Im neunten Teil der Interviewreihe mit authentischen Berichten über Schwangerschaft, Geburten und Elternschaft spreche ich mit Tamara. Sie ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 37 Jahre alt und hat drei Kinder im derzeitigen Alter von 9, 7 und 4 Jahren.
Je mehr Kinder und erlebte Elternerfahrungen, desto mehr Interessantes gibt es zu berichten. Das ist auch bei Tamara der Fall gewesen. Um den Rahmen dieses Interviews nicht zu sprengen, haben wir uns also auf ihre Geburtserfahrungen fokussiert. Denn alle drei Erlebnisse waren für sie so unterschiedlich wie Tag, Nacht und Dämmerung.
Doch bevor es los geht, habe ich noch zwei Hinweise.
Trigger Warnung: Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch und Beschreibungen von starken Schmerzen und Gewalterfahrung unter der Geburt. Die entsprechenden Textstellen sind farblich gekennzeichnet, sodass sie beim Lesen übersprungen werden können.
Zur Einleitung der Gesprächsreihe, geht’s übrigens hier entlang: Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen
Cleo: Tamara, hast du Mutterschaft schon immer als Teil deiner Lebensplanung betrachtet?
Tamara: „Ja. Nicht zu dem Zeitpunkt, als es dann tatsächlich passiert ist. Trotzdem hatte ich immer gerne Mutter werden und sein wollen.“
Das klingt nach einer ungeplanten ersten Schwangerschaft?
Tamara: „Richtig, so war es. Ich war damals 26 Jahre alt und gerade erst drei Monate mit meinem jetzigen Ehemann und Vater der drei Kids zusammen. Zu dem Zeitpunkt hatten wir uns eigentlich andere Dinge vorgestellt, die wir gemeinsam erleben wollten, als direkt in die Verantwortung von Elternschaft zu schlittern.“
Weißt du noch, was du gedacht hast, als du deine Schwangerschaft das erste Mal bemerkt hast?
„Das war witzig, weil ich es gar nicht selbst bemerkt habe, sondern mein Mann. Wir haben damals total gerne die Serie „How I Met Your Mother“ geguckt. In einer der Folgen ist die Figur „Lilly“ frisch schwanger und total verpeilt. Ich weiß noch, dass ich in diesen Tagen dachte, ich hätte mir irgendwas eingefangen, weil ich mich nicht auf der Höhe gefühlt habe. Ich war super vercheckt, sowas kannte ich gar nicht von mir. So vergesslich, dass ich auf dem Weg das Haus zu verlassen vor der Garderobe stand und nicht mehr wusste, was ich eigentlich wollte.
Wir saßen also eines Abends vor dem Fernseher und schauten die Serie, als Mark die Parallele zwischen Lilly und mir plötzlich bewusstwurde (lacht). Wir sind dann direkt am nächsten Morgen los, um ein paar Schwangerschaftstests zu kaufen. Die fielen dann auch tatsächlich alle positiv bei mir aus.“
Was hast du in dem Moment gefühlt?
„Absolute Ratlosigkeit. Ich war natürlich überrascht, aber nicht positiv. Es hat nicht in meine damaligen Pläne gepasst. Ich befand mich mitten im Studium und war wie gesagt erst frisch in dieser Beziehung, weshalb alles ein riesiges Fragezeichen war. Ich habe mich sehr, sehr schwer damit getan, diesen Zustand zu akzeptieren.
Ich bin natürlich direkt zum Arzt gegangen, um mir die Schwangerschaft bestätigen zu lassen. Kleine Anmerkung hier: Es gibt ziemlich viele falsch negative Schwangerschaftstests, aber wenn ein Schwangerschaftstest positiv anzeigt, dann ist der auch allermeistens positiv. Daher war ich auch nicht überrascht, als der Arzt mir kurz darauf gratulierte. Ich habe mich allerdings direkt über Abtreibungen informiert und was man dafür machen muss.“
Wie genau hast du dich über Abtreibungen informiert?
„Ich habe den Arzt gefragt. Ich wusste, dass ich einen bestimmten Ablauf von Wartezeiten und Beratungen einhalten muss, kannte mich aber nicht mit den Details aus. Ich war erstmal ziemlich panisch, weil ich wusste, dass es Fristen einzuhalten gilt. Mein Arzt blieb allerdings sehr entspannt. Ich war sicher nicht die erste, die so reagiert hat (lacht). Er meinte, ich solle mich jetzt erst einmal freuen und nach Hause gehen und einen weiteren Termin machen, wenn sich alles bei mir etwas beruhigt hätte. Deswegen bin ich dann nach Hause gegangen und habe gegrübelt.“
Du hast dich allerdings dann gegen eine Abtreibung entschieden?
„Genau. Ich habe mich aber auch nicht bewusst für das Kind entschieden. Ich hatte ein sehr ausführliches Gespräch mit einer Verwandten von mir, die so ca. eine halbe Generation älter ist als ich. Zum damaligen Zeitpunkt versuchte sie mit großem Druck schwanger zu werden und hatte bereits den dritten natürlichen Abgang hinter sich.
Sie glaubte fest daran, dass die Abtreibung, die sie mit Mitte 20 hatte, ein Grund dafür war, warum sie später so große Probleme hatte, wieder schwanger zu werden. Diese Geschichte habe ich nie vergessen. Und dadurch, dass ich mich schon immer als Mutter gesehen habe, nur eben nicht in diesem Augenblick, war mir die Gefahr zu groß, dass ich mich durch eine Abtreibung praktisch für immer gegen eigene Kinder entscheiden könnte.
Man hört ja ab und an, dass leider nicht jede Schwangerschaft bis zum Ende bestehen bleibt. Sondern, dass die Möglichkeit eines natürlichen Abgangs vor allem vor Ende des dritten Monats recht hoch ist. Daher habe ich mich dann tatsächlich dazu entschieden, das Schicksal oder die Natur entscheiden zu lassen, ob das Baby bleibt oder nicht. Das war, weshalb ich mich nicht aktiv für das Kind, dafür aber aktiv gegen eine Abtreibung entschieden habe.“
Ich finde, das ist eine beeindruckende Art und Weise mit dieser Situation umzugehen. Du hast von Ratlosigkeit und einem ungünstigen Zeitpunkt gesprochen und ich kann mir vorstellen, dass ich in deiner Situation auch Zukunftsängste gehabt hätte. Dann die Entscheidung quasi aus der Hand zu geben, ist eine Vorgehensweise, die mir noch nicht so häufig begegnet ist. Und die ich selbst als Sicherheit und Kontrolle bevorzugende Person sehr mutig finde.
„Ich muss dazu sagen, dass mir das auch nicht leichtfiel. Ich habe natürlich als erstes damals meine beste Freundin angerufen und sie morgens aus dem Bett geklingelt. Sie hat direkt am selben Tag noch für mich den Kontakt zu einem Pärchen aus ihrem Bekanntenkreis hergestellt, die gerade ein Kind bekommen hatten. Sie selbst hatte nämlich keine Kinder und keinen unmittelbaren Plan, welche zu bekommen. Daher dachte sie, dass junge Eltern mir in meiner Situation vielleicht mehr Hilfe bieten könnten.
Ich habe die beiden dann mit ihrem Kind auf dem Spielplatz getroffen und bin da völlig fertig aufgeschlagen (lacht). Sie haben sich aber für mich gefreut und mir Mut machen wollen, indem sie mir viel von sich erzählten. Allerdings hat das nicht wirklich geholfen, ihre Situation war eine ganz andere als meine. Weil also alles nichts half, habe ich dann noch lange mit meiner Mutter gesprochen, zu der ich damals eigentlich kein sehr enges Verhältnis hatte. Aber ich wollte unbedingt von einer Mutter wissen, was es bedeutet, Mutter zu sein.
Sie konnte mir das aber auch nicht richtig erklären. Sie sagte, dass sich mein Leben dadurch natürlich verändern würde, aber das blieb alles sehr abstrakt und hat mir deshalb auch nicht wirklich geholfen. Es gab eben einfach nicht die Möglichkeit in die Kristallkugel zu schauen, um zu sehen, was mich erwarten würde. Ob ich das mit dem Studium in Einklang bringen können würde. Diese Unmöglichkeit in die Zukunft zu schauen, war dann auch ein Grund, warum ich mich letztlich so in die Situation habe hineinfallen lassen.
Außerdem muss ich dazu sagen, dass mein Partner damals super gut reagiert hat. Als die zwei Streifen auf diesem Test erschienen, hat er mir schon mit dem ersten Satz versichert, dass wir das schaffen würden. Ich weiß noch, dass ich selbst in heller Aufregung und gar nicht so davon überzeugt war (lacht).“
Kannst du dir denn mit deiner heutigen Erfahrung vorstellen, was dein damaliges Ich an Informationen gebraucht hätte?
„Ich glaube, dass es tatsächlich sehr viel einfacher ist, wenn man enge Freunde hat, die schon Kinder haben. Von dieser Seite bekommt man sicher nochmal einen ehrlicheren Blick auf die Realität von Elternschaft. Ich glaube, eine Freundin, die mal in einer ähnlichen Situation war, hätte mir eher diesen Einblick in die Kristallkugel geben können. Und zwar ohne Worte dafür finden zu müssen, sondern eher über das Miterleben ihrer Situation.
In unserem Freundeskreis waren wir damals aber tatsächlich die allerersten, die ein Kind bekommen würden. Deshalb fehlten mir diese vertrauten Personen, an denen ich mich hätte orientieren können. Ich habe daher während meiner Schwangerschaft den Kontakt zu einer alten Schulfreundin wiederaufgenommen, die auch schon Mutter war, um wenigstens eine Austauschpartnerin zu haben.
Aber so eine Pro-Kontra-Liste zum Kinderkriegen könnte ich selbst jetzt nicht aufstellen. Die wünschen sich sicherlich viele Leute und ich war persönlich auch schon immer so ein Listen-Typ (lacht). Aber man kann viele Punkte auf dieser Liste tatsächlich gar nicht gegeneinander aufwiegen. Viele Punkte, die auf dem Papier leicht erscheinen, wiegen schwerer in Wirklichkeit und für unterschiedliche Menschen unterschiedlich schwer. Und das Gefühl, jemanden auf so eine ganz neue und andere Art zu lieben, das kann kein Punkt auf einer Liste angemessen darstellen.“
Wahrt den Anspruch, wahrt den Schein
Was denkst du, worüber wird in Verbindung mit Mutterschaft oder Elternschaft in der ersten Zeit am wenigsten gesprochen?
„Ich glaube, dass dieses häufig beobachtete Bild der Vollblutmutter, die ihren Kindern alles, aber auch alles an Bedürfnissen nachträgt, viele Frauen auslaugt. Die Tatsache, dass über diese Erschöpfung, die da einfach sein muss, nicht wirklich gesprochen wird, spricht für mich Bände. Ich bekomme den Eindruck, dass die Kehrseite des Ganzen und wie viel Kraft das erfordert, gar nicht gezeigt werden soll.“
Warum?
„Ich weiß es nicht. Vielleicht weil auch niemand danach fragt? Wenn man Kinder und ihre Eltern in einem harmonischen Verhältnis beobachtet, in dem die Dinge gut laufen, dann macht das ja erstmal ein sehr gutes Gefühl. Das wird dann aber als ständige Normalität betrachtet und auch einfach nicht hinterfragt, ob den Eltern nicht auch mal der Sinn nach Meckern steht. Und wenn man das bei den anderen Eltern nicht mitbekommt, wächst in einem selbst die Scham über dieses Bedürfnis auch mal zu meckern oder zu brüllen, wenn etwas absolut schlecht läuft.
Jegliches Verhalten, das so ein bisschen aus der Reihe tanzt, wird im öffentlichen Raum sehr komisch angeschaut. Ob das jetzt das Verhalten der Kinder oder der Eltern ist, spielt keine Rolle.
Es ist schwierig zuzugeben, wenn es einfach zu viel wird. Und es sagt sich nicht so leicht: „Ihr braucht gar nicht so zu gucken, ich bin offensichtlich gerade überlastet. Nehmt mir doch einfach mal was ab!“ Was Mutterschaft und Elternschaft betrifft, kochen gerade alle ihr eigenes Süppchen.“
Also der Anspruch ist hoch und kommt woher? Von außen, von dir selbst?
„Meiner Meinung nach kommt der Anspruch aus allen Ecken der Gesellschaft und auch aus mir selbst, denn ich bin Teil von ihr. Es ist zwar auch eine Typfrage und kommt darauf an, an welchen Vorbildern man sich orientiert, aber ganz plakativ: Die Instagram-Muttis, die drei Tage nach der Geburt aussehen wie Topmodels oder die Übermuttis, die die Hühnchen selber aufziehen, um sie dann im selbstgemachten Babybrei zu verarbeiten. Mütter, die halt alle total drüber sind und dafür auf Social Media als Goldstandard gefeiert werden.
Solange wir das als Ideal Hochhalten, müssen wir uns über unerreichbare Erwartungen und Ansprüche nicht wundern. Stattdessen können wir mal über die Realität sprechen: Leute, heute gibt es Nudeln mit Tomatensauce. Ja, genau wie gestern, esst ihr eh am liebsten (gemeinsames Lachen).“
Es ist ja aber wahrscheinlich nicht nur Social Media. Diesen Anspruch an die Mutterrolle gibt es ja nicht erst seit Instagram. Ich kann mir nur vorstellen, dass die Verbildlichung der Erwartungen dort öffentlichkeitswirksam auf die Spitze getrieben wird. Aber ich habe auch mit Müttern gesprochen, die über 60 Jahre alt sind und mir von ähnlichem Druck berichtet haben. Also muss es auch schon anders an sie herangetragen worden sein. Obwohl sie auch nicht genau festlegen konnten, aus welcher Richtung die Ansprüche kamen.
Mir kommt es fast schon so vor, wie das fliegende Spaghetti-Monster der Mutterrollen-Ansprüche, das alle mit unrealistischen Erwartungen terrorisiert. Aber das kann es ja nicht sein. Die Frage ist, an welcher Stelle finden wir die Quelle dieser überholten Vorstellungen und wie können wir für uns feststellen, welche Aspekte von Mutterschaft wir wirklich leben können und wollen und welche nicht. Vor allem auch, wenn wir unsere eigene Kindheit reflektieren, die ja auch in den meisten Fällen keine Instagram-Realität war. Wie kommen wir also auf diese Vorstellungen?
„Ich kann mir vorstellen, dass wir versuchen einem Perfektionismus-Anspruch nachzueifern, der dann reinkickt, wenn wir uns durch Schwangerschaftshormone, die Erfahrungen der Geburt und durch die neue Mutterrolle verändert haben. Du willst ja auch eine gute Mutter sein. Man kann es in Etappen verstehen. Gegen Ende der Schwangerschaft setzte bei mir der absolute Nestbautrieb ein. Das bedeutete in meinem Fall nicht nur, dass ich Babyklamotten bereit liegen haben wollte. Nein, ich habe angefangen mit der Zahnbürste das Klo zu putzen. Und warum? Keine Ahnung (lacht). Es musste einfach sauber sein.
Dann geht es weiter, wenn das Kind da ist. Ich hatte das Gefühl, das Kind muss satt sein. Es muss satt sein (lacht). Damit es gut gedeiht und glücklich ist. Vielleicht ging das dann einfach immer so weiter mit den Ansprüchen, die ich plötzlich so viel intensiver und dringender erlebt habe als vorher. Ein bisschen schlummert das Muttimonster wahrscheinlich in den meisten von uns und wir können kaum anders.“
Klingt für mich ein bisschen so danach, als dachtest du beim ersten Kind auf jeden Fall, dass du alles richtig und perfekt machen musst. Jetzt hast du aber ja mittlerweile drei von der Sorte. Haben sich deine Ansprüche über die Zeit abgemildert oder ist der Antrieb so groß geblieben? Es heißt so häufig, die größere Umstellung sei nämlich die von einem auf zwei Kinder.
„Ich habe es tatsächlich ganz anders wahrgenommen. Mein Mann witzigerweise nicht (lacht). Ich fand, dass der Unterschied zu meinem vorherigen Leben viel größer war, als ich das erste Kind bekommen habe. Das war eine komplette 180 Grad Wendung. Als dann aber das zweite nach zwei Jahren dazu kam, war ich schon so viel mehr im Flow.
Der Alltag, die Routinen, das lief schon alles. Das lief eigentlich so reibungslos, dass wir gesagt haben, ein drittes Kind soll auch noch kommen. Die sind so süß (lacht). Und das war die heftigste Umstellung. An dem Punkt haben mir dann die Krakenarme gefehlt und ich wäre am liebsten überall gleichzeitig gewesen. Zumal wir dann ja auch schon drei, vier Jahre Schlafmangel in den Knochen hatten.
Meine Muttimonster-Ansprüche haben sich sowohl entspannt als auch nicht. Auf der einen Seite schon, weil man aus Erfahrung bei gewissen Dingen nicht mehr so hinterher erzieht wie beim ersten Mal. Nach dem Motto „das ist nur eine Phase, er wird den Finger irgendwann aus der Nase nehmen“. Wir sind als Eltern dadurch ruhiger geworden. Ich denke nicht, dass es durchhaltbar ist, wenn man versucht den Takt beim ersten Kind auch mit dreien aufrecht zu erhalten.
Auf der anderen Seite denke ich, dass diese Ansprüche gar nicht weniger werden, sie verteilen sich nur anders. Bei unserem Ältesten, mit dem wir ja vieles immer noch zum ersten Mal machen, gehen wir auch immer noch mit mehr Nachdruck an die Sachen heran. Zum Beispiel, was die Intensität der Hausaufgabenkontrolle angeht (lacht).“
Drei Schwangerschaften wie eine, keine Geburt wie die andere
Siehst du eigentlich Parallelen zwischen deinen drei Schwangerschaften? Womit hast du nicht gerechnet und haben dich auch noch in der dritten Schwangerschaft Aspekte überrascht?
„Ich würde tatsächlich behaupten, dass alle meine drei Schwangerschaften recht ähnlich waren. Ich war jedes Mal unglaublich müde und habe sehr viel geschlafen. Mein Mann konnte neben mir Schränke aufbauen, ich habe seelenruhig weitergeschlafen (lacht).
Dann die Übelkeit… Ich halte es für ein Gerücht, dass es Frauen geben soll, die sagen, dass ihnen in der Schwangerschaft nicht schlecht war (lacht). Bei mir hat außerdem die Symphyse große Probleme gemacht. Das ist der Knorpel im Schambein, der durch die Hormone so aufgeweicht wird, dass das Becken instabil wird. Man hat ja sowieso mehr Gewicht auf der Hüfte mit fortschreitender Schwangerschaft und dadurch wird das Laufen unglaublich erschwert und schmerzhaft. Ein um die Hüfte gebundener, stabilisierender Schal hilft da übrigens als Hausmittel sehr gut.“
Gab es Aspekte am schwanger sein, die dich positiv überrascht haben?
„Unglaublicher Haarwuchs – überall (lacht). Besonders auf dem Kopf, das war gut! Hat aber auch den Nachteil, dass man die ganzen Haare nach der Schwangerschaft alle so ziemlich auf einmal verliert. Ich fand es teilweise auch schön, wie die Leute auf mich reagiert haben. Ich war gerne schwanger und habe meinen Bauch gerne gezeigt.
Ich habe mich körperlich etwas freier gefühlt. Es war plötzlich okay einen sichtbaren Bauch zu haben, der nicht eingezogen werden muss, um schön sein. Ich war ja schwanger! Außerdem hatte ich einen unglaublich ausgeprägten Geruchssinn. Ich hatte das Glück, dass dadurch Essen zu einer ganz tollen Erfahrung wurde.“
Gab es denn zwischen den drei Geburten, die du erlebt hast, auch so viele Parallelen?
„Nein. Die Geburten waren alle komplett unterschiedlich und bis auf einen Kaiserschnitt war alles dabei. Bei meinem ersten Kind spürte ich morgens ein Ziehen und dachte mir, dass es jetzt los geht. Ich war schon fünf Tage über dem Entbindungstermin. Ich wollte mich noch ein wenig erholen, bevor es richtig los ging, daher habe ich mich nochmal für ein paar Stunden hingelegt.
Als ich wieder aufgewacht bin, habe ich dann die normalerweise üblichen Kindsbewegungen nicht mehr gespürt. Eigentlich war mein Plan, eine Hausgeburt begleitet von einer Hebamme zu versuchen. Diese Hebamme habe ich dann auch kontaktiert und ihr von meinem unguten Gefühl berichtet. Da ihr Credo immer war, dass ich auf mein Körpergefühl hören sollte, weil ich mich und das Kind ja am allerbesten spüren könnte, war sie ebenfalls beunruhigt. Deshalb sind wir dann letztlich doch ins nächstgelegene Krankenhaus gefahren, wo der Oberarzt die Einleitung der Geburt empfahl.
Ich wusste ehrlich gesagt nicht, was eine Einleitung bedeutete und mit sich bringen würde. Im Geburtszimmer wurde ich direkt von einer Krankenschwester versorgt, die mir ein Gel auf den Gebärmutterhals spritzte. Als ich sie fragte, ab wann ich mit dem Beginn der Geburt rechnen könnte, antwortete sie, das könne zwischen einer Stunde und drei Tagen dauern. In dem Moment habe ich mich ein wenig erschreckt und mich gefragt, ob ich mich nicht vielleicht besser hätte informieren sollen.
Es ging dann aber tatsächlich anderthalb Stunden später los. Wehen, die durch eine Einleitung entstehen, bauen sich ganz anders auf als die, die auf natürlichem Wege starten.
Übliche Wehen kann man sich wie Wellen vorstellen. Wie Wellen eines Meeres, über dem ganz weit in der Ferne ein Sturm tobt. Und du stehst am Strand und bemerkst, wie dich langsam die ersten kleinen Wellen erreichen und es nach und nach stärker wird. Bei eingeleiteten Wehen ist es, als würde man plötzlich mitten in diesem Sturm stehen und die Wellen peitschen nur so um dich herum.
Du bist total überwältigt. Es war mir also nicht möglich diese Wehen kontrolliert zu veratmen. Oder mich auf die nächste Wehe vorzubereiten, weil sie so schnell hintereinanderkamen. Nach einer Stunde unter diesen intensiven Wehen habe ich nur noch nach der PDA geschrien.
Die habe ich dann auch bekommen und ich lag dann letztlich buchstäblich ab der Hüfte abwärts gelähmt auf diesem Tisch. Insgesamt hat die Geburt 18 Stunden gedauert. Ich habe zwei Hebammen-Schichtwechsel benötigt, bevor eine kam, mit der ich mich wirklich gut verstanden habe. Sie hat dann auch alles darangesetzt, dass ich meinen Sohn ohne Kaiserschnitt zur Welt bringe, weil sie wusste, dass wir eigentlich eine Hausgeburt hatten haben wollen. Die Ärztinnen und Ärzte standen schon gefühlt seit Stunden mit Skalpell und Handschuhen in der Tür. Letztlich haben wir nochmal alle Kräfte bemüht und das Kind mit Saugglocke und allem Pipapo aus mir herausgezogen.“
Über PDA und Presswehen
Das klingt so, als wärst du kein Fan von PDA?
„Nein, soweit würde ich nicht gehen. Ich glaube, bei einer Geburt sollte man offen für alles sein. Ich habe danach gesagt, wenn sich alle Geburten so anfühlen, dann kriege ich noch 20 Kinder (lacht). Es war dadurch wirklich komplett schmerzfrei. Ich weiß, es gibt andere Ansätze, aber ich kann mir nicht wirklich vorstellen, dass Geburten auch auf anderem Wege so schmerzlos verlaufen können. Ich denke, das ist absolut hilfreich, wenn man vielleicht etwas schmerzempfindlicher ist. Oder einfach erschöpft, weil man schon lange, lange arbeitet und eventuell mit eingeleiteten Wehen zu kämpfen hatte. Von daher finde ich, eine PDA ist ein absolut legitimes Mittel.“
Ich finde die Metapher über den Sturm auf dem Meer und die daraus entstehenden Wellen total hilfreich, um mir den Unterschied zwischen natürlichem Beginn einer Geburt und eingeleiteten Wehen vorzustellen. Mir war vorher auch gar nicht bewusst, dass es da überhaupt Unterschiede gibt. Dein Bericht klingt so, als hättest du auf jeden Fall auch erlebt, wie sich alles ohne Einleitung abspielt?
„Ja, das war bei der zweiten Geburt so, als meine Tochter zur Welt kam. Das war einfach eine Traumgeburt. Nach der ersten Geburt war mir klar, dass ich nicht noch einmal eine Hausgeburt probieren möchte. Bei meiner Tochter habe ich auch wieder übertragen, weshalb mir auch hier wieder mit der Einleitung gedroht wurde.
Ich lag dann eines Abends entspannt im Bett, habe eine Serie geguckt und dabei richtig doll meine Nippel gezwirbelt. Weil mir gesagt worden war, das helfe dabei, den Körper einzustimmen und Wehen anzuregen. Und tatsächlich durchschlug es mich auch so ein bisschen. Wie kleine Stromstöße durch mein Nervensystem und ich konnte spüren, dass diese Berührungen sich wirklich in meinem ganzen Körper auswirkten.
Irgendwann habe ich mich schlafen gelegt und wurde nachts von einem Ziehen im Rücken geweckt. Da war mir klar, okay, es geht los. Und ich beschloss dieses Mal nicht nochmal zurück ins Bett zu gehen und die Wehen sozusagen zu verschlafen. Ich bin also nachts um 3 Uhr aufgestanden, habe mir einen Wehentee gekocht und mich noch einmal geduscht. Mit der Zeit wurde das Ziehen stärker, was ich als gutes Zeichen gedeutet habe. Diese Vorbereitung lief traumhaft und als wir schließlich im Krankenhaus ankamen, war mein Muttermund schon 4cm weit geöffnet. Dafür hatte ich bei meiner ersten Geburt schon lange gekämpft. Bei diesem zweiten Mal lief es dagegen quasi mühelos.
Im Krankenhaus war ich in einem super kleinen Geburtszimmer. Ganz im Gegensatz zum Zimmer bei meiner ersten Geburt, in dem jedes Gerät der Welt stand, mit dem man ein Kind gebären kann. Wir sind dann erstmal spazieren gegangen, aber im Lauf der Zeit wurde mein Bewegungsradius immer kleiner. Ich wollte nicht mehr weit weg vom Geburtszimmer sein. Letztlich bin ich im Zimmer zwei Stunden lang auf und ab gelaufen wie ein Tiger im Käfig und habe geatmet und geatmet.
Irgendwann kam die Hebamme vorbei und fragte mich, was ich da machen würde. Und ich sagte nur, dass mir dieses fast meditative Laufen und Atmen helfen würde, weil ich so fokussiert wurde dadurch. Ich habe quasi meinen Rhythmus gefunden, indem ich mich nur auf meine Laufwege und die Ecken konzentriert habe, auf die ich immer wieder zugegangen bin. Die Hebamme holte mich dann leider raus aus meinem Rhythmus und meinte, ich müsste mich mal hinlegen.
Ich wusste nicht so genau, warum ich das tun sollte, aber habe es dann einfach mal ausprobiert, weil die Expertin es mir ja empfahl. Also habe ich mich hingelegt und bekam kurz danach unglaublich heftige Wehen. Also Kommando zurück, ich wollte auf keinen Fall weiter liegen und stattdessen lieber laufen. Ich kann mich noch gut erinnern, dass sie dann zu mir sagte: „Naja, also wenn’s weh tut, ist es gut, dann kommen wir vorwärts.“
Ich gab also nach, weil ich ihrer Expertise vertraute. Heute weiß ich, dass ich das nicht hätte tun müssen, weil man tendenziell den eigenen Körper besser kennt, als andere Leute das tun. Ich weiß noch genau, wie die Hebamme mir das Gefühl gab, sie wüsste viel besser als ich, was ich jetzt bräuchte und bei mir los sei. Die Wehen wurden inzwischen im Liegen weiterhin stärker, weshalb sie mich fragte, ob ich ein Schmerzmittel haben wolle. Das habe ich bejaht, in dem Augenblick war mir vor Schmerzen fast alles egal.
Als sie gerade das Medikament vorbereiten wollte, kann ich nur noch brüllen, dass das Kind kommt. Denn auf einmal hatte ich Presswehen und die kann man sehr schwierig steuern, vor allem, wenn man gerade von ihnen überrascht wird. Und die Hebamme meinte noch, das könne gar nicht sein, wir wären eben erst bei 7cm Muttermund-Öffnung gewesen. Aber im Umdrehen verändert sich ihr Gesichtsausdruck und sie ruft überrascht: „Oh, ich sehe das Köpfchen!“
Also hat sie dann anstatt mir Schmerzmittel zu geben, mich super gut durch diese Presswehen geleitet. Denn die Eröffnungswehen konnte ich in ihrer Intensität eigentlich die ganze Zeit meditativ gut verarbeiten. Aber bei den Presswehen habe ich mich so übermannt gefühlt von etwas, das sich mehr wie ein Reflex des Körpers anfühlt, dass ich aufpassen musste, um mich möglichst nicht durch zu starkes Drücken selbst zu verletzen.
Ich habe es dann tatsächlich auch geschafft, immer in den Augenblicken, in denen es hieß jetzt nicht zu drücken, lockerer zu lassen. Irgendwo anders hin zu atmen, sodass ich dem Kind, meiner Vagina und auch der Hebamme Zeit geben konnte, um sich auf die nächste Wehe vorzubereiten. Denn es war klar, dass es sich nur noch im Sekunden handeln konnte. Und so war es dann auch. Plötzlich war mein zweites Kind auf der Welt und es war unglaublich. Ich hatte eine ganz komplikationslose Geburt, ohne Eingriffe und ohne Schmerzmittel und es war wunderschön.
Schmerz schafft Bewusstsein, Schmerz überwältigt
An dieser Stelle fällt mir etwas ein, das ich ganz wichtig finde: Die PDA, die mich bei meiner ersten Geburt wortwörtlich von der Hüfte abwärts gelähmt hatte, hat eine seltsame Nachwirkung hinterlassen. Noch Tage nach der Geburt bin ich nachts immer wieder aufgewacht, weil ich das Gefühl hatte, mir würde etwas aus dem Bauch fallen. Ich habe durch die PDA körperlich überhaupt nicht mitbekommen oder verarbeiten können, dass das Kind meinen Körper verlassen hat.
Es war auf einmal nicht mehr da, nachdem ich wieder alles gespürt habe. Und diesen Effekt hatte ich überhaupt nicht im Nachgang an meine zweite Geburt. Ich durfte ja alles mitkriegen und fand es glücklicherweise auch wunderschön.
Um die Frage, ob eine PDA gut oder schlecht ist, noch einmal aufzugreifen: Sie kann helfen, aber mir persönlich hat dadurch auch etwas gefehlt. Das konnte ich aber auch erst im Vergleich zur zweiten Geburtserfahrung feststellen.“
Das ist total faszinierend! Ich kann deutlich spüren, dass diese zweite Erfahrung dich richtig glücklich gemacht hat. Ich frage mich gleichzeitig aber auch, ob du nicht beim zweiten Mal viel mehr Schmerz gefühlt hast? Kannst du dich daran noch erinnern?
„Ja und nein. Zum größten Teil kann ich mich nicht mehr an die Schmerzen erinnern. Ich weiß noch, dass der Schmerz intensiv und präsent war, aber eben auch zeitlich begrenzt. Anders als bei der Einleitung, wo es direkt so heftig anfing, baute er sich langsam auf, erreichte einen Höhepunkt und war dann auch schlagartig wieder vorbei. Dadurch war es erträglich. Es fühlt sich nicht schön an, es tut unglaublich weh. Aber es dauert eben auch nicht lange. Im besten Fall sprechen wir hier von drei oder vier Presswehen. Und danach wird alles überschrieben… Das fühlte sich quasi an wie ein Löschen der Festplatte.“
Wie genau hast du dich nach der zweiten Geburt gefühlt?
„Sehr viel glücklicher, weil ich alles sehr viel aktiver mitbekommen und mitgearbeitet habe. Ich war unglaublich stolz auf mich und darauf, wie gut ich das geschafft hatte. Ohne Schmerzmittel oder große Hilfe von außen, wohingegen ich beim ersten Mal fast schon sediert auf dem Tisch lag. Ich war auch stolz auf mein Kind und meinen Mann, der tapfer bei mir war. Das war ja für meinen Partner auch nicht ganz einfach, mich so leiden und kämpfen zu sehen. Alles in allem war es für uns ein Schrecken mit schnellem Ende. Im Gegensatz zur ersten Geburt, die sich so krass lange hingezogen hatte.“
Magst du auch noch etwas zu deiner dritten Geburt erzählen? Die erste lief mit Einleitung der Wehen und PDA ab, die zweite erst mit Ruhe, war dann eine Spontangeburt, zwar schmerzhaft, aber mit Abschluss. Ich weiß schon, die dritte ist kein Kaiserschnitt gewesen. In welcher Weise unterschied sich diese Erfahrung dann von den vorangegangenen?
„Die Situation war anders, weil mein drittes Kind sich unter den Wehen gedreht hatte. Die Hebammen haben das allerdings nicht bemerkt. Außerdem war der Beginn der Geburt auch ganz anders als bei den anderen, die mit Wehen angefangen hatten.
Beim dritten Mal lag ich ihm Bett und plötzlich spürte ich in mir etwas, das sich wie ein Plopp-Geräusch anhörte. Ich bin aufgesprungen vor Schreck, weil ich Angst hatte, dass ich die Matratze völlig durchnässen würde, denn die Fruchtblase war geplatzt. Mit diesem Kaltstart bin ich überhaupt nicht gut zurechtgekommen, weil ich aus Erfahrung auf Wehen vorbereitet war.
Ich bin also schnell aus dem Bett gesprungen und das Fruchtwasser lief nur noch so an meinen Beinen herab. Mein Mann und ich waren total aufgeregt. Wir dachten, wir hätten schon Routine, aber wir wussten überhaupt nicht, was wir in dieser Situation genau machen sollten.
Wir sind dann ins Krankenhaus gefahren, obwohl ich zu dem Zeitpunkt noch kaum Wehen hatte. Das war okay und nicht unnormal, aber nach dem Platzen der Fruchtblase sollte die Geburt innerhalb der nächsten Stunden auch besser los gehen. Denn durch den fehlenden Schutz von Fruchtblase und -wasser steigt das Infektionsrisiko enorm an.
Als die Wehen dann richtig los gingen, dachte ich, ich verhalte mich am besten genauso wie bei der zweiten Geburt und laufe meine Runden. Aber die Schmerzen wurden immer schlimmer und ich war überzeugt, dass das Kind schon sehr bald kommen müsste. Das Schmerzlevel war dann wie bei meiner Tochter kurz vor der Entbindung aber anhaltend.
Ich habe mich dann hingelegt und war der festen Überzeugung, dass die Presswehen jeden Moment losgehen müssten. Aber die Hebamme guckte und nahm mir mit dem Satz „Nein, wir sind erst bei 3cm Muttermundöffnung“ meine komplette Motivation. Das hat mich echt fertig gemacht. Ich dachte, ich habe noch ganze 7cm vor mir und jetzt schon solche heftigen Schmerzen.
Geburten bewegen immer und traumatisieren manchmal
Ich bin also mehr und mehr aus meinem Gleichgewicht gekommen, war nicht mehr in der Lage mit dem Rhythmus dieser Wehenwellen mitzugehen und die Schmerzen waren unfassbar krass. Ich weiß heute noch, es war Vollmond, der Kreißsaal war voll und aus jedem Zimmer waren Schreie zu hören. Ich kann mich erinnern, dass ich mich gefragt habe, wie ich das bloß aushalten soll. Es war allerdings auch schon zu spät für eine PDA.
Die Hebamme, die wusste, dass das schon mein drittes Kind war, untersuchte mich. Und dann ist das nächste, an was ich mich erinnere, dass sie in mich hineingriff und begann meinen Muttermund mit den Fingern zu öffnen. Ich habe in meinem Leben noch nie solche Schmerzen empfunden wie in diesem Moment. Ich kann mit vollkommener Sicherheit behaupten, dass ich kurz vor einer Ohnmacht stand. Ich konnte nicht einmal mehr schreien. Ich weiß nur noch, wie schockiert mein Mann mich ansah, weil ich ihn nur noch mit aufgerissenen Augen anstarren konnte.
Heute weiß ich, dass sie das tat, weil sie bemerkt hatte, dass der Geburtsprozess zum Stillstand gekommen war. Aber meinen Muttermund mit der Hand zu öffnen, fühlte sich einfach brutal an und am schlimmsten war, dass es nicht abgesprochen war. Ich habe davor immer gedacht, dass es wirkliche körperliche Gewalt im Krankenhaus, im Kreißsaal nicht gibt. Dass einem das vielleicht in der Situation nur so vorkommt. Vermutlich war dieser Eingriff auch nötig, ich kann es im Nachhinein nicht genau sagen. Weil das Kind sich gedreht hatte und feststeckte. Dennoch war das eine Erfahrung, die mich tatsächlich traumatisiert hat. In der Zeit nach dieser Geburt habe ich heftig mit den Erinnerungen daran zu kämpfen gehabt.
Nach diesem Eingriff war ich natürlich geöffnet und das hatte zur Folge, dass mein Sohn auch zur Welt kommen konnte. Aber auch an dieser Stelle möchte ich wieder betonen, man sollte immer auf den eigenen Körper hören. Ich sagte der Hebamme, dass ich spüre, wie er feststeckt. Dass ich spüre wie Knochen auf Knochen drückt. Dass ich dieses Kind so nicht aus mir herauskriege. Dann habe ich Erinnerungslücken und ich kann nicht sagen, wie sie ihn aus mir herausgeholt haben. Aber am Ende war er da. Unter den schlimmsten Schmerzen meines Lebens geboren.
Als mein Sohn dann geboren war, war es natürlich auch gleichzeitig wieder schön. Aber es war – und es ist auch jetzt, wo ich es nochmal erzähle – eine ganz andere Stimmung. Es war eine ganz andere Geburtserfahrung. Es hatte nichts mehr zu tun mit dem „ach, alles auch irgendwie schön trotz Schmerzen“. Es hat mich einfach in jeder Hinsicht vollkommen überfordert.
Ich habe alle meine Kinder sechs Monate gestillt, aber bei meinem dritten Baby hatte ich keinen richtigen Milcheinschuss. Ich denke, das ist ein Zeichen dafür, wie heftig ich auch im Nachhinein psychisch und dadurch auch körperlich unter dieser Geburtserfahrung gelitten habe. Mein Kind war glücklicherweise gesund und munter und hat keine Schäden davongetragen.
Und als er dann auf der Welt war, hat sich herausgestellt, dass er unter der Geburt in die falsche Richtung geschaut hat und eben nicht die weiche Nase am Rückgrat lag, sondern der harte Hinterkopf. Das war genau dieses Knochen-gegen-Knochen-Gefühl, das ich hatte und weshalb er sich quasi in mir verkeilt hatte. Das hat man im Verlauf der Geburt wahrscheinlich nicht sehen oder verhindern können, hatte aber eben zur Folge, dass ich diese Erfahrung ganz anders erlebt habe als die ersten beiden.“
Du hast eben das Wort „traumatisiert“ verwendet und auch bei mir kommt während deiner Erzählung eine ganz andere Stimmung an als eben. Es ist krass, dir bei deinem Bericht zuzuhören. Hast du im Nachgang an diese Erfahrung mit drei kleinen Kindern überhaupt die Kapazitäten gehabt, das alles einmal aufzuarbeiten?
„Ich erinnere mich noch, dass ich mit einer Freundin telefoniert und dabei bitterlich geweint habe. Und ich könnte auch jetzt noch bitterlich weinen, weil es mich einfach immer noch so mitnimmt. Ich weiß gar nicht, was mich daran faktisch so emotional werden lässt. Ich glaube, mich hat die schiere Heftigkeit dieser Situation einfach komplett überfahren, denn ich hatte sowas vorher nicht annähernd erlebt. Solchen Schmerz und solche Hilflosigkeit. Ich muss dazu sagen, dass ich vorher auch nie einen Unfall hatte oder irgendwelche schwerwiegenden Verletzungen, durch die ich vielleicht ähnliche Schmerzerfahrungen hätte gemacht haben können.
Aber ansonsten hatte ich die Kapazität nicht, um das aufzuarbeiten. Das Problem dabei ist vor allem, dass man das auch selbst erst einmal so ernst nehmen muss, wie es wahrscheinlich angemessen wäre. Ich habe mich auch selbst dabei ertappt, dass ich meine eigenen Empfindungen heruntergespielt habe. Auch wenn Schmerzempfinden und Traumatisierung super subjektive Dinge sind. Ich wurde nicht ernst genommen und habe mich deshalb dahingehend lange auch selbst nicht ernst genommen.
Letztlich habe ich zuhause mit meiner Hebamme noch einige Male über den Ablauf der Geburt gesprochen, aber professionelle Hilfe habe ich mir nicht gesucht. Ich glaube, diese Erfahrungen sind etwas, das man einfach mitnimmt. Das kann man vielleicht auch gar nicht so richtig verarbeiten. Oder vielleicht doch, ich weiß es nicht. Ich habe es jedenfalls nicht getan.“
Ich glaube, du hast jegliches Recht – auch mit einigen Jahren Abstand und jetzt vielleicht mehr zeitliche Kapazitäten – dir professionelle Hilfe eventuell in Form eines Therapiegesprächs zu suchen.
„Ich selber habe mir diesen Raum nicht gegeben. Wenn ich ihn eingefordert hätte, hätte ich ihn von meiner Familie sicher bekommen. Aber ich habe das nicht getan. Ich muss auch sagen, dass die Geburt für mich zwar als Erfahrung drastisch und traumatisch war, aber zum jetzigen Zeitpunkt habe ich diesen Lauf der Dinge, wie er eben war, akzeptiert und das dadurch auch abgeschlossen.
Denn Machtlosigkeit habe ich vor allem gegenüber meinem Körper gefühlt. Mein Körper, der automatisch all das mit mir machte. Das, was mir passiert ist, ist ja keine Willkür von jemandem gewesen. Mein Körper selbst war mein Kontrollverlust, was etwas abgeschwächt hat, dass die Hebamme eigenmächtig entschieden hat, um mir zu helfen.“
Veränderungen durch Mutterschaft
Wie haben sich denn deine Geburten generell auf deinen Körper ausgewirkt? Gibt es Aspekte, die jetzt ganz anders sind im Vergleich zu vorher?
„Die körperliche Rückbildung braucht ihre Zeit. Ein Kind kommt ein Jahr und ein Kind geht ein Jahr. Über Veränderungen, die in diesen Zeiträumen passieren, sollte man sich nicht so stressen.
Ich habe schon immer eine kleine Brust gehabt, weshalb sich an dieser Stelle bisher optisch nichts großartig verändert hat. Was sich dauerhaft verändert hat, würde ich sagen, ist meine Vagina.
Meine Vagina hat unter den Geburten Risse davongetragen, sodass das Gewebe genäht werden musste und im Abheilungsprozess vernarbt ist. Ich habe den Eindruck, dass ich dadurch etwas weniger empfinde als vor den Geburten. Das ist auf jeden Fall für mich die langanhaltendste und auffälligste Veränderung.“
Das heißt, du fühlst nicht mehr so viel beim Sex wie vorher?
„Nein, das nicht unbedingt. Aber wenn ich mich selbst im Intimbereich anfasse und mir zum Beispiel beim Einsetzen eines Tampons einen Finger einführe, dann fühlt es sich eben anders an als früher. Es fühlt sich nicht geweitet oder „ausgeleiert“ an, aber man kann spüren, dass alles stark gedehnt worden ist und sich wieder zurückgebildet hat. Das Gewebe ist einfach anders als früher. Beim Sex macht das aber keinen spürbaren Unterschied.“
Hat sich dein Verständnis deiner eigenen Weiblichkeit durch die Mutterschaft verändert?
„Ja. Möglicherweise aber in einem anderen Aspekt als, worauf du anspielst. Ich finde, es gibt eine mütterliche und eine sexuelle Weiblichkeit und man agiert und spricht prä und post Mutterschaft in diesen Bereichen anders. Für mich war es nach jeder Geburt eine kleine Herausforderung immer wieder mein Verständnis der mütterlichen Weiblichkeit mit meiner eigenen abzugleichen und zu vereinbaren. Was bin ich denn jetzt? Kann ich sexuell weiblich sein, obwohl ich gebend-fürsorglich weiblich geworden bin?“
Warum schließen sich mütterlich weiblich und sexuell weiblich eigentlich voneinander aus? Allein aus kausalen Gründen sind diese beiden Bereiche ja untrennbar miteinander verbunden oder nicht?
„Ich glaube, das liegt an meiner Prägung. Ich persönlich hatte große Schwierigkeiten mich als Mutter wieder sexuell zu fühlen. Warum genau kann ich gar nicht erklären. Aber da war eben ein Graben, der mit spürbarer Anstrengung überwunden werden musste. Eventuell habe ich das Muttersein verheiligt und konnte es nicht so gut mit der „Profanität“ und Anrüchigkeit von Sex zusammenbringen. Diese beiden Aspekte haben für mich überhaupt nicht zusammengepasst, obwohl ich sie in mir, in ein und derselben Person vereinigt gesehen habe. Es gibt aber auch sicherlich andere Menschen, die damit ganz anders umgehen können und diesen Struggle nicht kennen.“
Was macht denn für dich eine Person zur Mutter?
„Das hört sich vielleicht etwas hart an und könnte manche Personen verletzen, aber ich finde, eine Mutter ist dann eine Mutter, wenn sie selbst ein Kind gebären durfte. Die Betonung liegt auf „dürfen“ und ich weiß, dass das nicht jede Frau kann, darf oder möchte.
In meiner Erfahrung ist es aber so, dass sich durch den biologischen Prozess der Schwangerschaft und Geburt mein Denken selbst verändert hat. Ich habe mich in diesem Prozess mit mir, mit dem Kind, meiner Umwelt, mit allem auseinandergesetzt. Auch mit meiner eigenen Vergangenheit und Kindheit. Man darf nicht unterschätzen, was während der Schwangerschaft, der Geburt und auch nach der Geburt hormonell im Körper passiert. Es fühlte sich für mich an, als würden nochmal ganz andere Synapsen verknüpft und als hätte sich meine Denkstruktur umgestellt.
Ich glaube ganz bestimmt, dass es auch gute Mütter gibt, die nicht schwanger waren und das Kind nicht selbst geboren haben. Aber ich glaube, dass es da trotzdem noch einen minikleinen Unterschied gibt.“
Das ist vielleicht der Unterschied zwischen „Mutter“ und „Mutterrolle“?
„Es gibt ja auch unglaublich schlechte Mütter, obwohl sie schwanger waren (lacht).“
Ja, klar, über die „Güte“ soll das ja auch gar nichts aussagen, wenn ich dich richtig verstehe. Sondern über den Unterschied dazwischen, was biologische Mutterschaft möglicherweise psychisch an dir verändert und dem bewussten Verhalten in der Mutterrolle, in der du aktiv Sorgeaufgaben und Verantwortung für einen anderen Menschen übernimmst. Also eine Veränderung des Verhaltens versus eine Wesensveränderung. Ich finde es spannend, dass du diesen Unterschied so deutlich wahrnimmst.
„Weil ich denke, dass das auch eine besondere Tragweite annehmen kann. Vielleicht nimmt man die Anstrengungen auch noch einmal anders wahr, wenn das Kind beispielsweise mal besonders schwierig ist oder die Situation einem mehr abverlangt als erwartet.
Aber trotzdem glaube ich, dass auch nicht leibliche bzw. nicht biologische Mütter gute Mütter sein können und dass ihre Kinder keinen Nachteil haben. Für die aktive Mutterrolle macht es am Ende wahrscheinlich gar keinen Unterschied.“
Tamara, ich danke dir aus tiefstem Herzen für dein Vertrauen und deine Offenheit. Unser Gespräch hat mir viele wertvolle Einblicke gegeben und mich sehr bewegt. Ich wünsche deiner Familie und dir alles Gute. Und vielleicht letztlich für dich den Raum zur Aufarbeitung deines Erlebnisses.