere Wahl ist. Was wir brauchen, um den Druck herauszunehmen, ist ein Blick auf Sex, der nichts mit Status und Glorifizierung zu tun hat. Solange Sexpositivität mit Entgrenzung in einen Topf geworfen wird, bleibe ich sexneutral.