Willkommen zum zweiten Interview der „Mama Messages“, die Gesprächsreihe zu authentischen Berichten rund um Schwangerschaft, Geburtserfahrung und Mutterschaft. Für diesen Text habe ich mit Louela gesprochen. Sie ist 60 Jahre alt und hat eine Tochter, 26, und einen Sohn, 23. Doch bevor wir starten noch ein Hinweis.
Trigger-Warnung: Erwähnung von Schwangerschaftsabbruch und Essstörung im Verlauf des Gesprächs (die Textstellen sind farblich gekennzeichnet, sodass sie einfach übersprungen werden können).
Lies gerne zuerst die Einleitung zur Reihe „Mit dem 1. Schrei – Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen“
Cleo: Sag mal, Louela, hast du Mutterschaft eigentlich schon immer als Teil deines Lebensplans betrachtet, bevor du schwanger und Mutter geworden bist?
Louela: „Nein. Das war erst lange kein Thema und dann lange ein ambivalentes Thema für mich.“
Inwiefern ambivalent?
Louela: „Damit meine ich, es war ein Thema, das nicht hormongesteuert a la „Da ist ein Wunsch in mir und alles in mir strebt danach zu empfangen und zu gebären und zu füttern“ aufgekommen ist, sondern im Sinne von „Was möchte ich noch in meinem Leben erleben? Was fehlt mir und was brauche ich?“. Also ambivalent, was diese Art von Fragen betrifft.“
Von unterschiedlichen Zeitpunkten und bewussten Entscheidungen
Und wie ist es dann zu deiner ersten Schwangerschaft gekommen? War das eine bewusste Entscheidung?
„Die erste Schwangerschaft, tja. Ich bin ja immer noch erstaunt, dass auch heute noch Frauen sagen „Es ist einfach passiert“. Das kann ich heute schwieriger nachvollziehen als damals. Aber auch schon damals konnte man ja eigentlich mit vielen Methoden versuchen, das Entstehen einer Schwangerschaft zu verhindern. Das habe ich wohl nicht gründlich genug gemacht. Das heißt, ich bin zu einem Zeitpunkt schwanger geworden, als sich mein Leben massiv verändert hat und es war ein sehr qualvoller und schwieriger Prozess für beide, den Erzeuger und mich, uns gegen das Kind zu entscheiden.“
Wie alt warst du zu diesem Zeitpunkt?
„Da war ich 26 Jahre alt.“
Hast du in diesem Moment gewusst, was du tun kannst? Also warst du aufgeklärt über deine Möglichkeiten oder wie bist du letztlich dazu gekommen, die Schwangerschaft abzubrechen?
„Ja, das war auch in dieser Zeit, die dir vielleicht wie das letzte Jahrtausend vorkommt – war’s ja auch – das war auch damals schon alles bekannt.“
Klar, aber auch heutzutage gibt es den §219a noch und das Verständnis, dass es Werbung wäre über Abtreibung aufzuklären, wenn es Ärztinnen und Ärzte tun. Deshalb finde ich es gar nicht so weithergeholt zu fragen: Eine junge Frau, die unerwartet schwanger wird, weiß die überhaupt, wie sie zum Beispiel an einen Termin für einen Abbruch herankommt, wenn sie das möchte?
„Vielen ist das vielleicht nicht klar. Mir war das aber sehr klar, weil ich, bestimmt seit ich 16 war, sehr feministisch orientiert und frauenbewegt war. Und in diesem Zusammenhang auch schon einige Demonstrationen gegen den §218 hinter mir hatte. Etwas differenzierter betrachtet, hat das natürlich etwas mit bildungsfern und bildungsnah zu tun und damals nochmal mehr als heute. Da hat sich wirklich viel, viel bewegt, was ich immer wunderschön zu sehen finde. Aber ich sage mal so, in Studentinnenkreisen war diese Art von Information zu Schwangerschaftsabbrüchen absolut bekannt.“
Wie war das denn für dich als du die Schwangerschaft mit deiner Tochter bemerkt hast? Was hast du da empfunden?
„Das war tatsächlich zu einem Zeitpunkt, zu dem ich schwanger werden wollte. Wir wollten ein Kind und das hat aus unterschiedlichsten Gründen lange nicht funktioniert. Und von daher war es ein heiß ersehntes Ereignis und ich empfand fast so etwas wie Erleichterung, weil das Ganze im Vorfeld von vielen Untersuchungen und Fragen begleitet war.“
Das heißt, du warst schon tief in der Schwangerschafts-Materie drin und wahrscheinlich auch ärztlich begleitet, sodass du in dem Moment auch direkt wusstest, was dann die nächsten Schritte sind und wie du dich als frische Schwangere verhalten musst?
„Ja! Außerdem war ich ja so alt und so mega schlau, dass ich schon ganz viel in Büchern nachgelesen hatte (lacht). Ich war für die damalige Zeit mit 35 schon recht spät dran für ein erstes Kind und galt tatsächlich als Spätgebärende.“
Reden ist Silber, Schweigen ist schwanger?
Hast du denn innerhalb der sagenumwobenen ersten 3 Monate mit deiner Umwelt über deine Schwangerschaft gesprochen oder hast du da auch diesen Deckel des Schweigens drüber gehalten und nur den Vater des Kindes informiert?
„Da bin ich ganz differenziert mit umgegangen. Ich habe alle Leute ausgeklammert, die mich gestresst oder genervt hätten. Die haben nichts erfahren. Oder die Leute, die es selbst hätte stressen können. Und mit allen anderen, mir nahestehenden Freundinnen etc. habe ich darüber geredet.“
Das klingt ja schon nach einem größeren Kreis. Heute gibt es die Vorstellung, dass in den ersten 3 Monaten nicht über die beginnende Schwangerschaft gesprochen werden sollte, falls doch noch etwas schief geht. Es scheint fast wie eine Art ungeschriebenes Gesetz, dass man da nicht drüber spricht. Und ich habe mich gefragt, wenn es dann tatsächlich in der ersten Zeit noch zu einem natürlichen Abgang kommt, könnte das nicht auch nachteilig für die Mutter sein, weil niemand weiß, dass oder warum es ihr gerade schlecht geht? Wie siehst du das?
„Ich glaube, der Vergleich zum „ungeschriebenen Gesetz“ ist zu extrem. Ich denke, dass Frauen, die bewusster mit ihren Gefühlen umgehen, auch individueller entscheiden werden, was für sie im jeweiligen Moment gut ist. Ich glaube nicht, dass ich damit eine Ausnahme war, dass ich auch schon in der Frühphase offen mit meiner Schwangerschaft umgegangen bin. Natürlich gibt es gesellschaftlich dieses „Sag mal bloß nichts, sonst macht die Oma sich Hoffnung und dann war’s nichts und dann haste die Oma mit all ihren besseren Vorschlägen an der Backe“.
Das hat ja schon eine große Schutzfunktion für die Mutter auch ohne, dass etwas schief geht, damit sie sich in Ruhe an diesen neuen Zustand gewöhnen kann. Der ist ja massiv körperlich und hormonell verändernd. Teilweise explosionsartig. Ich kann mir vorstellen, dass das eine gute Regel zum Schutz von werdenden Eltern ist – da will ich die Männer oder Väter gar nicht ausschließen – aber, dass man das immer individuell angucken sollte. Trotzdem hast du natürlich völlig recht, das kann für den Trauerprozess bei einigen zu dramatischen Überreaktionen führen. Eine Ansprache auf den Verlust der Schwangerschaft kann triggern, es kann aber auch sehr tröstlich sein, von außen Anteilnahme zu erfahren.“
Das große Staunen
Du hast gerade schon angesprochen, dass sich gerade in der ersten Phase der Schwangerschaft Dinge auch mal sprunghaft verändern. Wenn du an deine Schwangerschaften mit deinen beiden Kindern denkst, kannst du da ein paar Stichworte ausmachen, die beschreiben, wie schwanger sein für dich war?
„Es ist faszinierend, wie sich der Körper verändert. Und ich würde das nicht wertend als toll, klasse oder grauenvoll bezeichnen, sondern wie ein großes Staunen. Selbst wenn man wie ich vorher viel von Freundinnen gehört hatte. Meine besten Herzensfreundinnen waren zu dem Zeitpunkt schon Mütter und ich hörte diesen Spruch „Wart mal ab, das verändert sich noch viel mehr, als du selber denkst“. Ja, das stimmt. Das würde ich jeder Tochter und jungen Frau genauso mitgeben, das finde ich wirklich einen traditionellen und tollen Frauenunterstützungssatz. Aber es war trotzdem wirklich ein Staunen und eine Faszination darüber, wie so ein Körper sich – ganz direkt gesagt – nach einem Trefferf*ck verändern kann. (lacht)“
Was war denn unerwartet am schwanger sein? Was genau hat dich zum Staunen gebracht?
„Ich hatte direkt eine Risikoschwangerschaft und musste ab dem 4. Monat liegen. Wie schnell ich von diesem Staunen darüber, wie sich mein Körper verändert, anpasst, entwickelt so kaltgestellt worden bin… Das kam unerwartet. Sodass ich das Ganze dann eher intellektuell reflektieren musste, weil absolut nicht alles in mir dann danach strebte, sich platt hinzulegen, sondern das Leben als Schwangere zu genießen. Irgendwann stolz diesen Bauch hinter’s Lenkrad zu klemmen oder in Cafés zu sitzen… All diese Fantasien nach dem Motto „Guck dir diese wunderschöne, blühende, strahlende, glückliche, schwangere Frau an“, das hatte ich leider so nicht.“
War das denn bei beiden Kindern so?
„Es war bei beiden ein Risiko wegen der gleichen Beschwerden. Aber die zweite Schwangerschaft war dadurch geprägt, dass ich da schon diese daseinsverändernde und auch Denkstrukturen verändernde Entwicklung in die Mutterrolle hinter mir hatte. Ich hatte bereits ein Kind, das kannst du nicht mehr wegdenken, für das musst du sorgen. Da ist nicht mehr so viel Platz für’s einfach schwanger sein. Dazu kam, dass in der zweiten Schwangerschaft auch noch der Vater der Kinder lebensbedrohlich erkrankt war. Es war dadurch einfach eine ganz, ganz andere Situation.“
Ich habe schon öfter gehört, dass, egal welche Erfahrungen man beim ersten Kind macht, beim zweiten Kind alles anders kommen würde. War das auch deine Erfahrung?
„Viel an der Zweiten war ähnlich zur ersten Schwangerschaft, aber auch da denke ich, das ist sehr individuell. Es gibt Frauen, die sagen, dass sie die zweite Schwangerschaft mehr genießen wollen. Es gibt aber auch Frauen, die nach 8 Jahren nochmal ein drittes Kind kriegen und sagen „Das ist jetzt meine Schwangerschaft, die ist ganz für mich und die werde ich auskosten, ohne dass ich mir reinreden lasse. Ich werde mich drin suhlen“.
Ich habe mich für die zweite Schwangerschaft aber auch anders entschieden. Und auch die Motivation dieser Entscheidung ist ein Beispiel für die Veränderung des Denkens als Mutter: Ich habe gedacht, es wäre viel zu egoistisch, wenn dieses eine Kind alleine mit uns Eltern aufwächst, obwohl wir in der günstigen Lage sind, auch noch ein zweites Kind unterhalten zu können.
Ich wollte einfach nicht, dass mein erstes Kind ohne Geschwister aufwächst. Und diese zweite Schwangerschaft war auch irgendwie okay. Ich habe die freien Momente sicherlich noch einmal etwas bewusster wahrgenommen und war mehr bei mir. Aber diese Momente waren natürlich viel seltener als in der vergleichsweise komfortablen Zeit als liegende Erstgebärende. Ich habe danach immer gesagt, eine Geburt mache ich sofort nochmal, aber Schwangerschaft nie wieder. Das hört man so bestimmt nicht oft (lacht).“
Gab es denn während deiner Schwangerschaften eine Instanz oder Rolle in deiner Umwelt, von der du dir mehr Verständnis erhofft hättest?
„Das ist auch ganz persönlich, denn ich hätte mir eine eigene Mama gewünscht, die ich nicht mehr hatte. Ich glaube, dass das wirklich sehr verbindend sein kann zwischen Töchtern und Müttern. Ich bin total gespannt darauf, wie es ist, wenn mein Sohn Vater wird. Ob ich dann mehr mit der werdenden Mutter verbunden bin als mit ihm. Das, finde ich, ist eine echt spannende Frage. Aber das ist für mich eigentlich der Inbegriff der Mutter-Tochter-Nähe.
Oder der Traum davon. Die Realität kann ja auch ganz anders aussehen, nicht nur, wenn die eigene Mutter schon nicht mehr lebt. Bestimmt auch, was den Wunsch vieler Menschen nach mehr Offenheit und Ehrlichkeit über Themen betrifft, die von der eigenen Mutter vielleicht eher nicht angesprochen werden.“
Reden ist Silber und Aufklärung Gold wert!
Du meinst, mehr Dialog untereinander über Tabu-Themen?
„Also im Sinne von „Rechne damit, dass so ein Dammriss nichts Schönes ist, aber passieren kann“ oder „Rechne mit Hämorriden“. Ich glaube, dass das heute in Geburtsvorbereitungskursen auch schon mehr Thema ist. Und ich glaube auch, dass es viele gibt, die das nicht wissen wollen. Aber sie sollten zumindest die Wahl haben, solche Informationen zu bekommen.“
„Aufklärung ist für mich immer etwas gewesen, das mich besser mit Situationen umgehen ließ. Also ganz egal, ob schwanger oder nicht.“
Würde ich jetzt ein Buch schreiben, ich würde ihm dieses Statement als Titel verpassen! (Gemeinsames Lachen)
Da bin ich ganz bei dir. Aber ich spiele jetzt einmal des Teufels Advokaten und sage: Ja, aber während der Schwangerschaft, da machen solche Informationen den Leuten doch Angst. Das kann man ihnen doch gar nicht zumuten. Das setzt sie am Ende vielleicht noch unter Druck. Wie stehst du dazu?
„Das ist total nett, dass du diese patriarchale Karte gerade spielst. Wer entscheidet denn, dass eine Frau diese Informationen nicht braucht? Ich habe eine systemische Ausbildung, in der es unter anderem auch heißt: Was uns vom Tier unterscheidet, ist doch ganz platt, dass wir in jeder Sekunde, bei jedem Eindruck und bei jeder Erfahrung die Wahl haben, ob wir sie positiv oder negativ bewerten. Von daher bin ich der überzeugten Ansicht, dass dieser Einwand unerheblich ist. Wichtig ist, die Wahlmöglichkeit zu haben. Wenn ich etwas ganz schrecklich bewerten und empfinden will, dann bin ich dazu in der Lage und wenn ich etwas ganz schön bewerten will, dann bin ich dazu genauso in der Lage.
Das ist auch die Strategie, die Ängste – wie jede andere Situation auch – durchlebbar macht. Ich kann sagen, dass Angst mich schwächt, weil ich nicht genügend Instrumente an der Hand habe, um anderes als Schwäche aus dieser Situation zu ziehen. Das ist aber eine Sache der eigenen Fähigkeit zur Reflektion und kann nicht daran festgemacht werden, was mir Angst gemacht hat. Es braucht hier sicherlich individuelle Vorschläge, aber kein Mensch hat das Recht zu sagen, das ängstigt pauschal eine Frau in der Schwangerschaft.
Wenn eine Person signalisiert, sie hat Angst, dann ist es wichtig kommunikativ vorzugehen und zu fragen: Möchtest du das wissen? Wie viel möchtest du wissen? Was erwartest du von mir? Von mir Mann, von mir Mutter, von mir Schwiegermutter? Also es geht darum, immer respektvoll zu fragen, was die Person wissen will, was ausgespart werden soll, vielleicht die blutigen Details oder die schmerzhaften. Was ängstigt die Person und was würde sie beruhigen. Ich wäre die ideale Schwiegermutter (lacht)!“
Du hast ja auch eingangs gesagt, du warst mit 16 schon in der Frauenbewegung engagiert und da schon sehr informiert. Du hast die Frage gerade ja in Bezug auf bereits Schwangere beantwortet, aber wie wäre denn deine Einstellung zu der Idee bspw. auch Teenagerinnen schon eine auf Themen wie Schwangerschaft und Geburt ausgeweitete Sexualaufklärung anzubieten, die nicht schon dort aufhört, wo erklärt wird, wie ein Kind entsteht.
Oder eine Aufklärung, die sich vielleicht auch an junge Frauen um die 20 richtet, die sich vielleicht noch nicht entschieden haben, ob sie mal Mutter werden wollen oder nicht. Dem steht ja auch oft die Einstellung entgegen, man könne sowas so jungen Frauen noch nicht zumuten. Denkst du, so eine frühe erweiterte Aufklärung wäre vorteilhaft oder doch erst, wenn die Frauen sich schon entschieden haben, dass sie mal Mutter werden möchten?
„Ich sehe es bei vielen Punkten als vorteilhaft an. Aber immer unter der Prämisse, wer sagt denn, die müssen was wissen und wer will ihnen denn was beibringen und warum. Ich sehe da keinen pädagogischen Auftrag und ich wüsste auch nicht, wer den haben könnte. Das heißt, wenn Aufklärung, dann nur bei Interesse. Also wenn du darauf abzielst, ob man ihnen bestimmte Sachen noch nicht sagen sollte, damit sie sich nicht überlegen, lieber kein Kind zu bekommen, dann würde ich das nicht so sehen. Aber ich wüsste jetzt auch nicht, wer so einen pädagogischen Auftrag hätte, zu sagen, ich muss jetzt entscheiden, ob ich Frauen im Alter von 20 aufkläre oder nicht.“
Dann knüpfen wir mal an die Schulaufklärung an. Im Alter von so 15/16 Jahren hat man ja allgemein zum letzten Mal in der Schule Aufklärungsunterricht. Wäre das ein Zeitpunkt, wo man quasi zusätzliche Informationen noch anbieten könnte oder hältst du das für zu früh?
„Also ich weiß nicht, ob der Schulunterricht, womöglich noch durch einen männlichen Lehrer, der richtige Ort ist.“
Wenn jetzt zum Beispiel eine Sexualpädagogin eingeladen würde in die Schule…
„Also ich glaube, in diesem Alter kommt es ein bisschen darauf an, in welcher Konstellation sich die lernende Gruppe oder Schulklasse zusammensetzt. Ich finde es schwierig, da eine passende Antwort zu geben, weil dieses Alter eine Zeit ist, in der auch Seelchen noch recht individuell sind. Ich arbeite viel mit Frauen dieses Alters, die eine Essstörung haben und wenn ich mir vorstelle, die sitzen dann da, versteckt in ihren großen, weiten Pullovern, und sollen über intime Dinge reden, obwohl sie sich gerade nicht einmal selbst spüren… Dann wird mir gruselig. Aber das hängt mit meiner Fachrichtung zusammen.
Ich bleibe bei der Aussage, dass es den Raum dazu geben müsste, in dem die Information respektvoll angeboten werden würde. Und das sind für mich Mädchentreffs oder Jugendgruppen für Jungs. Wobei ich glaube, dass die Jungs in dem Alter sehr viel verklemmter sind und es hinsichtlich dieser Themen noch etwas schwerer haben, weil sie untereinander noch weniger reden können als die Mädchen. Ich finde sowieso, und das sage ich als Feministin, dass männliche Jugendliche es heute total schwer haben, weil sie keine klaren Rollenvorbilder haben und weil wir Frauen uns so wunderbar mit so viel Selbstinitiative entwickelt haben. Und die Jungs haben kein gutes Unterstützungspotential. Weder im pädagogischen Bereich, noch bei den Vätern.“
Die rundum gute Geburtserfahrung
Erzähl mir doch mal von deinen Geburten. Du hast ja eben schon angeteasert, Geburt immer wieder – wieso das? Was war daran so besonders gut?
„Das Wunder. Dazu kommt wahrscheinlich wieder eine meiner persönlichen Ausnahmen: Es war aufgrund meiner Komplikationen schon ab dem 4. Monat klar, es wird ein Kaiserschnitt. Davor hatte ich Schiss, weil ich nie im Krankenhaus war, nie Spritzen gekriegt hatte und dachte, „Oh nein, jetzt schneiden die mir den Bauch auf.“
Vor der Geburt an sich hatte ich auch Schiss, aber da war mir klar, dass das ja sein muss. Das Kind muss ja raus (lacht). Außerdem blieb meine Vorstellung der vaginalen Geburt abstrakter. Abstrakter, aber auch archaischer und natürlicher. Aber der Gedanke, die schneiden mir den Bauch auf und holen das Kind raus, das war irgendwie nicht schön. Und wie durch ein Wunder wurde es dann doch eine Spontangeburt. Es wurde also kein Kaiserschnitt und alles verlief ganz anders als geplant.
Natürlich war der Schmerz brachial, aber es war auch eine Urkraft. Man kann jetzt spekulieren, dass ich es so empfunden haben mag, weil ich es nicht erwartet hatte oder weil ich es gar nicht zu hoffen gewagt hatte… Egal.“
„Ich habe, obwohl ich so viel Angst vor den Schmerzen hatte und selbst Spritzen schon eine Katastrophe für mich waren, diese Geburt als etwas Gigantisches erlebt, das mich nochmal in meiner Weiblichkeit erweitert hat. Ich fand es faszinierend. Es war brachial, gewaltig und toll.“
Warst du überwältigt davon, wozu du imstande bist oder wie kann ich das verstehen?
„Also ich glaube, für solche Gedanken hast du in dem Moment keinen Platz (lacht). Da kannst du hinterher drüber reflektieren. Ich habe einfach geschrien, gebrüllt, gearbeitet und gekämpft. Ich war voll bei mir und es war in Ordnung so. Ich habe keinen Platz gehabt für Gedanken.“
Hast du während deiner Schwangerschaften oder auch unter der Geburt übergriffiges Verhalten erlebt?
„Nein. Ich glaube, ich hatte eine sehr luxuriöse Situation. Ich war in einer kleinen Klinik mit nur 36 Betten. Und ich habe mit Chefarztbehandlung im Einzelzimmer mit Blick auf eine Herde Galloway Rinder und einen kleinen Flusslauf beide Kinder entbunden. Mit einem Chefarzt, der wirklich auch mein Vertrauter war und in wunderschönen Entbindungsräumen. Sogar mit dem Service, nach der Geburt erstmal einen Sekt zu kriegen. So nach dem Motto „Trink mal schnell, bevor die Milch einschießt, dann darfste nicht mehr“. Also es war wirklich gut gewählt und passend für mich. Also nein, ich kann mich nicht an übergriffiges Verhalten erinnern.“
Schön, es kann ja auch mal gut gehen!
Louelas Message: Eltern werden kommt plötzlich, also habt Verständnis
Kannst du dich noch daran erinnern, wie die erste Zeit mit Säugling war?
„Was du sicherlich hören willst, ist die Mär von der einschießenden Liebe, wenn man das Kind in den Armen hält. Das hatte ich nicht. Bei mir lief das so: Dieses Kind lag auf meinem Bauch und wir hatten völlig vergessen zu fragen, welches Geschlecht es hat. Das fiel uns erst auf, als die Hebamme nach dem Namen des Kindes fragte. Wir haben wirklich das Wunder voll genossen und wollten beide auch in keiner Schwangerschaft vorher wissen, was es wird. Wir haben dieses Kind empfangen und dann erst einmal weiter geschaut.
Die erste Zeit ist verbunden mit Unsicherheit, mit Schwitzen, mit sich körperlich ekelig fühlen und mit Gedanken wie „Ohje, mache ich alles richtig?! Ich werde nie eine gute Mutter sein, ich bin dem nicht gewachsen“. Also ich glaube, das ist eine wichtige Zeit zur Orientierung. Und es ist eine schwierige Zeit, weil du dich mental umstellen musst. Weil du nie wieder in deinem Leben nur noch dich alleine denkst. Keine Sekunde mehr und das ist anstrengend. Ganz besonders, wenn man 35 Jahre lang so egozentrisch und ichbezogen war wie ich.“
Ist das auch eine von den Informationen, die du Menschen mit Kinderwunsch mitgeben wollen würdest über diese Transition zum Elternteil? Und gibt’s da vielleicht noch mehr?
„Ja, unbedingt! Ich würde sie auf alle Fälle auch noch darauf aufmerksam machen wollen, dass sie achtsam sein sollen, was die Partnerschaft betrifft. Also wirklich im Vorfeld intensiv über diesen Ausnahmezustand der ersten Zeit mit Kind sprechen. Und auch hier nicht aus den Augen verlieren, dass die Männer nochmal mehr Unterstützung gebrauchen können, als die Frauen, was diese mentale Umstellung betrifft.
Das ist ja auch logisch, denn in ihnen wächst nichts heran. Sie werden mit der Situation sozusagen nicht über Monate aufgewärmt, sondern sie werden ins eiskalte Wasser geworfen. Vielleicht sind sie sogar bei der Geburt dabei und dann ist auf einmal dieses Kind da. Da muss man mit dem Kopf und dem Gefühl erst einmal hinterherkommen. Ich würde an dieser Stelle also gerne für etwas mehr Aufmerksamkeit auch für die Väter plädieren.“
(Anmerkung der Autorin: Das gilt natürlich auch für jegliche anderen geschlechtlichen Konstellationen von Eltern, in denen eine Person das Kind ausgetragen und zur Welt gebracht hat und die andere(n) nicht.)
“Get your body shamed” … uh “back”, I mean
Fällt dir was ein, was du als junge Mutter so gar nicht gebrauchen konntest?
„Mir fallen Dinge ein, die mich verletzt haben. Ich hätte andererseits gut mehr Unterstützung gebrauchen können und mehr vertraute Menschen, die hinter mein „Ach, ich schaffe das schon alles“ blicken. Ansonsten habe ich dumme Bemerkungen wie „Der Bauch ist aber groß, ist das Kind noch drin?“ nicht gebrauchen können. Also alles, was meine Weiblichkeit, meine Schönheit und mein Aussehen betroffen hat.
Das ist so eine fragile Situation, die Zeit dieser massiven körperlichen Umstellung. Wenn dieser krass gedehnte Bauch sich langsam zurückbildet und du aber auch oft so erschöpft bist, dass du nicht auf deine Kalorienzufuhr achtest, sondern in dich rein schlingst, was deinen Zuckerspiegel wieder in die Höhe bringt und dir guttut. Solche Kommentare zu meinem Körper konnte ich nicht brauchen und die waren sicher auch manchmal übergriffig. Besonders weil ich ja gelegen und mich dadurch wenig bewegt und viel zugenommen hatte.“
Das berührt nochmal ein ganz anderes Thema, das heute durch Social Media auch für Menschen wie mich, die keine Kinder haben, schon sehr präsent ist. Und zwar den „Get your body back“ Trend, wo es darum geht, dass man Mutter werden und sein darf, aber dabei weiterhin aussehen muss, als wäre man niemals schwanger gewesen. Das war also zu deiner Zeit als junge Mutter auch schon der Anspruch an dich?
„Ja! Und dieser Schönheitshype wirkt sich natürlich auch auf das Kind aus. Es gibt genügend Menschen, die berichten, dass die eigene Mutter häufig gesagt habe, die Schwangerschaft mit ihnen hätte ihre Figur ruiniert. Also ein wirklich gesellschaftlicher, differenzierter Umgang damit, dass eine Schwangerschaft die Figur verändert, das fehlt. Und zwar nicht im Sinne von „Die sollte sich mal ein bisschen zusammennehmen, die ist aber echt heftig auseinander gegangen“. Das ist tatsächlich mein vorrangiges Thema in meiner Arbeit mit Essstörungen. Also diese Orientierung nach einer gewissen Außendarstellung.“
Hast du auch schon erlebt, dass durch diese Erwartungen bei Müttern Essstörungen entstanden sind?
„Ja, absolut. Ich habe keine Statistik zur Häufigkeit, aber ich habe es erlebt. Ich würde nicht sagen, dass das ein vorrangig symptomatisches oder auffälliges Verhalten ist, aber ja, habe ich erlebt.“
Das war mir gar nicht bewusst. Klar, es leuchtet total ein, weil der Druck unfassbar groß sein muss und wir so weit weg davon sind, einen Körper, der geboren hat, einfach nicht wertend in „vorher gut, nachher böse“ einzusortieren. Und nur dann als etwas, das sexy sein kann, zu sehen, wenn die betreffende sich auch so darstellen möchte.
„Wobei ich mal sagen möchte, Essstörung ist eine massive psychische Erkrankung und die Ursache dafür kann zwar durch die Schwangerschaft und daraus folgende körperliche Veränderungen getriggert werden, liegt aber vermutlich nicht in der Schwangerschaft selbst begründet, sondern in anderen Dingen. Aus dem Erwartungsdruck könnte genauso gut auch eine Depression werden.“
Es muss ja auch nicht erst eine Essstörung werden, damit die Person unter einem großen Leidensdruck steht. Selbst wenn sich keine Essstörung einstellt, ist es wahrscheinlich trotzdem eine psychische Belastung, sowohl der eigenen Unsicherheit Herrin zu werden als auch den äußeren Erwartungen gerecht zu werden. Dazu kommen dann noch die Beauty-Ansprüche an die eigene Person, womöglich durch ein unrealistisches Schönheitsideal. Denn die Schwangerschaft ist nun mal nicht ungeschehen zu machen und ein Stück weit auch die körperlichen Spuren davon nicht.
Über Mutterschaft, Lust und Liebe
„Aber das dahinterliegende spannende Thema ist ja eigentlich, wie definiere ich Weiblichkeit. Bin ich vor der Schwangerschaft weiblicher oder bin ich nach der Schwangerschaft weiblicher? Aber du haderst auf alle Fälle mit dir und deiner Weiblichkeit, weil sie eine andere ist. Darüber hinaus gibt es das Thema Lust. Dazu kann ich sagen, dass Schwangerschaft eine sehr, sehr lustbetonte und erotische Zeit für mich war und ich das auch von vielen anderen Frauen weiß. Weil du dich so prall und weiblich fühlst.“
Und nach der Schwangerschaft?
„Also sagen wir mal so: Durch diesen doch sehr intensiven Geburtsvorgang kannst du wund sein oder du kannst eingerissen sein, da ist Sex erstmal kein Thema. Zumindest Penetration. Ich glaube zudem, dass es nachweislich durch hormonelle Einflüsse in der ersten Zeit auch so ist, dass die Mutter kein Bedürfnis nach Sex verspürt.“
Und bei manchen kommt‘s wieder und bei manchen lange nicht.
„Zumindest hormonell gesehen, kann es da Zusammenhänge mit der Länge der Stillzeit geben. Die Zusammensetzung der ausgeschütteten Hormone, die es braucht, um Muttermilch zu produzieren, fördert nicht die Lust auf Sex. Dazu gesellt sich dann noch das Oxytocin, das die Bindung zwischen Baby und Mutter festigt. Das ist eher für’s Kuscheln gut als für die Erotik.“
Meine letzte Frage an dich, Louela: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Die Fürsorglichkeit und – jetzt kommt etwas ganz Pathetisches – bedingungslose Liebe. Ich meine, man kann auch Partner*innen oder Freund*innen bedingungslos lieben. Liebe ist für mich generell bedingungslos. Aber das ist für mich einer der ganz wichtigen Bausteine von Mutterschaft. Wenn ich nicht, um zurückgeliebt zu werden oder einen Vorteil jedweder Art davon zu haben, liebe.“
Louela, ich danke dir herzlichst für deine Offenheit! Dass du deine Gedanken, deine Erlebnisse und deine Perspektive mit mir und damit auch den Leser*innen auf cleographie geteilt hast, ist unheimlich wertvoll und hilfreich im Sinne der Aufklärung.