Die zweite Staffel der „Mama Messages“ beginnt mit Esther und mit einem Namenswechsel: Herzlich willkommen zu den „Eltern Messages“! Das Prinzip bleibt gleich – es geht immer noch um authentische Berichte über Schwangerschaft und Geburtserfahrungen. Neu ist, dass die Perspektiven auf Mutterschaft sich zu Einblicken in Elternschaft erweitern.
Denn wie Esther mir in unserem Gespräch eindrücklich nahegebracht hat, ist es sehr wohl möglich, Kinder auf die Welt zu bringen und sich rührend um sie zu kümmern, während man sich gleichzeitig überhaupt nicht mit der Mutterrolle oder dem Mutter-Begriff identifiziert. Vor diesem Hintergrund, aber auch mit Hinblick auf die Tatsache, dass dem Mutter-Begriff eine weibliche Geschlechtszuschreibung innewohnt, die trans Personen oder nicht-binäre Menschen diskriminieren kann, passe ich hiermit den Titel der Reihe feierlich und offiziell an!
Danke dir, liebe Esther, für diesen wichtigen Impuls, dessen Umsetzung die „Messages“ hoffentlich einen entscheidenden Schritt inklusiver werden lässt. Zur Einleitung der Gesprächsreihe, geht’s übrigens hier entlang: Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen
Esther ist zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 35 Jahre alt, während ihr erstes selbst geborenes Kind 11 Monate und ihre drei Bonuskinder 3,5 Jahre, 11 Jahre und 13 Jahre alt sind.
Cleo: Esther, hast du Mutterschaft – sowohl die biologische als auch die zu möglichen Bonuskindern – schon immer als Teil deines Lebensplans betrachtet oder trat das unerwarteterweise in dein Leben?
Esther: „Es war für mich von Anfang an ganz, ganz klar, dass ich Kinder haben wollte. Dann hat sich mein Leben aber so entwickelt, dass dieser Wunsch sich zu einer Unsicherheit a la „Ob das noch klappt?“ verwaschen hat. Ich hatte mich tatsächlich bereits durch bewusste Aufarbeitung von meinem Kinderwunsch verabschiedet und versucht, mich für das mögliche Leben ohne Kinder zu öffnen. Dann gab es nochmal eine Wendung und jetzt habe ich auf einmal vier Kinder (lacht).“
Krass! Wie ist es zu dieser Wendung gekommen?
Esther: „Naja, ich habe eben jemanden kennengelernt, der schon drei Kinder hatte. Wir leben heute in einer polyamoren Beziehung zu dritt. Das Ursprungspaar, zu dem ich dazu gestoßen bin, hatte zu diesem Zeitpunkt schon zwei Kinder und das dritte war unterwegs. Und da sich diese Beziehung entsprechend weiterentwickelt hat, haben wir uns dazu entschlossen noch ein viertes Kind zu bekommen, das ich dann ausgetragen habe.“
Haben dich denn deine Bonuskinder damals schon in eine Position gebracht, in der du dich selbst als Mutter betrachtet hast? Und was hat der biologische Prozess, ein Kind zur Welt zu bringen, daran nochmal verändert?
„Das ist eine spannende Frage! Ich werde wahrscheinlich ganz unerwartet antworten, denn ich fühle mich tatsächlich immer noch nicht als Mutter. Auch jetzt noch nicht mit einem selbstgeborenen Kind. Soll heißen, das Gefühl hat sich dadurch nicht verändert. Mutterschaft zu erleben ist für mich immer noch eine ganz seltsame Geschichte.
Ich fühle mich als Elternteil, das ja. Ich fühle mich in der Rolle, die für jemanden sorgt, Verantwortung für jemanden übernimmt und diese Menschen sehr liebt. Das war vorher bei den anderen Kindern auch schon so. Und ich war auch selbst gespannt, ob die Geburt unseres jüngsten Kindes dann noch einmal etwas verändern würde. Hat es aber nicht. Also entweder ich war vorher schon in der Position „Elternteil“ oder ich bin immer noch nicht darin angekommen, eins von beidem (lacht).“
Ganz schön schwanger – noch Fragen?
Kannst du zwei oder drei Stichworte finden, die deine Schwangerschaft treffend beschreiben?
„Es war total schön und es hat sich wirklich richtig angefühlt. Es war rundum gut und ich war sehr, sehr gerne schwanger. Ich überlege gerade noch, ob es etwas gab, das mich irgendwie herausgefordert hat, aber mir fällt nichts ein. Das erinnert mich an ein Gespräch, das ich mit meiner Mutter geführt habe. Sie war sehr positiv überrascht, dass ich schwanger geworden war, obwohl ich mich ja bereits von meinem Kinderwunsch verabschieden wollte.
Als wir dann eines Tages miteinander sprachen, bemerkte sie leicht enttäuscht, dass ich sie ja gar nichts zum Thema Schwangerschaft fragen würde. Sie bot sich mir als Gesprächspartnerin an, fürchtete aber augenscheinlich, dass ich mit meiner Partnerin schon alle meine Unsicherheit besprochen hatte. In Wahrheit hatte ich einfach gar keine drängenden Fragen. Ich glaube allerdings, dass das hauptsächlich an meiner extrem unkomplizierten Schwangerschaft lag. Das darf ich nicht unterschlagen. Ich habe einfach alle Veränderungen mit großer Neugier betrachtet.“
Das klingt so, als ob sich die Beziehung zu deiner Mutter durch deine Schwangerschaft gar nicht großartig verändert hat, weil sie nicht als deine Ratgeberin fungierte. Hat sich denn stattdessen die Beziehung zu deiner Partnerin verändert, wenn du bei ihr Rat gesucht hast?
„Ja, es hat unsere Partnerschaft verändert, weil es natürlich nochmal eine ganz andere Ebene in unsere Beziehung hineingebracht hat. Man stellt dann plötzlich Fragen, die sehr intime Bereiche betreffen, in denen die Berichte auch schon mal etwas „blutiger“ ausfallen können. Darüber spricht man ja in der Regel auch nicht mit furchtbar vielen Menschen.
Meine Partnerin hat mich außerdem begleitet, während ich entbunden habe. Danach konnten wir noch gemeinsam im Familienzimmer des Krankenhauses bleiben. Natürlich hat das nochmal eine andere Art von Vertrautheit geschaffen. Also die Veränderung beruht weniger darauf, dass ich ihr Erleben jetzt besser nachvollziehen kann, sondern auf der Tatsache, dass sie mir so unverbrüchlich zur Seite stand. Und weil sie auch nicht müde wurde, immer wieder ihre Erfahrungen mit mir zu teilen. Das war eine schöne gemeinsame Erfahrung.“
Hast du dir trotzdem auch eine Hebamme gesucht?
„Ja, die war aber gar nicht so einfach zu finden. Ich habe meine Schwangerschaft recht spät bemerkt, erst in der 10. Woche. Der erste Schwangerschaftstest, den ich gemacht hatte, war nämlich negativ und dann dachte ich, es wird wohl etwas anderes sein. Aber als die Gewissheit dann doch kam, ging alles ganz schnell. Da hieß es nur noch: „Hier ist Ihr Mutterpass und in zwei Wochen ist das Gröbste überstanden!“ (lacht).
Deshalb hatte ich gar keine große Hoffnung mehr, dass meine Suche nach einer Hebamme erfolgreich sein würde. Ich hatte von anderen Leuten schon gehört, dass man eigentlich sehr viel früher dran sein muss. Ich habe aber eine gefunden, bei der ich dann auch einen Geburtsvorbereitungskurs machen konnte. Der wurde allerdings coronagerecht nur in digitaler Form und nur an einem einmaligen Termin abgehalten. Wo andere Leute über längere Zeit einmal in der Woche einen Kurs besuchten, fand bei mir leider alles in nur zwei Stunden und über Zoom statt.
Die Informationen blieben auf das Wesentliche beschränkt. Mithilfe einer Babypuppe wurde der Geburtsvorgang erklärt, dazu ein paar Geburtspositionen und wie es sich anfühlt, wenn die Fruchtblase platzt. Also die Basics wurden mit uns besprochen, aber es war keine dieser landläufig spöttisch als „Hechelkurse“ bezeichneten Veranstaltungen, wo man etwas über die Atmung lernt. Ich fand das schade, ich hätte gerne einen Hechelkurs belegt (lacht).
Ich war auch traurig, dass es alles nur in so einer abgespeckten Version stattfand. Ich hätte mir von einem längeren Geburtsvorbereitungskurs versprochen, dass er mir Kontakte verschafft und einen Raum eröffnet, in dem ich meine Schwangerschaft noch einmal anders hätte wahrnehmen können. Ich fühlte mich aber trotzdem informiert.“
Es scheinen also ein paar Dinge zu kurz gekommen zu sein. Was hast du am meisten vermisst in der Phase der Vorbereitung?
„Ich habe natürlich nur meine Vorstellung davon, wie ein Geburtsvorbereitungskurs normalerweise abläuft und kann da nichts direkt vergleichen. Aber ich hatte mir halt vorgestellt, dass ich eher eine Schritt-für-Schritt-Anleitung bekomme. Zum Beispiel haben wir halt zu keiner Zeit das Atmen geübt und ich habe vorher immer gehört, dass die Atemtechnik wichtig sei. Unter der Geburt stellte sich heraus, dass ich ein Naturtalent im Atmen war (lacht).
Aber über alles, was den Prozess der Geburt häppchenweise aufbereitet hätte, fehlten mir Informationen. Natürlich gibt es nicht den einen und immer gleichen Ablauf einer Geburt. Aber ich hätte es hilfreich gefunden, wenn ich einmal gehört hätte, was die einzelnen Stationen sind, die man üblicherweise durchläuft. Die einzelnen Phasen der Geburt sind zwar an der ein oder anderen Stelle mal erwähnt worden, aber ich hätte mir im Nachhinein mehr Tiefe in den Erklärungen und vielleicht nachvollziehbarere Erfahrungsberichte gewünscht.“
Vorsorge ist besser als Nachsorge? Why not both?!
Und das sind sogar alles nur Informationen, die sich auf eine vaginale Geburt beziehen. Hast du vaginal geboren?
„Ja, habe ich.“
Es ist im Vorfeld ja immer sehr offen, wie sich die individuelle Geburtssituation entwickeln wird. Waren Informationen über einen möglichen Kaiserschnitt trotzdem nicht interessant für dich?
„Doch, total! Im Nachhinein kann ich jetzt natürlich sagen, dass es für mich nicht nachteilig war, dass ein Kaiserschnitt nicht thematisiert wurde. Aber gleichzeitig finde ich es total wichtig, dass der Kaiserschnitt als gleichwertige Gebär-Option vorgestellt wird. Und durch eine gleichwertige Behandlung die Grundlage dafür geschaffen wird, dass man in der Geburtssituation auch bei einem überraschenden Kaiserschnitt nicht das Gefühl bekommt, versagt oder sozusagen eine „Entbindung zweiter Klasse“ erlebt zu haben.
Ich finde es daher total wichtig, dass Aufklärung über die Sectio-Thematik im Rahmen einer Geburtsvorbereitung standardmäßig stattfindet. Denn ich habe jetzt zwar keine Statistiken im Kopf, aber ich kenne in meinem Umfeld einige Personen, die per Kaiserschnitt geboren haben. Dass da noch so ein starkes Stigma drauf liegt, finde ich unangebracht und auch gar nicht nötig. Selbstverständlich kann man kritisieren, dass eventuell zu schnell die Entscheidung pro Sectio getroffen wird – Stichwort Finanz- und Zeitmanagement der Kliniken.
Aber für die gebärende Person, die diesen Moment durchlebt, finde ich es sehr wichtig, dass sie über den üblichen Ablauf einer Kaiserschnittgeburt informiert ist. Und ebenso darüber, dass auch ein freiwilliger, geplanter Kaiserschnitt keine minderwertige Variante der Geburt darstellt.“
Ich habe den Eindruck, dass der Kaiserschnitt oft auch regelrecht drohend im Raum steht. Frei nach dem Motto: „Wenn nicht innerhalb der nächsten halben Stunde X passiert, dann Kaiserschnitt!“ Aber letztlich möchte man doch nur den Gipfel des Berges erklimmen, das Kind und die Mutter sollen die Geburt gesund und unbeschadet überstehen. Welcher Weg am Ende zu diesem Ziel führt, sollte doch erst einmal irrelevant sein. Was soll dann diese Darstellung der Sectio als schlimme Drohung anstatt als neutrale Option?
„Ich denke, an einem Kaiserschnitt ist per se nichts schlimm. Ich kann mir aber schon vorstellen, dass der Abschluss des Geburtsprozesses ein Stück weit fehlt. Diese unglaubliche Kraft, die unter der vaginalen Geburt entwickelt wird, die ist etwas, das eine Schwangerschaft anders abschließt als ein Kaiserschnitt das tut.
Anstatt darüber zu sprechen, was an einer Vaginalgeburt besser sein könnte, finde ich, sollten wir uns überlegen, welche Nachbereitung von Geburtserlebnissen generell stattfinden könnte. Denn es handelt sich dabei um ein so unfassbar krasses Erlebnis und es verläuft bei Weitem nicht in allen Fällen so problemlos, dass man hinterher sagt, es war schön – trotz der Schmerzen. So wie in meinem Fall, ich hatte großen Glück.
Ich stelle mir eine Nachbereitung der Geburt vor, die zum Beispiel im Anschluss an einen Kaiserschnitt klärt, dass das kein Versagen darstellt. Und die generell bei der Aufarbeitung von überfordernden Situationen unter der Geburt hilft. Völlig ungeachtet der Geburtsmethode. Dass es so etwas nicht gibt, finde ich problematisch.
Und gerade dieser Charakter des Kaiserschnitts als Drohung eröffnet das klassische Bild der Vaginalgeburt als einzige richtige Option. Wenn diese nicht klappt, dann wirkt es, als müsse die „Notlösung“ her.
Auch der Begriff „Notkaiserschnitt“, der so oft fälschlicherweise für schlicht überraschend erfolgende Kaiserschnitte verwendet wird, bezieht sich eigentlich nur auf den alleräußersten Notfall. Fälle, in denen es um wenige entscheidende Minuten geht, weil es sonst schlimme gesundheitliche Konsequenzen geben könnte. Durch die inflationäre Anwendung des Begriffs „Notkaiserschnitt“ auch auf weniger brenzlige Situationen entsteht in meinen Augen eine ganz andere negative Besetzung dieses Erlebnisses.
Ich finde, durch diese Art von unbedachter Wortwahl kann viel zerstört und traumatisch besetzt werden, weil es die Situation noch einmal extra dramatisiert. Auch das färbt dann den Kaiserschnitt als die vermeintlich schlechtere Variante ein, weil es augenscheinlich eine Not gab. Dadurch wird letztlich das Stigma weiter unterstützt.“
Ich möchte einmal anmerken, dass ich deine Idee der Nachsorge besonders schön finde. Vielleicht als eine Art Zusatz zum Angebot der Hebamme. Sodass die Eltern in Gesprächen mit einer entsprechend ausgebildeten Person ihre Erfahrungen noch einmal aufarbeiten können. Ganz ungeachtet der Umstände der Geburt.
„Total gut fände ich das. Ich denke auch, dass der positive Einfluss so einer Rekapitulation unterschätzt wird. Ich habe immer noch ein sehr großes Bedürfnis von meiner Geburtserfahrung zu erzählen.“
Gleich ist es soweit – Geschichten vom Verschätzen
Dann erzähl doch mal von deinem Geburtserlebnis!
„Ich war tatsächlich schon zehn Tage überfällig und sehr schwanger (lacht). Die Entscheidung über eine Geburtseinleitung stand im Raum. Mir war bewusst, wenn ich zur Einleitung ins Krankenhaus gehe, dann komme ich da bis zur Geburt nicht mehr raus. Ich hatte allerdings schon von Einleitungen gelesen, die sich über zwei, drei Tage hingezogen haben sollen und das unter Coronabedingungen… Die Vorstellung hat mir gar nicht gefallen.
Wir haben das dann innerhalb der Familie diskutiert und ich meinte, dass ich gerne abwarten würde. Vor allem unsere Partnerin machte sich allerdings ein bisschen Sorgen. Also haben wir uns ein Ultimatum überlegt und beschlossen, dass ich zur Einleitung in die Klinik gehe, wenn sich bis zu dessen Ablauf nichts tut.
Genau einen Abend bevor das Ultimatum endete, bin ich gerade zum Lesen ins Bett gegangen, als ich auf einmal ein lustiges Geräusch hörte (lacht). Ich schwöre, es klang genauso wie das Platzen einer Kaugummiblase! Meine Fruchtblase war geplatzt. Es hat ein bisschen gedauert bis ich die Situation verstanden habe und dann bin ich aus dem Bett gehechtet, in dem ich sowieso schon nur noch mit Handtuch schlief (lacht).
Kurz darauf waren alle außer mir in heller Aufregung. Ich blieb recht entspannt, hatte aber zu dem Zeitpunkt auch noch keine Wehen. Das hatte ich mir vorher so auch nicht vorgestellt. Jedenfalls haben wir dann langsam alles fürs Krankenhaus zusammen geräumt, unser Partner hat sich noch einen Kaffee gekocht und wir haben der Großmutter, die auch bei uns im Haus lebt, das Babyfon in die Hand gedrückt, damit wir die anderen Kinder versorgt wissen. Dann haben wir uns zu dritt auf den Weg gemacht. Es stand allerdings schon vorher fest, dass nur eine weitere Person mit mir in den Kreißsaal darf. Das war eine Coronamaßnahme, die mich im Vorhinein ganz schön traurig gemacht hat. Im Nachhinein war es okay, aber das war schon ein schwieriger Moment.
Auf der Autofahrt zum Krankenhaus setzten bei mir die Wehen langsam ein. Es war aber alles noch sehr aushaltbar und ich habe keinen großen Unterschied zu den Übungswehen aus der Zeit zuvor gespürt. Kurz nach der Ankunft bin ich dann gemeinsam mit unserer Partnerin in den Kreißsaal gekommen, während unser Partner wieder nachhause fuhr. Wir durften uns dann zu zweit direkt ins Familienzimmer zurückziehen, was ich sehr gut fand. Kaum hatte ich mich ins Bett gelegt, wurde die Wehen auch schon stärker und ich habe sie sehr tapfer veratmet (lacht). Ich finde es selbst witzig, wie stolz ich darauf bin, dass ich das so gut hingekriegt habe.
Nun lag ich also in diesem Bett und wunderte mich über meine Bewegungslosigkeit. Es hieß in der Vorbereitung, man würde vorher immer noch herumlaufen und Treppen steigen, um den Prozess zu unterstützen. Aber ich glaube, ich hätte jeden, der mir vorgeschlagen hätte mich mehr als einen Zentimeter zu bewegen, sofort ruhiggestellt (lacht). Bewegung war überhaupt nicht möglich für mich, ich konnte nicht einmal meine Zehen bewegen. Ich hatte eine Position gefunden, die gut war, und in der bin ich vier Stunden lang geblieben und habe geatmet und ein bisschen vor mich hin gejammert.
Dann habe ich zu meiner Partnerin gesagt, dass sich in mir etwas verändert und sie dem Personal Bescheid geben soll. Sie fragte mich noch, ob ich mitkommen wollte, aber ich konnte wirklich nicht mehr laufen. Also ging sie ohne mich los und kehrte mit der Hebamme zurück, die gerade Dienst hatte. Die schaute mich an und meinte ganz jovial und motivierend zu mir: „Na komm, dann gehen wir doch jetzt noch ein paar Schritte!“ Und ich dachte mir nur, dass ich das eigentlich gar nicht will.
Ich war in einer ganz anderen Stimmung als sie. Für mich war klar, hier passiert gerade etwas und es geht jetzt wirklich los. Und sie befand sich aber noch auf dem Standpunkt, dass alles ja noch gar nicht so dramatisch sein könne und wir jetzt noch drei Stunden über den Flur laufen müssten, bis etwas passiert. Das war mir ziemlich unangenehm, aber ich habe in dem Moment nichts gesagt. Ich dachte mir, ich will ja jetzt auch keine Umstände oder Zicken machen. Also bin ich eben links und rechts gestützt auf die beiden eine Runde durch den Kreißsaal getapst.
Wir haben für die Strecke sehr lange gebraucht, aber ich dachte mir, das hat sie jetzt eingekauft (lacht). Ich habe zwischendurch von ihr solche Vibes empfangen nach dem Motto „Naja, man kann sich auch anstellen.“ Es war sicher nicht böse gemeint, aber sie hat mich eben auch nicht ernst genommen. Dann kamen wir wieder im Gebärzimmer an, es wurde noch ein CTG geschrieben und die Hebamme verabschiedete sich dann noch einmal von uns. Plötzlich fühlte sich aber alles für mich super unangenehm an und ich sagte zu meiner Partnerin, dass ich dringend auf die Toilette müsse.
Ich bekam ernsthaft das Gefühl, im Zimmer gleich – Verzeihung – auf den Fußboden kacken zu müssen (lacht). Wir sind dann gemeinsam in Richtung Toilette gestartet, wurden auf dem Weg dorthin aber von der Hebamme abgefangen. Als die dann hörte, wie es mir ging, war sie auf einmal alarmiert. Sie schickte uns umgehend zurück und hat in dem Moment wohl zum ersten Mal kapiert, dass sie sich bei mir wahrscheinlich ganz schön verschätzt hatte. Sie erklärte mir daraufhin nämlich, dass dieses Gefühl ein Zeichen dafür sein könnte, dass die Zervix bereits weit genug geöffnet war und ich schon die Presswehen spürte.
Ein kurzer Check zeigte dann auch, dass ich schon die notwendigen zehn Zentimeter Öffnung der Zervix erreicht hatte und quasi mittendrin war in der Geburtssituation. Diese Erinnerung ist sehr präsent in meinem Kopf. Ich lag dort und dachte: „Okay, dann jetzt gebären!“ Zuerst befand ich mich in Rückenlage, aber die Hebamme bot mir eine andere Position an, die dann auch direkt die richtige für mich war. Ich hatte mir vorher vorgestellt, dass ich mir ein kabelloses CTG wünsche, um durch die Gegend laufen und meine Position wechseln zu können. De facto habe ich aber die ganze Geburt im Vierfüßler Stand und aufgestützt auf ein Kissen vollbracht.
Meine Partnerin stand vor mir und war für mich da. Die Geburt war sehr anstrengend, weil ich ein sehr großes Kind zur Welt gebracht habe. Allerdings wusste vorher niemand, dass mein Kind fünf Kilo wog. Die Ärztin, die mich einige Tage zuvor nochmal untersucht hatte, meinte, dass wir uns auf vier Kilogramm mindestens einstellen könnten. Es waren am Ende aber eben fünf Kilo und das hatte zur Folge, dass die Phase der Presswehen unglaublich lange gedauert hat. Das konnte aber logischerweise auch die Hebamme nicht ahnen. Also stand sie die ganze Zeit vor mir und feuerte mich mit den Worten an, dass es gleich soweit sei und man das Köpfchen schon sehen könne.
Sie wollte, dass ich alle Kraft zusammennehme, also dachte ich, mache ich das mal und presse ordentlich mit. Aber es hat einfach nicht gereicht. Und nach dem fünften „Jetzt ist es gleich soweit“ hat sie dann auch eingesehen, dass ihre Anfeuerungsversuche nicht besonders hilfreich waren. Stattdessen führte das Ganze fast dazu, dass ich mich komplett verausgabte, weil ich ständig dachte, wir hätten es gleich. Letztlich dauerte der Prozess dann noch zweieinhalb Stunden, was immer noch verhältnismäßig wenig ist.
Zwischendurch steckte mein Kind allerdings in meinem Becken fest, was tatsächlich eine sehr schmerzhafte Erfahrung war. In dieser Situation ist es mir sehr schwer gefallen trotz der Schmerzen weiterzuarbeiten. Aber gleichzeitig war das relativ schnell überstanden. Ich kann mich ansonsten interessanterweise nicht daran erinnern, dass ich unter der Geburt Schmerzen gehabt hätte. Außer eben in dem Moment, in dem das Baby im Becken feststeckte.
Ich habe vorher beim Veratmen der Wehen Schmerzen gehabt und das tat unfassbar weh. Aber unter der Geburt kann ich mich nicht an Schmerzen erinnern. Es war viel mehr ein Gefühl der großen sportlichen Anstrengung. Als würde ich mit aller Kraft ein Gewicht hochheben. Und die passenden Geräusche habe ich auch gemacht (lacht). Ich habe immer gedacht, die Geräusche des Kreißsaals wären Schmerzensschreie, aber bei mir handelte es sich tatsächlich viel mehr um das Herausschreien der Kraft, die ich bemühen musste. Das war etwas, das mich überrascht hat. Generell haben mich unter der Geburt mehr Dinge überrascht, als während und an meiner Schwangerschaft.“
Ich finde, dein Bericht über die gesamte Situation unter der Geburt klingt super stark. Es klingt so, als würde eine Geburt sehr viel Kraft fordern, die allerdings auch vorher schon vorhanden war. Und erst die Geburtssituation zeigt dir, wie viel Kraft schon in dir gesteckt hat.
Mit all diesen Erlebnissen jetzt im Hinterkopf: Würdest du es nochmal machen wollen?
„Ja. Ja, jederzeit. Ich war super gerne schwanger. Ich vermisse das sogar. Ich würde auch eine Geburt aus verschiedenen Gründen nochmal wiederholen. Zum Beispiel mag ich das Erfolgserlebnis hinterher (lacht). Es fühlt sich einfach gut an, sich so unfassbar anzustrengen und am Ende so belohnt zu werden. Aber das sage ich alles vor dem Hintergrund einer sehr, sehr unkomplizierten Schwangerschaft und Geburt. Mir ist klar, dass der Satz „Alle Anstrengung lohnt sich“ auch Teil des Mythos sein kann. Nein, nicht alles, was man am Ende bekommt, kann jede mögliche Traumatisierung aufwiegen.
Aber für mich persönlich lief eben alles gut. Ich mochte es, mich selbst so zu erleben.
Ich habe selten Momente in meinem Leben gehabt, in denen ich so stark bei mir selbst war. Alles andere war so wenig präsent in den Stunden der Geburt. Ich war bei mir, fühlte mich kraftvoll und hatte die ganze Zeit den Eindruck, ich mache das richtig und ich schaffe das.
Es gibt für mich deshalb keinen Grund zu sagen, ich würde das nicht noch einmal wiederholen wollen.“
Ach, wie toll! Ich dachte gerade, wann im Leben hat man schon mal die ganze Zeit das Gefühl, etwas komplett richtig zu machen, was man zum ersten Mal tut?! (Gemeinsames Lachen) Was für eine Selbstsicherheit das gewesen sein muss!
„Ja, aber echt (lacht). Meine eigene mentale Geburtsvorbereitung war für mich, dass ich mir selbst vertraue und auch meinem Körper damit vertraue. Ich hatte von Anfang an keine Angst, mich diesem Prozess so anzuvertrauen. Es war an vielen Stellen deutlich spürbar, dass mein Körper wusste, was gemacht werden muss. Ich musste nicht überlegen, was ich tun muss, sondern mit meinem Körpergefühl wurde einfach nicht diskutiert (lacht). Das war eine coole Erfahrung.“
WochenBETT ist ein Privileg
Wie war denn die erste Zeit mit Säugling nach der Geburt?
„Die Zeit im Krankenhaus war eine schöne Erfahrung, weil wir sehr von der Welt abgeschottet waren. Ich habe es genossen erst einmal viel Ruhe zu haben und nicht direkt den großen Familienbesuch zu empfangen. Außerdem hatte ich im Vorhinein gelesen, dass viele es bereuen, sich im Wochenbett doch übernommen zu haben. Deshalb habe ich vor der Geburt schon kommuniziert, dass ich in der ersten Zeit nichts mache.
Ich wollte für die ersten sechs bis acht Wochen in nichts eingeplant werden. Ich existierte, stillte das Baby und schaute Serien oder las Bücher. Und wenn ich Lust hatte, dann habe ich etwas gemacht. Deswegen war die erste Zeit mit Säugling super schön. Es hat ca. zwei Wochen gedauert, bis mein Sohn das Konzept von Tag und Nacht ungefähr verinnerlicht hatte. So haben wir ziemlich schnell einen gemeinsamen Rhythmus gefunden, der mich die Zeit des Wochenbetts sehr genießen ließ.“
Denkst du, dieses entspannte Wochenbett wurde durch eure Beziehungs- und Familienkonstellation ermöglicht?
„Ja, natürlich! Und das ist ein absolutes Privileg. Sowieso strotzen meine gesamte Schwangerschaft, Geburt und Wochenbettsituation nur so vor Privilegien. Das ist mir bewusst und ich bin sehr dankbar dafür. Unser Partner hat sich die ersten zwei Monate Elternzeit genommen, weil nicht ganz klar war, ob der Dreijährige trotz Corona in den Kindergarten gehen konnte. Ich wusste, ich würde es nicht alleine schaffen mit den beiden Kleinen zuhause. Unsere finanzielle Situation und die Möglichkeiten uns zu Mehreren zu organisieren haben also extrem geholfen.“
Du hast eben angesprochen, dass du gestillt hast und du stillst vielleicht auch immer noch? Fällt es dir leicht oder kamst du schwer rein?
„Ich war anfangs der festen Überzeugung, dass Stillen mich in den Wahnsinn treiben würde. Ich war sehr entschieden, dass ich stillen möchte, wenn es klappt, aber ich war offen für die Möglichkeit, dass es nicht klappt. Und ich habe großen Respekt vor allen, die mit Flasche füttern, weil das ein riesiger Mehraufwand ist. Ich bin froh, dass ich Stillen kann und genieße es häufig auch.
Gleichzeitig war ich vorher etwas abgeneigt bei dem Gedanken, so eine große Abhängigkeit vom Rhythmus eines anderen Menschen erleben zu müssen. Ich war mir nicht sicher, ob ich das schaffen würde. Ich hatte vorher mit meinen Partnerpersonen über meine Zweifel gesprochen und dass ich wollte, dass wir auch übers Zufüttern nachdenken oder mir die Option einräumen abzupumpen. Sodass auch die anderen beiden die Flasche geben könnten, wenn ich Zeit für mich brauchen sollte.
Tatsächlich haben wir aber noch nie ein Fläschchen gegeben, was bedeutet, ich habe keine einzige Mahlzeit abgegeben. Denn als ich einmal mit dem Stillen losgelegt hatte, war es schlichtweg okay. Der Anfang war recht schmerzhaft. Mir war vorher nicht bewusst, dass Stillen weh tun kann. Das dauerte aber nur so lange bis sich alles eingewöhnt hatte und meine Brustwarzen etwas „abgehärteter“ waren. Ich hatte außerdem das Glück, ein Kind zu haben, das ziemlich genau wusste, was es machen musste. Wir haben es gemeinsam gut hingekriegt. Ich stille auch immer noch und wir haben sogar entschieden die Nachmittagsmahlzeit noch nicht durch Obst-Brei zu ersetzen, weil es mir und dem Kind mit diesem Ablauf immer noch gut geht.“
Das klingt, als würdest du in Bezug auf Länge und Gestaltung der Stillzeit deiner Intuition anstatt allgemeinen Richtlinien folgen?
„Richtig. Es gibt sehr viele Tipps und Vorgaben, was ab dem vierten Monat und dann ab dem sechsten Monat gefüttert werden soll. Mein Sohn bekommt mittlerweile auch Brei-Mahlzeiten und wir sind gerade dabei sogar das Frühstück zu ergänzen. Aber der Fokus liegt immer darauf, ob das jetzt individuell für uns die richtige und stimmige Lösung ist.
Der Gedanke, ihn nachmittags nicht mehr zu stillen, hat mich traurig gemacht, weil ich diese gemeinsame Zeit so mag. Also haben wir entschieden, es einfach dabei zu belassen. Bis mein Sohn oder ich es nicht mehr möchten.
Die Stillbeziehung sollte als etwas betrachtet werden, das beidseitig erwünscht sein muss. Ich kann jeden Menschen verstehen, der sagt: „Ich weiß, es wäre gut fürs Kind, aber ich kann das nicht.“
Ich denke, es gibt keinen Grund, wieso man sich dann über Monate selbst quälen sollte. Stillen ist eine unglaublich nahe, enge und intime Situation. Sich mehrmals am Tag und in der Nacht zu etwas zwingen zu müssen, das weh tut und dir Unbehagen bereitet, führt zu nichts. Man könnte eventuell versuchen mithilfe einer Stillberatung Lösungen zu finden. Aber bedürfnisorientiert zu handeln, heißt eben auch, die Bedürfnisse des stillenden Elternteils im Blick zu behalten.“
Etwas, worüber ich noch nie nachgedacht hatte, bis ich es im Zusammengang mit Berichten übers Stillen gelesen habe: „feeling overtouched“.
Ich habe Stillen nicht als die ständige körperliche Nähe betrachtet, die es ist. Eine Nähe, die notwendigerweise eingegangen werden muss und gar nicht unbedingt aus einem beidseitigen Bedürfnis heraus entsteht.
„Wenn ich merke, dass es mir gerade zu viel wird, dann docke ich ihn ab. Und wenn er noch Hunger hat, dann kriegt er eben eine Banane. Denn Stillen kann sich so anfühlen, als würde dich jemand umarmen, von dem du das gar nicht willst. Natürlich habe ich meinen Sohn lieb und ich will, dass es ihm gut geht. Es ist für mich aber kein akzeptabler Kompromiss zu sagen, dass ich dafür dieses Gefühl einfach aushalte. Man muss dann eben gucken, welche Lösungen sich finden lassen und wie groß dieses Problem ist.
Übrigens kann das auch für Partnerschaften total belastend sein. Man hat das Gefühl durch das Stillen total overtouched zu sein und dem Partner oder der Partnerin nur noch eine Umarmung zur Begrüßung einräumen zu können. Das ist für die Partnerpersonen natürlich auch nicht einfach.“
Esthers Eltern Message: Du darfst, was du brauchst!
Was würdest du den Menschen gerne mitgeben, die aktuell überlegen, ob sie sich auf die Transition zum Elternteil einlassen wollen?
„Einiges (lacht). Ich denke, da gibt es zwei besonders wichtige Dinge: Ich werde jetzt nicht sagen, dass sie auf ihr Bauchgefühl hören sollen, weil das häufig viel zu viel Druck macht. Denn die meisten fragen sich zurecht, woher sie denn wissen sollen, ob das Bauchgefühl richtig liegt. Die bessere Formulierung ist in meinen Augen: Wenn du das Gefühl hast, dass etwas richtig ist, dann trau dir dahingehend selbst. Der zweite Punkt ist: Du selbst bist auch wichtig.“
Wie meinst du das genau?
„Es ist nicht nur wichtig, dass es dem Baby gut geht, es ist auch wichtig, dass es dem Elternteil gut geht, der oder die hauptsächlich für das Kind zuständig ist. Ich mag den Begriff der bedürfnisorientierten Erziehung. „Bedürfnisorientiert“ wird aber oft missverstanden als „ich bin zuständig für die Bedürfnisse des Kindes und die versuche ich zu erfüllen.“
Das ist aber zu kurz gedacht, weil „bedürfnisorientiertes Erziehen“ durchaus abdeckt, dass die eigenen Bedürfnisse auch ihren Platz haben. Natürlich kann ich keinem sechs Wochen alten Säugling sagen, dass ich gerade keine Lust habe, ihn zu füttern.
Es geht dabei gar nicht um diese existenziellen Dinge. Aber bei allem, wo man irgendwie Kompromisse und Lösungen finden kann, die einen selbst mitberücksichtigen, da darf man das auch machen. Das ist vollkommen okay und bedeutet auch nicht, dass man egoistisch ist oder ein schlechtes Elternteil. Das ist wichtig und ich möchte, dass das alle wissen!“
Kennst du den Diskurs um „regretting motherhood“ und falls ja, was sind deine Gedanken dazu?
„Ja, den kenne ich. Ich kann das nachvollziehen. Wenn ich darüber lese, entsteht in mir immer eine gewisse Beklemmung. Das hat aber gar nichts damit zu tun, dass in diesem Diskurs ein Tabu angesprochen wird, sondern weil ich mir vorstellen kann, wie leicht man missverstanden wird, wenn man sich so äußert. Ich habe Mitleid mit den Menschen, die offen über ihre Reue sprechen, weil ihnen häufig Unverständnis begegnet.“
Findest du diese Reaktion fair, wenn sie von Vätern kommt?
„Nein, überhaupt nicht. Ich denke, das ist immer noch dem gesellschaftlichen Ist-Zustand geschuldet, dass das Abhängigkeitsverhältnis zwischen Kindern und Care Givern vor allem eines zwischen Kindern und der mütterlichen Rolle ist. Dieses überwältigende Vereinnahmen, was Kinder auf ihre Art und Weise tun, muss man selbst erleben, um das tatsächlich richtig einordnen zu können.
Wenn man nicht die hauptsächliche Bezugsperson ist, dann ist es ab und zu sicherlich mal anstrengend mit den Kleinen, aber das passt dann auch schon. Eine Empörung darüber, dass man diese geringe Intensität der Belastung schon bereut, die könnte ich eher verstehen. Ich glaube, deswegen ist die Empörung zum Diskurs aus Richtung vieler Menschen ohne Kinder oder eben ohne diesen Erfahrungshintergrund überhaupt nicht fair.“
Das heißt, du siehst den Unterschied da vordergründig in der Erfahrungswelt des Menschen, der geboren hat, im Gegensatz zu einem anderen Care Giver, der nicht geboren hat?
„Ich würde es nicht an die Geburt knüpfen, sondern an die Aufteilung in der Fürsorgearbeit. Wenn eine Einzelperson vorwiegend für das Kind zuständig ist – was in den meisten Familien allein aus finanziellen Gründen der Fall ist und häufig die Mutter – dann ist das einfach eine komplett andere Erfahrung. Für übrige Verantwortliche ist es dann, wie die Tante zu sein und die Kinder nur für eine Woche mal zu haben. Das berühmte „Schön, dass ich sie wieder abgeben kann“. Genau diese Freiheit hat man nicht als vorwiegend verantwortliches Elternteil.
„Regretting motherhood“ bedeutet in den meisten Fällen nicht, dass die Kinder nicht geliebt werden, sondern dass die Betroffenen sich mit ihrer Mutterrolle und dem Leben darin einfach sehr unwohl fühlen. Dieses Dilemma steht dahinter und das kann niemand beurteilen, der nicht selbst in dieser Rolle steckt.“
Meine letzte Frage an dich, liebe Esther: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Willkommen in meinem Kopf: Ich habe keine Ahnung (lacht)! Wie ich eingangs ja schon sagte, ich fühle mich gar nicht als Mutter. Ich habe sogar Schwierigkeiten, wenn ich bei unserem Kinderarzt anrufe. Ich sage dann nicht, dass ich einen Termin für meinen Sohn brauche, sondern sage: „Ich brauche einen Termin für Vorname Nachname“ (lacht). Denn es fühlt sich irgendwie immer noch so fremd und komisch an. Deswegen würde ich die Frage gerne umwidmen zu „Was macht einen Menschen zum Elternteil?“
Ich finde, ein Elternteil ist jemand, der sich bereiterklärt, die Verantwortung und die Fürsorge zu übernehmen für Minderjährige jeden Alters, die diese Unterstützung noch brauchen. Und der*die plant, das auch durchzuziehen. Damit meine ich das Bewusstsein, dass man sich nicht nach zwei Jahren wieder umentscheidet. Sondern dass freiwillig und verbindlich gesagt wird, dieses Kind ist jetzt Teil des eigenen Lebens. Solange wie dieses Leben eben dauert. Diese Bereitschaft ist für mich der Schritt hinein ins Elternsein. Die Bereitschaft für die Verantwortungsübernahme in dem Wissen, dass die Verbindlichkeit unendlich ist.
Zum Schluss möchte ich noch einmal betonen: Auch jedes Elternteil ist wichtig. Wir haben über das Mutterbild gesprochen. Ich glaube, dass es ein Trugschluss ist, dass alle anderen sich sofort total mütterlich fühlen und alles super gerne und intuitiv machen. Und dass man selbst die einzige Person auf der Welt ist, die komplett orientierungslos ist. Ich denke, dass es leichter sein kann, wenn man sich zugesteht Fehler machen zu dürfen. Und sich genauso zugesteht, dass man selbst zählt und sich jederzeit Hilfe holen darf. Und zwar schon dann, wenn man das erste Mal das Bedürfnis nach Unterstützung fühlt und nicht erst, wenn die Hütte brennt. Das darf man nämlich! Ende!“
Esther, von ganzem Herzen danke ich dir für deine Offenheit! Danke, dass deine einfühlsamen und verständnisvollen Worte ein Teil der Eltern Messages geworden sind und auf diesem Weg hoffentlich die Grundlage für Trost, Verbundenheit und spannende Einblicke in eine etwas andere Eltern-Erfahrung für viele Leser*innen bilden. Alles Liebe an dich und deine große Poly-Family <3