Alleine essen gehen – der Absprung aus der Unsicherheit führt zur weichen Landung an einem Tisch für Eine. Der Platz mir gegenüber demonstrativ unbesetzt. Ein Kellner zögert sich heran, ob er schon einmal die Karte? Ja gerne, und nein, ich warte nicht. Ich erwarte heute niemanden mehr. Tatsächlich sind der Spontaneität keine Grenzen mehr gesetzt, wenn das Warten auf Andere erst einmal ein Ende genommen hat.
Ich bin der Überzeugung, viele Frauen kennen das Gefühl: Die kleine alltägliche Sehnsucht, sich in das einladende Restaurant zu setzen, an dem sie so häufig vorbeilaufen, es aber nie vorschlagen, wenn es um gemeinsame Abendessen geht. Denn dieses gemütliche, einladende Restaurant ist nicht günstig genug gelegen für alle, nicht interessant genug für die Erwartungen der oft Ausgehenden und zu heimelig für ein erstes Date. Den eigenen Ansprüchen jedoch würde es perfekt entsprechen. Aber in den Genuss dieses Restaurants zu kommen, würde bedeuten, alleine essen gehen zu müssen. Und bei mir hat das meine Scham lange sehr erfolgreich verhindert.
The female urge nicht einsam zu wirken
Wie sieht das denn aus, wenn ich mich alleine an einen Tisch setze? Was denken die Leute dann von mir? Dass ich keine Begleitung gefunden habe? Zu verwöhnt bin, um für mich selbst zu kochen an einem Dienstagabend? Oder noch schlimmer: Dass ich von meiner Verabredung versetzt wurde?!
Wenn ich als junge Frau wie eines nicht wirken will, dann wie bestellt und nicht abgeholt. Wie in Erwägung gezogen und für nicht wichtig genug befunden. Allein in einem Restaurant zu sitzen, das kann ja nur einen zweifelhaften Charakter attestieren. Davon war ich lange überzeugt. Wie beschäftigt man sich überhaupt während des Essens, wenn man einerseits mangels Gegenüber kein Gespräch führen und andererseits mangels Privatsphäre kein Netflix gucken kann? Und wie würden die Menschen um mich herum auf mein offensichtliches Alleinsein reagieren?
In meinem Kopf spielten sich jedes Mal Szenen der sozialen Ächtung ab, wenn ich vor einem Restaurant stehen blieb und spontan alleine einzukehren erwog: Eltern, die ihren Kindern verbieten zu mir rüber zu starren, nur um mir selbst verwirrt-angeekelte Blicke zuzuwerfen. Servicepersonal, das mich so lange ignoriert, bis ich vom Hunger überwältigt in Karen-Manier durch das ganze Restaurant nach einer Bestellung brülle. Ein hochprozentiger Gruß vom Herrn dort drüber an der Bar, der gönnerhaft-lauernd dabei zuschaut, wie mir der Cocktail an den Tisch gebracht wird.
Mit solchen Schreckensszenarien vor dem inneren Auge stand ich eines schönen Spätsommerabends vor einem Restaurant und hatte mich noch gar nicht fertig gegruselt, als eine Kellnerin mich mit einem freundlichen „Suchst du einen Tisch für dich?“ ansprach. Also ließ ich locker – und mich von ihr an einen Tisch im Außenbereich führen.
Alleine essen gehen als Selfcare-Trend: #solodining
Es wird für die Wenigsten wohl eine Überraschung sein, wenn ich sage, dass ich an diesem Abend ein wirklich gutes Abendessen verlebte. Meine Kellnerin betreute mich fast mehr, als dass sie mich bediente. Nach dieser schönen Erfahrung wiederholte ich das Erlebnis gerne und oft – Ketchupflaschen-Effekt. Bis ich merkte, dass es doch ins Geld geht, sich immer nur von sich selbst einladen zu lassen und meine einsamen kulinarischen Ausflüge wieder etwas zurückschraubte.
Aber bis zu diesem Punkt habe ich unheimlich genossen, was für ein enormes Gefühl der Unabhängigkeit ich mir damit selbst bescheren kann. Die Scham und die unangenehmen Gedanken waren zwar nicht sofort verflogen, aber ich lernte sie auszuhalten. Schließlich überwogen die Vorteile deutlich: Ich konnte ein gutes Buch lesen, während ich auf mein Essen wartete. Ich konnte mich dazu entscheiden, alleine ein paar Tage in eine fremde Stadt zu fahren, ohne die gesamte Zeit von Fertigessen aus dem Supermarkt zu leben. Und ja, manchmal konnte ich auch einfach getrost zu faul sein, um an einem Dienstagabend für mich alleine zu kochen.
Worauf basiert diese Scham vor dem alleine essen, die durchaus nicht nur mir bekannt ist und die bei mir sogar dann einsetzt, wenn ich Pizza für mich alleine nach Hause bestelle? Sie basiert auf der Tatsache, dass wir Einsamkeit gesellschaftlich immer noch tabuisieren. Wir glauben, dass niemand wirklich freiwillig allein ist. Besonders nicht in Situationen, die stark gemeinschaftlich kodiert sind und zu denen vor allem das Essen zählt. Niemand möchte gerne wie die Person aussehen, die man nicht zum Abendessen treffen will.
Außerdem hängt das Schamgefühl mit unserem kollektiven Verständnis davon zusammen, wie besonders junge Frauen sich zu verhalten haben. Sie sollen sozial sein und sich verpartnern wollen, um sich nützlich machen zu können. Sie sollen ihren Wert darüber definieren, welche Menschen (Männer) sich mit ihnen umgeben wollen. Sie lernen früh im Leben, es als schmeichelhaft zu betrachten, wenn ein Mann sie zum Essen ausführen möchte. Und ganz besonders schnell erlernen sie die Angst davor, nicht als Partnerin – für’s Abendessen oder für’s Leben – ausgewählt zu werden. Nichts ruft lauter „mit der stimmt doch was nicht“ als eine alleingebliebene Frau zu sein.
#girldinner findet nicht im Restaurant statt
Und deshalb tut eine junge Frau alles dafür, um möglichst sicher ausgewählt zu werden. Das bedeutet typischerweise die Herstellung sowohl einer maximal einladenden äußeren Erscheinung als auch möglichst minimal bedrohlicher innerer Werte. Wie angenehm für all diejenigen Mitglieder unserer Gesellschaft, die die auswählende Rolle besetzen. Übrigens eine Rolle, in der Einsamkeit viel mehr verklärt wird, als dass sie verschrien ist (siehe auch „Lonewolf“).
Dass ich heute Stolz anstatt Scham empfinden kann, wenn ich sichtbar alleine bin, ist darauf begründet, eine Machtposition einnehmen zu können, die mir von Geburt an als erstrebenswert (für Männern) vorgelebt wurde. Als junge Frau dieses Privileg für mich zu beanspruchen, fühlt sich gut an, obwohl ich weiß, dass das Gefühl des Triumphs nicht nachhaltig sein kann. Schließlich will ich nicht die gleichen Chancen auf Einsamkeit wie ein Mann. Diese stereotype Einsamkeit, die als alternativloser Status definiert wurde, der keine Option auf Gemeinschaft, Schwäche oder Hilfe von außen erlaubt.
Ich will die Chance auf Schambefreiung wie sie bisher niemandem in unserer Gesellschaft zugestanden wird, aber allen eingeräumt werden sollte. Ich träume von der Ent-Privilegisierung von Akten der Selbstfürsorge, wie solo Abendessen oder Kinobesuche. Keine Person, vor allem keine weiblich gelesene, sollte sich dafür schämen, wenn sie bei typisch geselligen Unternehmungen nicht in Gesellschaft ist und es trotzdem macht. Denn das tut so viel besser, als es nicht zu machen oder so lange auf eine Begleitung zu warten, dass das erste Dinner for One erst zum 90. Geburtstag stattfindet.
Du willst mehr über Situationen lesen, in denen ich eine von außen auferlegte Scham überwunden habe? Dann schau doch mal hier rein.