Der Sommer ist vorbei, die nasskalte Jahreszeit steht an. Für viele heißt das, ran an den Kleiderschrank und raus mit der Übergangsjacke. Und einige stellen nicht nur ihre Garderobe auf Herbst um, sondern auch ihr Dating-Verhalten. Social Media ruft kollektiv das Gegenteil vom freizügigen Brat Summer aus: die Cuffing Season – und droht allen Single-Frauen, die da nicht mitmachen wollen, mit bitterer Einsamkeit in eiskalten Betten.
Wo ist eigentlich schon wieder der Sommer hin? Ich bin sicher nicht die einzige, die sich das fragt, während sie die Regenjacken aus dem Schrank an die Garderobe umzieht und wehmütig die kurzen Hosen ins Winterquartier verabschiedet. Ich nutze die Gelegenheit des bereits entstandenen Chaos meiner Umräumaktion, um vor der Überwinterung noch einmal die Wohnung tiefenzureinigen.
Der Brat Girl Summer hat auch in meinem Heim seine Spuren hinterlassen: Fingerabdrücke auf der Glastür und Zigarettenstummel in leeren Blumenkästen zeugen von den zahlreichen Dates, die ich auf meinem Balkon abgehalten habe. Leicht zu beseitigende Erinnerungen an spontane One-Night-Stands, tiefe Gespräche, noch tiefere Küsse und das eine oder andere Nümmerchen unterm Sternenhimmel. Manchmal mehr und manchmal weniger preisverdächtiger Sex – aber immer unverbindlich, locker und ohne große Ansprüche. So wie es sich eben für den Brat Summer gehört hatte.
Aber wie weggewischt erscheint die bratty-lockere Stimmung jetzt auf Social Media und den Mädelsabenden meiner sozialen Bubble. Der Wind hat sich gedreht und weht mit unangenehmer Kühle eine Ankündigung in die Gesichter aller Singles, die so wiederkehrend ist wie alljährlich das bunte Herbstlaub und Pumpkin Spice in Heißgetränken: “It’s cuffing season!”
Für single Frauen soll das alles besonders alarmierend sein. An sie adressieren Popkultur und Podcast-Coaches die Warnungen vor dem Alleinbleiben in der kalten Jahreszeit oder dem drohenden Burnout auf der hektischen Suche nach einer romantischen Beziehung, die vor dem emotionalen Kältetod bewahren soll.
Aus welcher Perspektive man sie auch betrachtet, die Cuffing Season weckt Ängste und macht Druck bei Singles, weil sich alle stressen, noch schnell jemanden halbwegs Aushaltbaren zu finden, der sich notfalls auch an den Feiertagen bei der Familie vorzeigen lässt. Oder, weil sie angestrengt versuchen, sich von der Panikmache nicht stressen zu lassen.
Dabei haben Dating-Apps auch im Winter geöffnet und auch wenn die Spaziergang-Dates vielleicht kürzer ausfallen, ist es nicht so, als würde es zwischen Anfang Dezember und Ende März eine nationale Rendezvous-Winterpause geben. Die unzähligen Glühweine, die ich alle Jahre wieder bei ersten Treffen konsumieren musste, sprechen dagegen, dass sich im Winter niemand matchen ließe. Aber es stimmt schon, dass das kein Vergleich zum flirty vibe auf einem sommerlichen Open Air ist.
Männer Fasten – It’s a thing
Da kommt es uns single Ladies doch eigentlich gelegen, dass ein anderer internationaler Trend den Einzug des Herbstes überlebt hat, nämlich die boysober-Bewegung. Abstinenz von Sex, Dates, Flirts und weiteren vermeidbaren Kontakten mit heterosexuellen Männern haben sich die Frauen auf die Agenda gesetzt, die die Schauze gehörig voll hatten von Dating-Frust und Übergriffigkeiten beim Versuch, einen Partner zu finden. Unter dem gleichnamigen Hashtag empfängt der Trend alle mit offenen Armen, die wenigstens für eine Weile dem Zirkus der romantischen Liebe entsagen und quasi Männer fasten wollen.
Oder die sogar wie die artverwandte 4B-Bewegung in Südkorea ein gesellschaftliches Umdenken in Bezug auf die Rolle der Frau erwirken wollen – weg vom eingeschränkten Hausmütterchen und hin zur autonomen Entscheiderin über ihr eigenes Leben. Ist deswegen das westliche Äquivalent #boysober also die einzig logische Antwort auf das Wettrennen um den letzten unbesetzten Stuhl, äh, Mann und die Angst vor dem Überbleiben im harten Winter? Oder doch eine etwas infantile Trotzreaktion auf die Realisierung, dass sich eben nicht alle elf Minuten ein passender Partner finden lässt, wie es manche Kuppel-Portale lange suggeriert haben?
Vielleicht spricht ja gar nichts gegen eine Dating-Pause, einen romantischen Winterschlaf, anstatt einer hektischen last minute Verpartnerung mit einem Mann, der am Ende mehr Kompromiss ist als einem wirklich lieb. Aber bin ich tatsächlich schon bereit dazu, zum ersten Mal allein und auf kalten Füßen durch den Berliner Winter zu kommen? Und mir am Ende noch an den Feiertagen anhören zu müssen, dass es ja vollkommen unverständlich sei, wieso ich noch single…
Cuffed but not in the „good“ way
Verdammt, ich hatte es befürchtet. Auch an mir ist die Cuffing Season-Panikmache nicht spurlos vorbei gegangen. Ich bezweifle, dass ich mir über die Temperatur meiner Füße solche Sorgen machen würde, wenn mir das Bild des einsamen Single-Daseins nicht immer wieder als die schlimmste aller Alternativen vorgekaut würde. Vielleicht sollte ich stattdessen zwischen November und März ein Social Media Fasten abhalten und mich nur mit Unsicherheiten rumschlagen, die mir wirklich selber eingefallen sind. Kein schlechter Gedanke, aber wo sehe ich dann die Werbeanzeige für die passenden Kuschelsocken, die meine Füße effektiver warm halten, als jeder Mann es je könnte? Wie man’s macht, macht man’s verkehrt.
Aber mal ehrlich, was mich an dem ganzen Cuffing Season-Geschwafel am meisten ankotzt, ist die kalkulierte Zweckmäßigkeit, die bei dieser saisonalen Beziehungsform im Vordergrund steht. Ein Partner ist keine Wärmflasche. Und wenn ich mich nachvollziehbarerweise nach einem Arrangement sehne, das in erster Linie praktisch gegen Einsamkeit anstatt romantisch ist, dann kann ich über die Wintermonate auch eine Zweck-WG gründen. Erfahrungsgemäß beteiligt sich so ein Mitbewohner nämlich sogar an der Miete, anstatt nur im Namen der Liebe meine teuren Haarpflegeprodukte aufzubrauchen.
Die Verliebtheit darf dann auch gerne erst im Frühling wiederkommen und zu dem beglückenden Selbstzweck werden, der sie sein sollte.
Und was ist mit dem Aktivismus? Dem hetero Sex-Streik? So sehr ich die Verzweiflung auch verstehe, aus der die #boysober-Idee entstanden ist, so sehr bezweifle ich, dass wir die Abstinenz durchziehen sollten, wenn die Schmetterlinge im Bauch wirklich wieder flattern. Denn gesunde Liebesbeziehungen zu cis-hetero Männern machen niemanden zur schlechteren Feministin. Künstlichen Druck erzeugen, der entweder den Austausch zwischen den Geschlechtern verhindern oder Stereotype über heterosexuelle Beziehungen aufrechterhalten soll, allerdings schon.