„Er sagt dir nicht, ich liebe dich?!“ zuerst schlägt mir Unglauben entgegen, dann wechselt das Wetter der Gesichter zu so etwas wie Mitleid. Mitleid, weil nichts so sozial entwertet wie unerwiderte Liebe. Vor allem, wenn sie vermeintlich verloren ging. Eingeschlafen über die Jahre ihrer Anwendung in einer Partnerschaft, darbend, einkrustend ohne die Pflege und Care-Arbeit, die immer empfohlen, aber selten spezifiziert wird.
Mitleid, denn es ist schon ein Makel für eine weibliche Person im Rahmen der heterosexuellen Liebes-Dramaturgie, wenn sie nicht in der Lage ist, initial erwiderte romantische Liebe aka männliches Begehren auszulösen. Umso dunkler wird der Schandfleck, wenn sie die flammende Liebe ihres Partners nicht am Leben erhalten kann.
„Er sagt dir nicht, dass er dich liebt? Nicht einmal aus Gewohnheit?“ Da haste aber ordentlich was verbockt. Mitleid, das war die sozial-gesellschaftlich erlernte Reaktion, Unglauben, die intuitive. Denn wir wirkten doch gar nicht unglücklich, so wird mir versichert. Es sähe doch meistens so aus, als wäre er verliebt in mich. Und trotzdem nutzt er diese Worte nicht, das formelhafte Frischesiegel einer jeglichen Liebesbeziehung.
Lieben – Das ist als Tätigkeit abstrakt
Egal, wie individuell wir heute Partnerschaften gestalten, die Liebe soll doch der kleinste gemeinsame Nenner sein und die drücke sich nun mal über dieses eine Verb aus und sonst nicht. Alles andere, weniger allumfassende wirkt wie eine abgeschwächte Version. Von „mögen“ oder „wertschätzen“ zu sprechen, übersetzt sich implizit in „nicht lieben“. Es hinterlässt einen leeren Raum, eine Luft nach oben. Ein Schweigen, das wir wie selbstverständlich mit Mangel füllen. Obwohl es sein könnte, dass „wertschätzen“, „respektieren“, „Bedürfnisse wahrnehmen“ Ausdruck deines oder meines Liebens ist.
Denn dafür, dass lieben ein Verb ist, tun wir damit nur ziemlich Unkonkretes und Abstraktes. Für die Wege, wie sich unsere Liebe tatsächlich am beliebten Menschen manifestieren kann, haben wir mitunter die oben genannten anderen Verben. Was soll mir also fehlen, wenn er nicht „ich liebe dich“ sagt? Was soll mir fehlen, wenn er auch nicht mit „ich dich auch“ antwortet, wenn ich es ihm in besonderen Momenten sage?
Şeyda Kurt kritisiert in ihrem Buch „Radikale Zärtlichkeit – Warum Liebe politisch ist“, dass der Begriffsfundus rund um die Liebe unkonkret, leer und damit kommerziell auffüllbar bleibt. Mit zusätzlichem Platz für Projektionen und Überhöhung der beliebten Subjekte. Ich verstehe ihre Kritik auch als Herausstellung des formelhaften, unreflektierten Anwendens eines Liebesbegriffs, der so leer und verwaschen schlicht angenehm unkompliziert ist. Für sich selbst herauszufinden, wen, was oder wie man tatsächlich liebt, ist eben Arbeit, für die man Zeit und andere Ressourcen zur Verfügung haben muss. Häufig genauso wie eine Quelle, die Denkanstöße liefert und Alternativen bewusst macht.
Wem wie Liebe gestehen?
Eine Quelle, die bewusst macht, dass es zwar Konventionen und Regeln gibt, die allerdings nicht befolgt werden müssen. Wir könnten zum Beispiel gar nicht „ich liebe dich“ sagen und stattdessen auf andere Weise Wertschätzung und Zuneigung ausdrücken. Oder wir richten diese häufig für Partner*innen reservierten Worte ebenso an Familie und Freund*innen. Oder an Fremde, wenn wir’s halt einfach gerade fühlen. Das ist kein Affront. Dieser Satz wird von niemandem gepachtet und geht auch nicht in Flammen auf, wenn er außerhalb romantischer Beziehungen angewendet wird.
Warum widerstrebt diese Art der Anwendung dann zunächst so? Ein „ich liebe dich“ ist heute mehr eine öffentliche Bekundungsformel, die anzeigen soll, wer „zusammengehört“. An ein „ich liebe dich“ sind die berühmten strings attached oder mindestens ihre losen Enden im Angebot. Aus diesem Grund kann dieser Satz denjenigen Angst machen, die ihn zu hören bekommen, obwohl sie der Aufforderung, die losen Enden in die Hand zu nehmen und Knoten der Verbundenheit damit zu knüpfen, nicht nachkommen möchten. Das „ich dich auch“, am besten vor Publikum geäußert, scheint etwas Offizielles zu besiegeln. Dabei zeigen wir uns gegenseitig andauernd auf alle möglichen Arten und Weisen unsere Zuneigung.
Das Wissen um die Theorie der „five love languages“ von Gary Chapman ist mittlerweile fester Bestandteil des Repertoires aller Hobby-Paartherapeut*innen auf YouTube. Und „words of affirmation“, worunter Liebesschwüre fallen können, ist demnach nur ein einziger Aspekt unter weiteren. Wieso sollte ich also an einer Liebesbeziehung zweifeln, in der mir durch Taten und Intimität anstatt durch eine Zauberformel das Gefühl vermittelt wird, dass ich angenommen werde. Trotzdem und weil ich bin, wie ich bin.
Liebesschwüre als Ritual
Eins verstehe ich allerdings sofort: Die beruhigende Wirkung des Rituals sich zu bestimmten, absehbaren Gelegenheiten „ich liebe dich“ zu sagen. Ob es nun zum Ende eines Telefonats, zum Abschied an der Tür oder zum Ende eines Tages im gemeinsamen Bett ist. Auffällig an diesen Situationen, die sicherlich viele Menschen kennen, ist, dass es sich dabei immer um die letzten Worte, das Ende eines Austauschs handelt. Als Ritual in die Verabschiedung zu integrieren, dass man sich gegenseitig Zuneigung versichert, finde ich pur und menschlich.
Mit dem leisen Bewusstsein unserer Endlichkeit und der Akzeptanz unseres dem-Zufall-ausgeliefert-seins im Hinterkopf stellen wir sicher, dass die letzten Worte gegenseitige Geborgenheit gespendet haben. Aber für diese Wirkung müssen wir nicht „ich liebe dich“ verwenden. Das Ritual hängt an der Wiederholung, an seiner impliziten oder expliziten Tradition und nicht an einer einzigen Phrase. Es muss nicht einmal an Worte gebunden sein. Stattdessen sind viele Gesten denkbar, solange sie den berühmten Insider darstellen.
Der Unglaube in den Gesichtern wird zu kohleminentiefem Zweifel, wenn ich dann auch noch erzähle, dass es mich nicht mehr verunsichert, auf ein Liebesbekenntnis meinerseits keine mindestens gleichbedeutende Antwort zu erhalten. Zwar haben mich solche Situationen tatsächlich früher sehr verunsichert, aber es musste mir in gewisser Weise auch erst einmal passieren, damit ich verstand, dass es meine Gefühle und die meines Gegenübers nicht invalidiert. Und trotzdem ich mich auch schon mit unerwiderter Liebe konfrontiert sah, habe ich es mich noch nicht getraut, die aus dieser Zurückweisung resultierenden Fragen genauer zu durchdenken:
Was bedeutet es für mich, eine liebende, aber nicht geliebte Frau zu sein? Welchen Status nehme ich dadurch ein? Verfehle ich dadurch ein Ziel und wer hat es für mich gesetzt? Kann ich in diesem Status bleiben oder muss ich daraus grundlegende Konsequenzen ziehen? Fehlt mir überhaupt etwas, wenn mein Beziehungsmensch mich nicht so liebt, wie ich ihn? Brauche ich als eigenständige Frau noch einen emotional von mir abhängigen Partner, um zu überleben?
Liebe in Vielfalt
Stattdessen lebe ich sehr gut mit der Erfahrung, dass das Ausdrücken und Ausleben von Liebe eine Vielfalt von Gesichtern haben darf. Ebenso wie ich mir und den Personen, die zu mir in Beziehung stehen, eine Vielfalt von Lieben zugestehe und wünsche. Hier tritt zutage, dass die Abwechslung und manchmal auch Überraschung einen Reiz ausmachen, der dem Ritual konträr gegenübersteht und dabei aber genauso guttut.
Denn ich erinnere mich gern zurück an diese eine Gelegenheit, zu der ich ein „ich liebe dich“ von einem Partner geschenkt bekam, dessen love language eigentlich nicht die Sprache ist. Als Reaktion auf diese Überraschung schossen mein Glücksgefühl und meine Erregung durch die Decke, gefolgt von einer Lust, die sich auch körperlich sehr deutlich Bahn brach. Und während des darauffolgenden Sex erlebte ich den ersten vaginalen Orgasmus meines Lebens.
Also, überrascht euch doch mal wieder gegenseitig. Und wenn es durch das Erlernen einer neuen Liebes-Sprache ist. Denn was im Rahmen der „5 languages of love“ Theorie häufig implizit bleibt: Wir legen zwar unsere Liebessprachpräferenzen bereits in der Kindheit an, doch wir bleiben immer in der Lage neue Sprachen zu lernen, um uns mit unseren Partner*innen emotional zu verständigen und weiterhin auf Augenhöhe zu begegnen.
Von lieben ist gerade noch keine Rede bei dir, weil du noch auf der Suche bist? I got you covered – Über Dating kann ich mich auch lange auslassen. Schau mal bei „Date Neid“ rein!