Diese Eltern Message kommt von Ine. Sie ist zum Zeitpunkt unseres Interviews 65 Jahre alt, hat zwei Kinder im Alter von 29 und 33 Jahren und ist außerdem bereits Großmutter. Was die Mama- und Eltern Messages sind? Eine Gesprächsreihe über authentische Erfahrungen mit Schwangerschaften, Geburten und insbesondere allem rund um Mutterschaft. Bevor es darum gehen wird, welche Messages Ine für andere Mütter, Großmütter, Eltern, Erziehende und vielleicht-Mal-Eltern in Petto hat, noch ein kurzer Hinweis.
Trigger-Warnung: Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch. Die Textstellen sind farblich markiert, sodass sie übersprungen werden können.
Zur Einleitung der Gesprächsreihe, geht’s übrigens hier entlang: Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen
Cleo: Sag mal, Ine, hast du Mutterschaft von Anfang an als Teil deiner Lebensplanung betrachtet oder war das nicht immer so?
Ine: „Ja, das habe ich. Ich kann mich erinnern, dass ich mit ca. 15 oder 16 Jahren gedacht habe, dass ich mit 25 verheiratet sein, in einem Häuschen wohnen und zwei Kinder haben möchte. Und zwar einen Sohn und eine Tochter. Also das war schon sehr konkret!“
Und ist es dann auch so gekommen?
Ine: „Nein, nicht ganz (lacht)! An meinem 32. Geburtstag fragte mich eine Freundin, was ich mir für das kommende Lebensjahr wünschen würde. Ich hatte damals gerade einen neuen Job angefangen und war in eine andere Stadt gezogen. Trotzdem habe ich ihr gesagt, dass ich in diesem Jahr eigentlich gerne ein Kind bekommen würde. Ich befand mich zu der Zeit nicht in einer Beziehung, eigentlich war alles offen, aber kurz danach wurde ich schwanger (lacht).“
Das bedeutet, du hattest immer einen sehr präsenten Kinderwunsch?
„Ich habe gedacht, das gehört zu meinem Leben dazu.“
Hast du dich dann auch im Vorhinein darüber informiert, was es bedeuten kann, schwanger zu sein? Oder hast du das nur als abstrakten Wunsch vor dir gesehen?
„Nein, ich habe mich nicht besonders vorbereitet. Ich habe die Schwangerschaften meiner Mutter mitbekommen, weil ich ihre älteste Tochter bin. Und ich wusste auch durch meine Ausbildung das eine oder andere Detail, aber ich habe mich damit im Vorhinein nicht intensiv befasst, nein.“
Wie ging’s denn dann weiter?
„Die Beziehung, in der ich schwanger geworden war, war zu dem Zeitpunkt noch sehr, sehr neu. Wir haben überlegen müssen, ob wir gemeinsam als Paar für das Kind sorgen wollen oder ob ich das als Alleinerziehende übernehme. Ein Abbruch der Schwangerschaft hat für mich zu keinem Zeitpunkt im Raum gestanden. Wir haben dann zu Weihnachten gemeinsam einen Schwangerschaftstest gemacht, der auch positiv ausfiel.“
Und dann war die Freude groß oder eher nicht?
„Ich fühlte zu diesem Kind eine ganz klare Zustimmung. Aber ich habe auch unglaubliche Angst gehabt. Ich hatte ja gerade erst einen neuen Beruf angefangen und war auch noch ganz unerfahren in dem Job. Neu in der Stadt, neu in der Beziehung – ich habe große Existenzängste gehabt und mich gefragt, wie ich das schaffen soll. Meine Eltern haben mir großen Druck gemacht nach dem Motto „wie kann man denn in dieser Situation…“. Aus all diesen Gründen ist die Beziehung zwischen mir und meinem damaligen Partner nicht entspannt weiter gegangen.
Mir war so schrecklich übel die ganze Zeit, dass ich niemanden körperlich an mich heranlassen wollte. Wir haben dann unsere Beziehung auf „stand by“ gesetzt und ich habe ihn gebeten, dass er mich drei Monate in Ruhe lässt, bis ich wieder etwas mehr bei mir bin.“
Wie ging es dann mit eurer Beziehung weiter?
„Mir ging es tatsächlich viel länger schlecht als gedacht. Ich hatte damit gerechnet, dass es nach drei, vier Monaten besser würde. Diese Beziehungspause hat bis in den vierten Monat der Schwangerschaft hinein gedauert, was der Beziehung nicht gutgetan hat.“
Spielst du damit auf Sex an, der in dieser Zeit nicht stattgefunden hat?
„Nein, das war es nicht. Die Sicherheit und das Vertrauen in die Beziehung wurden dadurch belastet. Dadurch, dass ich nach einer Pause verlangt habe, weil ich einfach so sehr neben mir stand. Das war einfach nicht gut für unsere Bindung.“
Auf die optimale Unterstützung bestehen
Gab es Aspekte, die am schwanger sein unerwartet für dich waren?
„Die Schwangerschaft war so ca. ab der 35. Woche wirklich schön. Da ging es mir gut und das konnte man sehen. Das habe ich sehr genossen. Bis zu dem Moment, wo der Bauch einfach so groß wurde, dass ich das Gefühl hatte zu platzen.“
Das bedeutet, es wurde anstrengend gegen Ende, aber du hast dich ansonsten nicht überfordert gefühlt. Du bist also trotz der ungeplanten Schwangerschaft mit den Veränderungen an dir selbst gut zurechtgekommen?
„Ich habe das so hingenommen. Ich habe akzeptiert, dass es in diesem Moment eben einfach schwierig war. Ich wusste von meiner Mutter, dass sie sehr schwierige Schwangerschaften hatte. Und sie erzählte mir, dass immer alles gut wurde, wenn das Kind erstmal auf der Welt war. Sie hat mir dadurch etwas sehr Positives mitgegeben.“
Hast du dich denn in Geburtsvorbereitungskursen informiert oder hattest du schon vor der Geburt eine Hebamme an deiner Seite?
„Ja! Mir war bewusst, dass ich jemanden an meiner Seite brauche, weil ich nicht alleine ins Krankenhaus gehen wollte. Ich wollte das gerne mit einer Hebamme machen, die ich mir selbst ausgesucht hatte. Das hat auch alles gut geklappt.
Was ich im Nachhinein dazu empfehlen würde, ist, sich eine Hebamme zu suchen, bei der man sich wirklich sicher und gut aufgehoben fühlt. In der Rückschau würde ich sagen, die Hebamme, die ich gewählt hatte, war eine super Hebamme für den Kindsvater, aber nicht die optimale Hebamme für mich.“
Wieso war sie für den Vater super?
„Die beiden sind total gut miteinander ausgekommen. Wir hatten ein ganz schönes und entspanntes Verhältnis. Aber ich hätte etwas anderes gebraucht (lacht). Ich hätte eine mütterlichere Hebamme gebraucht.“
Eine, die mehr Ratschläge gegeben hätte?
Eine, die mich mehr gehalten hätte. Mir Mut gemacht und gut zugeredet hätte.“
Wie sollte eine gute Unterstützung in der Schwangerschaft und unter der Geburt aussehen?
„Ich empfehle eine Person, bei der man sich wirklich sicher fühlt. Ich verbinde das mit einer großen Mütterlichkeit. Das kann natürlich auch ein Mann sein, der so eine mütterliche Qualität hat. Vielleicht ist es eine Freundin, vielleicht ist es auch die eigene Mutter, da muss man gut reinspüren. Und man muss sich auch trauen jemandem zu sagen: „Du bist das leider nicht für mich in diesem Moment.“
Kann es nicht auch zu viel Beeinflussung von außen und zu viel Bemutterung geben?
„Oh ja. Bis in die Geburtssituation hinein meinten andere immer besser zu wissen als ich, was richtig für mich sei. Ich war sicher, wenn mir unter der Geburt alles zu viel werden würde, dann wollte ich eine PDA. Da war ich sehr entschieden. Ich hatte viel Respekt vor der Geburt und war nicht der Meinung, dass ich um jeden Preis spüren muss, wie ich zerreiße. Da wollte ich mir selbst vorher lieber eine PDA gönnen. Und als die Hebamme dann nach der Geburt zu mir sagte, dass ich das beim nächsten Mal aber ja wohl ohne PDA schaffen würde, war ich total überrumpelt.“
Das ist ja ziemlich frech!
„Ja. Sie sagte, sie würde keiner Frau etwas zumuten, was sie nicht auch selbst ausgehalten hätte. In dem Moment konnte ich darauf überhaupt nicht adäquat reagieren und bin in den Minderwert gerutscht. Für mich fühlte es sich wegen ihrer Worte so an, als hätte ich es nicht fertiggebracht, mein Kind ordnungsgemäß auf die Welt zu bringen. Das hat mir wirklich nicht gutgetan. Im Nachhinein würde ich sagen, dass das der völlig falsche Ansatz ist, einer jungen Mutter zu begegnen.“
Kannst du deine Erfahrungen mit Übergriffigkeit in der Schwangerschaft und unter der Geburt als Message an vielleicht-mal-Mamas formulieren?
„Du darfst dich scheiße fühlen und du musst dich nicht in jedem Moment freuen. Du darfst nein sagen zu Angeboten oder Ratschlägen, die du nicht möchtest. Du kannst sagen: „Vielen Dank für deinen Rat, aber ich möchte das nicht hören.“ Es ist wirklich wichtig, die eigenen Grenzen zu setzen und gut zu verteidigen.“
Ich kann mir vorstellen, dass man in der Schwangerschaft genug Gelegenheiten zum Üben hat, wie man in ein selbstbestimmtes Nein hineinwächst und die eigenen Grenzen achtet. Unter der Geburt allerdings, kann ich mir denken, dass sich das herausfordernder gestalten kann.
Jeder Geburtsweg ist valide
Möchtest du mal davon erzählen, wie du deine erste Geburt erlebt hast?
„Gerne. Ich hatte mir eine ganz renommierte Klinik im Bereich „sanfte Geburtsbegleitung“ ausgesucht. Und ich hatte mir vorgestellt, ich bringe mein Kind in der Badewanne zur Welt. Letztlich war ich völlig schockiert, als ich feststellte, dass ich in dieser Wanne weder sitzen noch liegen noch wirklich aussteigen konnte.
Ich hatte eine Wehe nach der anderen und habe direkt ein Medikament bekommen, das mir auch erst einmal half. Irgendwann war ich dann wieder in der Lage die Wanne zu verlassen und habe darauf bestanden, eine PDA zu bekommen. Da war mein Muttermund schon neun Zentimeter geöffnet. Ich habe die PDA wirklich nur noch bekommen, weil ich Privatpatientin war und vehement darauf bestanden habe.
Die Person, die die Gebärende begleitet, sollte ganz genau wissen, welche Wünsche geäußert wurden und diese auch tatsächlich vertreten. Sie sollte für den Willen der Gebärenden einstehen, wenn sie selbst für diesen Kampf nicht auch noch Kraft aufbringen kann.“
Klingt nach dem Konzept eines Geburtsplans. Du hast dann in deiner ersten Geburtssituation also Glück gehabt, dass deine Wünsche noch respektiert und erfüllt worden sind. Wie war das bei deiner zweiten Geburt? Lief es da anders ab?
„Das lief tatsächlich anders ab. Unheimlich gut war, dass ich mein zweites Kind auf einem Geburtshocker gekriegt habe. Ich hatte diese Geburtsposition mal in einer Dokumentation gesehen und das war die beste Gebärhaltung für mich. Über meinem Kopf hing ein Seil, an dem ich mich festhalten und so all meine Kraft in die Arme lenken konnte. Auf diese Weise konnte ich das Becken besser lockerlassen, als wenn ich pressend auf dem Rücken gelegen hätte.
Ich war auch beim zweiten Mal bei derselben Hebamme. Und als ich dann auch unter meiner zweiten Geburt nach einer PDA verlangt habe, sagte sie mir, dass es schon zu spät sei. Ich würde keine PDA mehr bekommen. Ich weiß noch, wenn ich gekonnt hätte, wäre ich liebend gerne aufgestanden und hätte ihr eine gelangt… Aber ich kam ja schon nicht mehr auf die Beine (lacht). Letztlich habe ich mein zweites Kind dann ohne PDA bekommen. Aber in dem Moment, in dem mein Sohn sich durch mein Becken gedreht hat, habe ich gedacht, ich falle in Ohnmacht und sterbe. Es war ein unbeschreiblicher Schmerzmoment.
Dieser Moment, der wirklich so unglaublich hart an der Grenze war, hatte allerdings etwas Ekstatisches. Ich war im Nachhinein froh, diese Erfahrung gemacht zu haben. Aber ich muss das wirklich nicht nochmal erleben. Ich habe dann doch ein bisschen Abbitte getan bei meiner Hebamme. Sie hat mich an der Stelle ausgetrickst, aber nur um mir dieses Erlebnis zu ermöglichen.“
Hat das Erleben eines solchen Schmerzmoments und der resultierenden Stärke deinen Blick auf dich selbst beeinflusst?
„Ich kann nicht behaupten, dass es meinen Blick auf mich selbst verändert hat. Aber es ist auf jeden Fall ein Erlebnis, um das ich sehr froh bin.“
Hat das denn wirklich gar nichts mit dir gemacht? Warum bist du dann froh darüber?
„Weil es so etwas Intensives und wirklich Orgiastisches war. Der Moment, in dem das Baby mit dem Kopf und dem Körper den Geburtskanal verlässt, das hat etwas Überwältigendes. Die Erlösung, wenn du durch diesen Schmerz durch gegangen bist.“
Das klingt wirklich faszinierend. Ich vermute, ich wäre stolz auf mich selbst, wenn ich sowas durchlebt hätte, ohne wahnsinnig geworden zu sein vor Schmerz.
„Stolz habe ich eigentlich nie empfunden. Aber du hast recht.
Gerade wenn man sich diese Fähigkeit und diese Bereitschaft anschaut, sich so hinzugeben, um ein Kind auf die Welt zu bringen. Ja, da hat man eigentlich allen Grund stolz auf sich zu sein. Man hat auch mit einer PDA allen Grund stolz auf sich zu sein. Ich kann das gar nicht haben, wenn jemand eine Geburt unter Einsatz von Schmerzmitteln herunterspielt und meint, das wäre keine Leistung.“
Körperliche Veränderungen annehmen und respektieren
Mal ganz abgesehen von den körperlichen Veränderungen, die ja nicht nur durch die Geburt, sondern auch durch eine Schwangerschaft entstehen. Das ist ja nichts, das durch eine PDA revidiert wird. Wie hast du das erlebt? Hat sich dein Körper stark verändert?
„Wenn ich so vor dem Spiegel stehe und mich ansehe, dann ist es bloß eine minimale äußere Veränderung. Mit meinem Innenleben hat es mehr gemacht. Bei mir ist unter der Geburt unheimlich viel kaputt gegangen, was nicht reparabel war. Ich hatte anschließend eine manuelle Plazentalösung, was mich wirklich sehr verletzt hat.
Ich hatte nach der Geburt das Gefühl, mein Körper sei ein einziges Schlachtfeld und erholt sich nie wieder davon. Das ist etwas, womit man rechnen muss. Ich meine, dass es auch irreversible Schäden gibt. Es gibt ja auch leider Mütter, bei denen durch die vaginale Geburt der Schließmuskel zerstört wird. Ich kenne eine junge Frau in meinem Bekanntenkreis, die seit der Geburt inkontinent ist.“
Ich habe gelesen, dass Harninkontinenz hingegen oft nur eine zeitweise Folge vaginaler Geburten sei und sich wieder erholen kann. Das tritt tatsächlich bei (je nach Quelle) 40% der vaginal Gebärenden jeglichen Alters auf. Das ist so gesehen ein sehr häufiges Phänomen, das ich daher auch gar nicht mehr unter individuelle Folgen einer Geburt fassen würde. Trotzdem ist das eine Information, die absolut nicht verbreitet ist. Mir ist dieser Fakt das erste Mal in einer Werbung für postnatale Inkontinenzunterwäsche begegnet. Ich finde es natürlich gut, das jetzt zu wissen, bin aber auch der Meinung, dass solche Informationen nicht von Stellen mit kommerziellem Interesse vermittelt werden sollten.
Wir haben über irreversible körperliche Veränderungen gesprochen und dass du dich wie ein „Schlachtfeld“ gefühlt hast. Ist es denn am Ende wirklich so schlimm gekommen oder ist auch eine gewisse Heilung über die Zeit passiert?
„Mein Körper erholte sich nicht wieder gänzlich und es war nicht mehr so wie vorher, nein.“
Kannst du, falls es dir nicht unangenehm ist, beschreiben, was sich genau an dir verändert hat?
„Ich kann seit der ersten Geburt den Völlezustand meiner Blase nicht mehr fühlen. Wenn ich merke, dass ich zur Toilette muss, dann muss ich auch sofort gehen, sonst ist es zu spät. Das war natürlich vorher ganz anders.“
Hat sich für dich auch in Bezug auf deine Sexualität, also dein körperliches Lustempfinden etwas verändert?
„Ja. Interessanterweise habe ich kurze Zeit nach der Entbindung die ersten Male Geschlechtsverkehr als sehr lustvoll empfunden. Das hat sich aber wieder gegeben. Denn was ich ganz schwierig fand, war der Geruch meines Wochenflusses. Das war wirklich sehr unangenehm.“
Wonach riecht das?
„Es riecht eklig (lacht). Es ist ja eine Mischung aus Blut und Wundsekreten etc. und darauf war ich nicht vorbereitet. Ich bin dahingehend eigentlich gar nicht so empfindlich, denn ich bin unter anderem auch Krankenschwester gewesen. Ich habe einiges an Gerüchen erlebt, womit ich auch heute noch gut umgehen kann. Aber so etwas bei mir selbst zu erleben, das fand ich ganz schwierig.“
Nochmal in Bezug auf die Veränderungen, die durch eine Geburtserfahrung eingeleitet werden können. Wie sieht das mit psychischen Veränderungen aus, die die körperlichen vielleicht begleiten? Ich denke da an Unsicherheiten und die zumindest groß propagierte Sehnsucht wieder auszusehen wie vor der Schwangerschaft. Gibt es dazu etwas, das du deinem jüngeren Selbst oder anderen jungen Frauen gerne mitgeben würdest?
„Das ist eigentlich eine ganz ambivalente und auch traurige Geschichte. Man muss sich fragen, für wen man diesen Körper eigentlich wiederherstellen will. Ist das etwas, das ich wirklich ausschließlich für mich und mein Wohlbefinden tue oder mache ich das, weil ich mich von außen betrachte. Weil ich direkt wieder wie eine Frau ohne Kinder aussehen muss.“
Denkst du, das muss man überhaupt?
„Nein. In meinen Augen verliert man dadurch ja eigentlich ein Stück der hinzu gewonnenen Weiblichkeit. Die Fähigkeit zur Mutterschaft ist für mich eigentlich ein Teil der weiblichen Identität. Und wenn man mir das nicht ansehen darf, dann ist das respektlos.“
Inwieweit hat dieser Körper stattdessen Respekt verdient?
„Bedingungslos hat er Respekt verdient. Den eigenen Respekt durch die Akzeptanz des eigenen Körpers, denn damit beginnt alles. Aber auch den Respekt von außen. Mir sind nach meinen Geburten durchaus sehr blöde Bemerkungen zu meinem Körper entgegengebracht worden, zumeist von einem männlichen Gegenüber. Es macht einen großen Teil des Selbstrespekts aus, so etwas zurückzuweisen und nicht an sich heran zu lassen.“
Mal abgesehen davon, dass manche körperlichen Veränderungen einen tatsächlichen Nachteil für die Lebensqualität bedeuten. Es geht ja auch um die Anerkennung einer gewissen Leistung. Und die Spuren, die der Körper dadurch trägt, in einen Kontext der Errungenschaft zu setzen, sodass sie angenommen werden können. Doch gerade für solche körperlichen Anzeichen einer Schwangerschaft wie gedehnte und lockere Haut an Bauch und Brüsten, die keinen medizinischen Nachteil bringen, schämen sich viele Personen.
„Das ist total traurig. Es sollte im Blick behalten werden, dass diese Scham immer auch einen mangelnden Respekt gegenüber der eigenen Leistung bedeutet.“
Denkst du, Repräsentation könnte da eine Hilfe sein? Zum Beispiel mehr Bilder zu sehen, von anderen Körpern, die geboren haben. Körper, mit denen man sich dann identifizieren kann. Ich habe nämlich den Eindruck, dass mir im öffentlichen Leben keine Repräsentationen solcher Körper begegnen. Und wenn ich mich dementsprechend für die einzige halte, die sich ästhetisch verändert, muss die Scham ja unvermeidbar sein.
„Ich glaube, es wäre total toll, wenn diese Repräsentanz in einem geschützten Raum stattfinden würde. Ich habe sofort die Sorge, dass im Falle der Veröffentlichung von bspw. Fotografien von Mutterkörpern man auch ein voyeuristisches Publikum mitbedient. Ich wüsste nicht, wie man das verhindern kann.
Ich denke, sich in einem guten Frauenzirkel zu befinden, ist immer etwas Vernünftiges. Und wenn ich weiß, wie meine Freundinnen nach den Geburten und Schwangerschaften aussehen, dann kann das sicher tröstlich oder stärkend sein. Ich halte die Einladung, sich im Freundinnenkreis zu zeigen, für einen guten Impuls.“
Und falls es erstmal etwas komisch klingt, die Freundinnen dazu einzuladen sich nackt voreinander hinzustellen, dann könnte man auch gemeinsam in die Sauna gehen. Um ein anderes Bewusstsein zu schaffen für die tatsächliche Normalität. Auch für die Normalität von Nacktheit ohne Bewertung. Also eine Neutralisierung, um aus der Einteilung „guter Körper – schlechter Körper“ herauszukommen. Ich denke, das ist auch einer der Grundgedanken der Body Neutrality-Bewegung.
Eine Message, ein Wort: Stillhütchen!
Wenn du dich jetzt einmal zurückversetzt in die Anfangszeit mit deinem ersten Kind – Wie war das für dich?
„Ich fand es sehr verstörend, dass meine Tochter nichts an sich hatte, dass mich auch nur im Entferntesten an mich selber erinnert hat. Sie sah aus wie ihr Vater in klein (lacht). Das hat sich natürlich dann relativ schnell gelegt und ich bekam das Gefühl, nach diesem etwas schwierigen Start in die Partnerschaft, dass die Ähnlichkeit zwischen Kind und Vater meine Liebe zum Vater noch einmal gestärkt hat. Das war was unerwartet Schönes.“
Und beim zweiten Mal? Mir wurde jetzt schon öfter berichtet, dass die schwierigere Umstellung die vom ersten auf das zweite Kind sein soll.
„Ja, das war anders. Mein erstes Kind ist ein Mamakind gewesen bis zur Geburt des Geschwisterchens. Dann ist es zum Papakind geworden. Ich habe beide Kinder sehr lange gestillt, weshalb sich natürlich auch meine Aufmerksamkeit etwas verschoben hat. Das zweite Kind hat viel besser geschlafen als das Erste. Da hatte ich drei Jahre lang keine Nacht durchgeschlafen (lacht).“
Was bedeutet denn „lange“ stillen für dich? Und warum hast du dich dafür entschieden?
„Ich habe das erste Kind ein Jahr und das zweite Kind elf Monate lang gestillt. Und ich bin zwölf Wochen nach der ersten Geburt wieder arbeiten gegangen. Beim zweiten Kind erst nach 4 Monaten. Ich habe aufs Stillen wertgelegt, weil ich wollte, dass meine Kinder ein gutes Immunsystem bekommen.
Außerdem ist Stillen einfach sehr praktisch. Gerade beim ersten Säugling, wenn man vielleicht noch ein bisschen mehr unterwegs ist. Da ist es dann einfach leichter, weil man nichts zusätzlich einpacken oder vorbereiten muss, damit das Baby eine Mahlzeit bekommt. Ich bin auf jeden Fall eine überzeugte Stillmutter (lacht)!“
Das klingt auch so, als wäre dir das Stillen nicht schwergefallen. Oder hattest du Probleme die Kinder ans Trinken an der Brust zu gewöhnen? Mir wurde bisher erzählt, dass Startschwierigkeiten nicht unnormal seien.
„Meine Tochter hat sofort, nachdem sie auf die Welt gekommen war, angefangen nach meiner Brust zu suchen. Das war nicht schwer. Aber nach drei, vier Tagen waren meine Brustwarzen komplett blutig. Das ist auch etwas, was mir vorher nicht bekannt war. Ich bin sehr froh, dass es heute die Stillberatung gibt und ich würde mir wünschen, dass die nicht erst im Krankenhaus angeboten wird, sondern dass das schon fester Bestandteil der Geburtsvorbereitung ist.
Denn es gibt ganz einfache Maßnahmen, mit denen man sich dann Abhilfe bei schmerzenden und blutigen Brustwarzen schaffen kann und die man vorbereiten könnte. Auch das Anstillen hat dadurch wirklich keinen Spaß gemacht und hatte überhaupt keine Ähnlichkeit mit dieser idyllischen Vorstellung, die ich im Kopf hatte. Es ist in aller Regel so, dass man erfolgreich ist, wenn man vor allem mit Geduld an die Sache herangeht und die Mütter gut beraten werden.“
Was ist denn dein Tipp gegen blutige Brustwarzen?
„Nehmt Stillhütchen mit ins Krankenhaus! Die neue Generation der Stillhütchen ist auch sehr viel besser als die, die es zu meiner Zeit gab. Wenn du dann merkst, dass die Brust wund wird, setzt du am besten sofort die Stillhütchen drauf, damit die Haut nicht ganz kaputt geht. Das ist für die Babys zwar nicht ganz so angenehm, aber wenn du die Brust kaputt hast und damit Stillen musst, dann ist das für die Mutter nur noch unangenehmer.“
Das heißt, du plädierst dafür, dass man auch an das Wohlergehen der Mutter denken sollte und nicht alles nur auf „das Beste fürs Baby“ fokussiert?
„Ja, absolut. Es tut auch der Beziehung zum Kind nicht gut, wenn du immer Angst hast, dass es dir bei der nächsten Stillmahlzeit wieder so weh tut.“
Interessant, dass du Angst erwähnst. Ich habe den Eindruck, wenn es um Empfindungen dem Kind gegenüber geht, dann sprechen alle immer nur über die mit der Milch einschießenden Liebe. Als wäre das das einzige Gefühl, das man haben kann. Dabei sind wir ja ansonsten auch viel komplexere emotionale Wesen.
Wer eröffnet das Gespräch?
Ine, du bist mittlerweile auch schon Großmutter und stehst im regen Austausch mit deiner Tochter über die Themen, die mit Mutterschaft einhergehen. Mich würde interessieren, ob sich dein Verhältnis zu deiner eigenen Mutter verändert hat, als du Mama geworden bist. Und ebenso, was es mit dem Verhältnis zu deiner Tochter gemacht hat, als sie ihr erstes Kind bekam.
„Ja, unterschiedlich. Das Verhältnis zu meiner Mutter ist nicht besser geworden. Das zu meiner Schwiegermutter übrigens auch nicht (lacht). Die standen immer mit ihren Ratschlägen parat und – wir haben ja eben schon über das Thema Übergriffigkeit gesprochen – das konnte ich in der Situation gar nicht gebrauchen.
Ich war eine gestresste Mutter, als Berufstätige mit kleinem Kind. Der Vater war in der Ausbildung und sonst dabei, sich etwas hinzuzuverdienen. Ich hatte eine Menge an der Backe und brauchte wirklich nicht noch jemanden, der mir sagt, wie es richtig machen soll. Das war aber leider die ganze Zeit der Fall. Das Verhältnis zu meiner Mutter wird erst heute besser, wo sie sehr alt ist. Und wo ich auch entspannter bin, weil ich nicht mehr arbeiten gehe. Zu meiner Tochter hingegen hat sich die Beziehung tatsächlich sehr verbessert.“
Inwiefern? Habt ihr mehr Kontakt, weil sie dich um Rat oder Hilfe bittet?
„Ja, wir haben mehr Kontakt. Ihr ist es sehr wichtig, dass ihre Tochter Kontakt zu mir hat. Sie wohnen nicht gerade um die Ecke, sondern im Ausland. Bei meiner eigenen Tochter habe ich jedenfalls das Gefühl, dass wir über die Schwangerschaft und Geburt ein Stück weiter vereint worden sind.
Ich denke, vielleicht versteht sie jetzt besser, was ich immer meinte. Auf der anderen Seite weiß ich selbst, wie schwer das ist, wenn man arbeiten muss und das Kind nicht schläft. Und man damit irgendwie alleine bleibt, weil der Vater auch arbeiten ist. Unser gegenseitiges Verständnis hat sich verändert, weil wir uns noch einmal neu und anders wahrnehmen können.“
Hast du denn mit deiner Tochter über die Themen rund um Mutterschaft schon gesprochen, bevor sie schwanger wurde oder fand das zwischen euch nicht statt?
„Nein, das Thema ist erst mit ihrer Schwangerschaft richtig aktiv geworden. Ich bin sehr stolz auf meine Tochter, sie hat das ganz toll gemacht mit der Schwangerschaft. Sie ist eine der Frauen, die richtig gerne schwanger sind. Das hat mich sehr gefreut.“
Ist dir ein Grund bewusst, warum ihr darüber vorher nie gesprochen habt? Hast du dich zurückgehalten und gedacht, wenn sie jetzt nicht damit ankommt, wieso sollte ich?
„Genau das. Ich reagiere eher auf Gesprächsangebote. Sicher auch vor dem Hintergrund, dass ich es selbst so schlecht haben konnte, wenn man mir ständig gesagt, wie ich es zu machen habe. Das möchte ich im Umgang mit meiner Tochter lieber vermeiden. Ich gehe auf die Themen, die sie mit mir besprechen möchte gerne ein, aber das muss von ihr selber kommen. Wenn nichts kam, habe ich selten einmal vorsichtig nachgefragt, aber wenn sich daraus kein Gespräch entwickelt hat, habe ich es nicht weiter versucht.“
Ich frage mich, ob diese Wissenslücke zwischen Eltern und Menschen, die vielleicht einmal Eltern werden wollen, nicht auch dadurch entsteht oder aufrechterhalten wird, dass beide Seiten sich in so einer Warteposition auf das Gespräch befinden. Die Seite, die Elternschaft eventuell noch vor sich hat, hat vielleicht noch gar nicht so bewusst vor Augen, dass es da Dinge zu besprechen gibt, von denen sie nichts ahnen. Und die andere Seite will vermeiden übergriffig Themen anzuschneiden, die noch nicht aktuell sind.
Aber auf diese Art und Weise kommen beide Seiten ja immer erst ins Gespräch, wenn es – salopp ausgedrückt – schon zu spät ist. Also wenn eine Schwangerschaft schon besteht oder ein Kind bereits auf der Welt ist. Findest du, das sollte so bleiben oder siehst du an dieser Stelle Handlungsbedarf?
„Ja, wir sollten den Austausch vielleicht etwas aktiver anbieten. Nun ist meine Tochter aber zum Beispiel eine Person, die sich sehr umfassend selbst informiert mithilfe der Quellen, die sie erreichen kann.“
Meine Frage zielte darauf ab, diese Dynamik ein bisschen besser zu verstehen. Denn auf der einen Seite hast du selbst erlebt, dass dir viele unerwartete und auch überfordernde Aspekte rund um Schwangerschaft und Geburt begegnet sind. Informationen, die im Vorhinein erhalten, möglicherweise hilfreich gewesen wären.
Auf der anderen Seite wiederholt sich das Muster aber wieder in der Kommunikation mit deiner eigenen Tochter. Ich frage mich, was passieren könnte, um das Gespräch etwas besser in Gang zu bringen und einen Aufhänger dafür zu bieten.
„Ich glaube, dass das, was du machst, ganz wunderbar ist. Dass die Initiative von euch jungen Menschen untereinander ausgeht. Ihr seid ja auch medial ganz anders vernetzt als wir damals. Ich glaube, dass daraus dann mancher Impuls entsteht. Sodass andere denken, das könnten sie ja ihre eigene Mutter einmal genauer fragen. Ich kann mir vorstellen, dass diese Richtung der Bewegung eine günstigere ist.“
Es kann aber natürlich auch sein, dass man die eigene Mutter vielleicht gar nicht als die Instanz betrachtet, die man fragen kann oder möchte. Das Thema ist ja sehr persönlich, denn es geht meistens um die eigene Geburt. Da möchte man vielleicht auch gar nicht so genau hören, welche Strapazen man bei der eigenen Mama ausgelöst hat.
Deshalb könnte es für einige Leute besser sein, wenn sein ein Informationsangebot wahrnehmen könnten, das nicht von einem verwandten Menschen kommt. Ich denke da gerade an offizielle Stellen oder Sexualpädagog*innen. Aber es muss eben die Infrastruktur dafür geben, die niederschwellig erreichbar und der gesamten Bevölkerung bekannt ist.
It all comes down to: Mütterlichkeit
Ine, was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Die mütterliche Qualität ist nicht gebunden an die Tatsache, dass man eigene Kinder geboren hat. Mütterlichkeit kannst du auch im Kreis deiner Freundinnen leben, in der Art und Weise wie du für sie da bist. Du kannst sie für deine Patenkinder leben, für deine Schülerinnen, für die Kinder in der Spielgruppe, die du betreust. Im Grunde kannst du überall in deinem Umfeld Mütterlichkeit leben.“
Gibt es einen Aspekt, der dir für diese Mütterlichkeit besonders wichtig ist?
„Ja. Ich habe eine Freundin, an die ich immer denke, wenn ich selbst einen großen Bedarf an Mütterlichkeit fühle. Dann stelle ich mir immer vor, dass sie mich in den Arm nimmt und mich hält und dadurch alles wieder gut macht. Diese Fähigkeit einfach da zu sein, zu jemanden zu halten und dafür nichts zu verlangen. Das ist für mich die Essenz von Mütterlichkeit.“
Diesem berührenden Schlusswort habe ich nichts mehr hinzuzufügen. Liebe Ine, meine Dankbarkeit für deine Offenheit ist riesig groß. Du hast dich während unseres Gesprächs an mancher Stelle spürbar überwunden, um ehrlich und klar auf meine intimen Fragen zu antworten. Und das alles, weil du den gleichen Wunsch hast wie ich: Authentische Erfahrungen über Schwangerschaft, Geburt und Elternschaft zu teilen und ein bisschen mehr Licht ins Dunkel zu bringen. Es war sehr schön, von dir zu hören, dass du richtig findest, was wir mit diesem Projekt bezwecken möchten. Nochmal vielen herzlichen Dank und alles Gute an dich, deine Lieben, deine Familie!