Herzlich willkommen zum zweiten Text der zweiten Staffel von authentischen Gesprächen über Schwangerschaft, Geburtserfahrungen und das Eltern werden – die „Eltern Messages“! Das nun bereits siebte Interview der gesamten Reihe durfte ich mit Simona führen, die zum Zeitpunkt unseres Gesprächs 26 Jahre alt ist und sechs Wochen zuvor ihre erste Tochter ohne Angst zur Welt gebracht hat. Wieso sie sich trotzdem nach der Geburt große Sorge um sie machen musste, erfährst du gleich. Doch bevor es los geht, hier noch zwei kurze Hinweise:
Trigger-Warnung: Erwähnung von Abtreibung und Beschreibungen von starken körperlichen Schmerzen sowie Aufenthalt auf der Kinderintensivstation. Die Textstellen sind farblich gekennzeichnet, sodass sie beim Lesen ganz einfach übersprungen werden können.
Zur Einleitung der Gesprächsreihe, geht’s übrigens hier entlang: Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen
Cleo: Liebe Simona, meine erste Frage an dich: Hast du Mutterschaft schon immer als Teil deines Lebensplans gesehen oder hat dich der Umstand überraschend ereilt?
Simona: „Ich habe Mutterschaft auf jeden Fall als einen Hauptpunkt meines Lebensplans betrachtet. Aber konkret hat mich meine Schwangerschaft doch überraschend ereilt.“
Du bist also ungeplant schwanger geworden? Wie war das für dich?
Simona: „Genau. Im ersten Moment hat die Erkenntnis mich überrumpelt. Ich habe sie weder negativ noch positiv aufgefasst, sondern war schlicht total überrascht. Ich habe mich allerdings kurz danach dann sehr gefreut. Denn als ich auf Verdacht einen Test gemacht habe, fiel der auch gleich positiv aus. Aber das erste, was mir durch den Kopf ging, war, dass ich mich eigentlich gar nicht freuen darf. Denn eine Schwangerschaft passte zu diesem Zeitpunkt nicht wirklich in meine Pläne.“
Was hast du dann als nächstes gemacht?
„Ich hab’s erstmal nur meinem Freund erzählt, den die Nachricht auch ziemlich überrumpelt hat. Er hat sich aber auch direkt mit mir gefreut. Ich bin dann gleich zum Frauenarzt gegangen, wo blöderweise aber sehr mechanisch mit mir verfahren wurde. Bei der Untersuchung konnte aber noch nichts festgestellt werden und ich wurde mit der Empfehlung, nach drei Wochen nochmal wiederzukommen, auch direkt wieder nach Hause geschickt. Dass man in so einem frühen Stadium der Schwangerschaft noch nichts erkennen kann, ist ganz normal. Nur wurde mir das von meinem Arzt nicht so vermittelt, was mich etwas verunsichert hat.“
Hast du deshalb die Möglichkeit in Betracht gezogen, dass du dich geirrt haben könntest?
„Ja, tatsächlich, obwohl ich sogar selbst einen medizinischen Hintergrund habe. In der Praxis habe ich direkt nochmal einen Schwangerschaftstest gemacht, den die Arzthelferin mit den Worten kommentierte, dass der nur so schwach positiv sei, dass er eigentlich negativ sein müsse. Diese Aussage ergibt aber gar keinen Sinn, weil ein Schwangerschaftstest nicht nur „so ein bisschen“ positiv sein kann. Er ist entweder positiv oder negativ.
Ich habe die Praxis jedenfalls trotzdem verunsichert verlassen und mir gefiel auch nicht, dass ich so gleichgültig behandelt worden bin. Ich wurde überhaupt nicht über das frühe Stadium einer Schwangerschaft aufgeklärt oder über die Möglichkeit, dass die Schwangerschaft vielleicht schon wieder abgegangen sein könnte.“
Du sagst, du bist medizinisch ausgebildet. In welche Richtung bist du da spezialisiert?
„Ich studiere Medizin und war auch schon häufiger in der Gynäkologie eingesetzt. Allerdings im Krankenhaus und da begegneten mir kaum frühe Schwangerschafts-Phasen, sondern eher Geburten und deren Komplikationen.“
Hast du denn trotzdem das Gefühl, dass du eigentlich gut informiert bist über Schwangerschaft und Geburt? Oder sogar besser als der Durchschnitt?
„Ich denke schon, ja. Vor allem über die Schwangerschaft generell und die Verhaltensempfehlungen, die damit einhergehen. Oder was es für Möglichkeiten gibt, wie eine Geburt ablaufen kann.“
Hat es dir denn vor deiner persönlichen Geburtserfahrung Angst gemacht, dass du so gut über Komplikationen unter und nach der Geburt Bescheid weißt? Oder konntest du von deinem Wissen profitieren?
„Ich habe immer gedacht, dass mir das eigentlich Angst machen müsste. Vor allem die Dinge, die ich live miterlebt habe, während ich bei Geburten anwesend war. Aber im Endeffekt hat es mich emotional nicht negativ beeinflusst. Auch wenn ich heftige Situationen mitbekommen habe, ist das nicht so richtig an mich herangekommen.
Ich hatte jedenfalls niemals Angst vor meiner eigenen Geburtserfahrung, obwohl ich schon häufig mitbekommen habe, wie buchstäblich überwältigend dieses Erlebnis meistens ist.“
Das ist super interessant. Mein Eindruck ist, dass das Angst-Argument am häufigsten vorgebracht wird, wenn es darum geht, dass junge Menschen nicht über Schwangerschaft, Geburt und das Eltern werden aufgeklärt werden sollen. Es heißt dann, letztlich würde dadurch vor allem jungen Frauen Angst vor einer Geburt gemacht und das hätte zur Folge, dass sie gar nicht mehr schwanger werden wollen würden. Wie siehst du das?
„Ich denke, wenn diese Aufklärung in zu jungem Alter passiert, dann könnte das durchaus überfordernd sein. Aber sobald sie in ein Alter kommen, in dem es auch sehr wahrscheinlich zu Schwangerschaften kommen kann, halte ich es für sinnvoll, die Sexualaufklärung nicht schon bei der Erklärung zu beenden, wie eine Schwangerschaft entsteht. In der Schule wird ja kaum bis gar nicht über den Verlauf einer Schwangerschaft oder über Geburt gesprochen. Ich denke allerdings, dass das sehr hilfreich wäre. Auch wenn das Abpassen des richtigen Zeitpunkts sicher schwierig ist.“
Ich finde es auch wichtig zu bedenken, ob diese Art der Aufklärung überhaupt in der Schule stattfinden sollte. Eventuell könnte es einen geeigneteren Raum mit speziell ausgebildeten Menschen, vielleicht Sexualpädagog*innen, geben. Sodass es möglich wäre, sich aktiv dafür zu entscheiden, dort hinzugehen und sich Informationen abzuholen.
„Dann bleibt noch die Frage offen, welches Level von „aktiv“ das sein sollte. Ob man sich tatsächlich aktiv danach erkundigen müsste oder ob wenigstens das Angebot zu dieser Information und Aufklärung in der Schule kommuniziert würde.“
Eine Möglichkeit wäre, dass eine Sexualpädagogin den Aufklärungsunterricht in der Schule übernimmt und dann ab einem gewissen Punkt auf das weiterführende Angebot außerhalb der Schulsituation hinweist. Das könnte sich für Interessierte zudem sicherer anfühlen. Obwohl die Kinder und Jugendlichen dann wahrscheinlich einem Umfeld entstammen müssen, das die Ressourcen hat, um ihnen die Teilnahme an außerschulischen Infoangeboten zu ermöglichen. So oder so ist diese Idee augenscheinlich nicht ganz optimal, um alle zu erreichen. Zertifizierte Social Media Kanäle könnten da eine niederschwelligere Option darstellen.
Schwangerschaftsabbruch – Auch unter Mediziner*innen tabuisiert?
Lass uns bitte noch einmal zurück springen zu dem Moment, in dem bemerkt hast, dass du höchstwahrscheinlich schwanger bist. Du sagtest selbst, es kam sehr überraschend und das Timing war absolut nicht so, wie du es dir ausgemalt hattest – Hast du darüber nachgedacht, ob ein Abbruch der Schwangerschaft eine Option für dich ist?
„Nachgedacht habe ich darüber auf jeden Fall. Allerdings nicht aus meiner Perspektive, sondern sozusagen in vorauseilender Rücksichtnahme auf mein Umfeld. Ich hatte das Gefühl, dass gerade mein engstes familiäres Umfeld zu diesem Zeitpunkt ganz andere Erwartungen an mich hatte. Nämlich, dass ich zunächst meine Ausbildung und meinen beruflichen Werdegang in den Vordergrund stelle und dahingehend alles erfolgreich abschließe, bevor ich eine Familie gründe.
Nur aus diesem Grund habe ich über einen möglichen Abbruch nachgedacht. Deswegen habe ich es meiner Mutter zum Beispiel auch sehr früh erzählt. Aber für sie stand eine Abtreibung überhaupt nicht zur Debatte. Daher war das Thema für mich dann auch vom Tisch. Ich hatte mir einfach nur Sorgen gemacht, was meine Familie dazu sagen würde, wenn ich jetzt schon ein Kind bekäme.“
Vielleicht ist die Frage aufgrund deiner speziellen Ausbildung total unnötig, aber hättest du im Fall einer Entscheidung pro Schwangerschaftsabbruch gewusst, wie du das in Deutschland machen kannst?
„Ich hätte es im Internet recherchieren müssen und nicht direkt gewusst, nein.“
Interessant. Das Problem bei der Internetrecherche ist, dass man – wenn man keine direkten Websites kennt – schnell auf sehr wertende und auch manipulative Seiten stoßen kann, die ihre Meinungen und Beeinflussung als Informationen tarnen.
Ist der Schwangerschaftsabbruch denn Teil deiner medizinischen Ausbildung gewesen? Und falls ja, war es nur „technisch“ oder auch aus psychiatrischer Perspektive?
„Rein technisch, würde ich sagen. Es wurde thematisiert, aber auch eher nur am Rande.“
Wenn schwanger sein zum Kotzen ist
Welche zwei Stichworte fallen dir ein, wenn du an deine Schwangerschaft zurückdenkst?
„Erstens die Übelkeit und zweitens, dass sie ansonsten unkompliziert war. Ich war super fit bis auf die heftige Übelkeit eben.“
War das die berühmte Morgenübelkeit der ersten drei Monate?
„Nein, das war eher die schlimmste Übelkeit meines Lebens (lacht)! Diese Morgenübelkeit ist eigentlich ein Märchen. Ich kenne keine Frau, der nur morgens ein bisschen übel gewesen wäre. Bisher berichteten mir alle in meinem Umfeld, dass es ihnen den ganzen Tag schlecht ging, selbst wenn sie eigentlich Appetit und Hunger hatten. Für mich waren es 16 Wochen ständige Übelkeit und häufiges Erbrechen und damit die körperlich anstrengendste Phase meines bisherigen Lebens.
Ich war zu der Zeit im Praktikum und die meisten Menschen in meinem Umfeld haben meine Beschwerden absolut nicht ernst genommen. Es hieß dann, schwanger zu sein sei doch schön und so ein bisschen schlecht wäre es ja allen mal gewesen. Mir ging es aber so schlecht wie noch nie.
Sowohl körperlich als auch psychisch. Denn irgendwann kannst du auch psychisch nicht mehr, wenn du den ganzen Tag das Gefühl hast, dich gleich wieder übergeben zu müssen.“
Und das war dann nach 16 Wochen schlagartig vorbei?
„Nein, aber es wurde stetig besser. Als es dann vorbei war, hatte ich auch keine anderen körperlichen Beschwerden mehr. Was natürlich auch mein psychisches Wohlbefinden positiv beeinflusst hat, sodass ich normal weiterleben und meine Schwangerschaft positiver wahrnehmen konnte.“
Gab’s noch andere unerwartete Aspekte am schwanger sein?
„Mich hat überrascht, wie fit und unangestrengt ich mich nach der Übelkeits-Phase gefühlt habe. Ich habe viel Sport machen können und mich körperlich überhaupt nicht eingeschränkt gefühlt. Ich dachte, ich würde eine Schwangerschaft als viel beschwerlicher wahrnehmen.“
Ein Aspekt, der viele Menschen interessiert, die noch keine Eltern sind, scheint mir die Frage nach Veränderungen in der Paarsexualität zu sein, wenn man ein Kind bekommt. Wie sah das bei euch aus?
„Es hat auf jeden Fall eine Veränderung stattgefunden. Ich hatte eher weniger Lust auf Sex. Meinem Partner ging es ähnlich. Er sagte, dass die Vorstellung von Sex in der Schwangerschaft sich für ihn komisch anfühlen würde. Er ist ein großer Familienmensch und wollte auch immer schon unbedingt Kinder haben. Er hat sich so sehr auf unser Baby gefreut und gedanklich so stark darauf fokussiert, dass ich sein Kind in mir trage, dass er meinen gesamten Intimbereich so ziemlich entsexualisiert hat.
Ihm war der Gedanke unangenehm, dass er wortwörtlich in die Sphäre unseres Kindes eindringen würde. Ich konnte ihn da auch gut verstehen. Wir hatten wenige Male Sex, der dann aber super vorsichtig ablief, obwohl man gar nicht so vorsichtig sein muss. Aber wir hatten die ganze Zeit dabei das Kind im Kopf und fanden es demnach beide nicht besonders sexy. Für mich trug Sex während der Schwangerschaft zur Nähe und Intimität bei, aber nicht wirklich zur Lustbefriedigung.“
Was ja auch vollkommen legitim ist. Die Frage ist sowieso, wie relevant Sexiness überhaupt im Kontext von Schwangerschaft und Mutterschaft/Elternschaft sein soll. Ich muss bei dem Thema immer an den Social Media Trend „get your body back“ nach Schwangerschaft und Geburt denken. Dabei geht es auch darum, wieder den Status und die Eigenwahrnehmung als „sexy“ zu erreichen. In diesem Fall über den Versuch den eigenen Körper so aussehen zu lassen, als hätte er nie geboren.
Wie siehst du das? Stehen sich Sexiness und Mutterschaft in deinen Augen diametral gegenüber oder findet da eine Umwandlung statt?
„Ich denke, Sexiness und die Mutterrolle sind keine Gegensätze, sondern können interagieren. Eben dann, wenn du dich dafür entscheidest. Ich finde es wichtig, dass man trotz der neuen Mutterrolle das eigene Selbst nicht verliert. Und das Selbst ist das, was die eigene Attraktivität und Sexiness ausmacht. Ich will sagen, vergiss dich nicht und gib dich nicht komplett für dein Kind auf.
Dass meine eigene Gefühlswelt aktuell so viel weiter weg von sexy ist als vor der Geburt, liegt meiner Meinung nach daran, dass ich zu schlecht darüber aufgeklärt war, wie es vielen Frauen nach der Geburt geht. Mein Wissen bezog sich größtenteils auf die Schwangerschaft, aber in keiner Weise darauf, wie zerstört und fertig man nach einer Geburt sein kann.
Und auch wie lange es tatsächlich dauert, bis man sich wieder besser fühlt. Nicht nur bis man nach außen hin wieder so aussieht, als sei man auf dem Damm, sondern auch wirklich diesen Eindruck von sich selbst hat. Alle sagen mir immer, ich sähe super aus so kurz nach der Geburt. Aber wie es mir innerlich geht, sieht niemand. Sich wieder fit und den Dingen gewachsen zu fühlen, das ist ein langer Prozess, den ich auch in großen Teilen noch vor mir habe.“
Hast du vaginal geboren?
„Ja, habe ich.“
Über welche Aspekte wärst du denn gerne vorher besser informiert gewesen?
„Wie sehr man sich doch tatsächlich erst einmal schonen muss nach einer Geburt. Genauso wie wichtig der Wiederaufbau der Muskulatur und die Rückbildung sind. Ich mache das Beckenbodentraining jetzt nicht mehr dafür, dass ich nackt gut aussehe, sondern damit ich wieder längere Spaziergänge machen und ansonsten auch wieder normal meinen Alltag bewältigen kann.
Ich habe auch selbst schon die Folgen gesehen, die es haben kann, wenn man diesem Training keine hohe Priorität einräumt.
Bei Frauen um die 50 oder 60, die mehrere Geburten durchlebt haben, treten in diesem Alter dann Senkungen und andere Beschwerden auf. Das hätte wahrscheinlich durch Schonen und „Aftercare“ nach den Geburten verhindert oder zumindest abgemildert werden können. Es sollte mehr darüber aufgeklärt werden, wie wichtig also die Zeit der Regeneration nach einer Geburt ist.“
Was sind Senkungen? Und was genau verändert sich am Beckenboden überhaupt durch eine vaginale Geburt?
„Der Beckenboden besteht aus sehr vielen Muskeln und die werden schon während der Schwangerschaft, aber vor allem unter der Geburt maximal belastet und gedehnt. Letztlich ist dann alles sehr geweitet. Dadurch ist der Beckenboden viel schwächer als vorher und in seiner Funktionsweise als Stütze aller inneren Organe sehr beeinträchtigt. Wenn man läuft und sitzt lastet das gesamte Gewicht des Oberkörpers auf diesen wenigen Muskeln.
Diese Muskulatur muss aktiv wieder trainiert werden. Aber dabei darf man sich auf keinen Fall übernehmen und alles noch mehr strapazieren. Zuerst sollte man sich am besten darauf konzentrieren, den Status Quo kontrolliert wieder herzustellen und dann kann man sich auch wieder mehr belasten.“
Ich habe jetzt schon häufiger davon gehört, dass Blasenschwäche eine Folge vaginaler Geburten sein kann. Hat das dann auch etwas mit dem geschwächten Beckenboden zu tun?
„Ja, hat es. Blasenschwäche genauso wie Senkungen. So bezeichnet man den Fall, wenn der Uterus sich absenkt. Man kann sich vorstellen, dass der Uterus durch starkes Pressen und großen Druck unter der Geburt nach unten gedrückt wird. Wenn man im Nachhinein nicht versucht, den Beckenboden als Unterstützung zu festigen, dann kann dieses Herabsenken weiter fortschreiten.
Blasenschwäche ist eine weitere mögliche Folge und sogar Stuhlinkontinenz kann vorkommen. Das Verzwickte ist, dass die krassen Beschwerden oft erst später im Leben auftreten und nicht schon sofort nach der Geburt, wenn man noch dagegenwirken kann. Die Blasenschwäche wird oft als unmittelbare Folge berichtet, ist dann aber häufig vorrübergehend. Aber diese Langzeitfolgen kommen eben meistens erst so ab einem Alter von 50 Jahren und hätten häufig durch Beckenbodentraining vermieden werden können.“
Geburtsschmerz gemeinsam ertragen
Magst du etwas darüber erzählen, wie deine Geburtserfahrung war?
„Ich habe mich auf die Geburt gefreut. Ich dachte mir, es muss ja toll sein, mitzuerleben wenn das Leben entsteht. Daher hatte ich keine Angst vor der Geburt, sondern habe den Zeitpunkt eher sehnsüchtig erwartet. Ich wollte den Moment, in dem unser Kind zur Welt kommt gerne bewusst und gemeinsam mit meinem Partner erleben. Die Vorstellung, die ich davon hatte, war einfach eine schöne Idee.
Die Geburt hat insgesamt neun Stunden gedauert. Ich fand es natürlich extrem schmerzhaft, aber ich hatte das Glück, dass es immer gut voran ging. Es hat mir sehr dabei geholfen, auf ein spürbar näherkommendes Ziel hinarbeiten zu können. Deshalb konnte ich letztlich auch die überwältigenden Schmerzen hinnehmen. Auch wenn sie teilweise so intensiv waren, dass ich nicht mehr dazu in der Lage war, meine Atmung so einzusetzen, wie ich das in der Geburtsvorbereitung gelernt hatte (lacht).
Ich musste erstmal wieder überhaupt Luft holen können. Ich hätte mich gerne erbrochen, aber ich hatte schlicht keine Kraft mehr dazu übrig (lacht). Ich hätte auch keine Kraft gehabt, eine PDA zu bekommen, denn dafür hätte ich in der Lage sein müssen zu sitzen. Alles, was ich noch tun konnte, war, den Schmerz auf der Seite liegend auszuhalten. Schluchzen, Atmen, Existieren. Das war wirklich hart. Über die Intensität dieses Schmerzes war ich mir vor der Geburt auch nicht bewusst.“
Hast du in dieser Situation von einer Person besondere Unterstützung erfahren? Hat dir etwas besonders gut geholfen?
„Mein Partner hat mich allein durch seine reine Anwesenheit schon sehr unterstützt. Ich konnte ihm den Arm zerquetschen, wenn es gerade schlimm war. Und wenn ich auf die Toilette musste, aber gerade eine Wehe kam, dann hat er mich gestützt, sodass ich meinen Körper nicht aus eigener Kraft halten musste. Das hat mir schon sehr geholfen, weshalb er für mich die Unterstützung während der Geburt war. Ich denke, ich hätte es ohne ihn nicht auf diese Weise geschafft.“
Hast du denn auch gegenteilige Erfahrungen gemacht? Ich meine damit, ist dir übergriffiges Verhalten begegnet?
„Nein, glücklicherweise nicht. Ich hatte eine gute Hebamme, die sich sehr aktiv um mich gekümmert hat und nichts getan hat, ohne mein Einverständnis einzuholen. Dadurch ist nichts passiert, dem ich selbst nicht zugestimmt hätte. Ich weiß nicht, wie es ist, wenn man unter der Geburt in eine Notsituation kommt. In meinem Fall war kein Eingreifen nötig.
Aber im Notfall kann es sein, dass alles sehr schnell gehen muss und unliebsame Entscheidungen unter Zeitdruck getroffen werden müssen. Es kann beispielsweise passieren, dass aus der Not heraus einfach ein Dammschnitt gemacht wird, ohne um Erlaubnis zu fragen. Ich kann mir vorstellen, dass die Sicherheit der Selbstbestimmung dadurch zerstört wird.“
Von Angst, Sorgen und Sorge-Arbeit
Wie war denn die erste Zeit mit Säugling für dich?
„Wir hatten das Pech, dass es unserer Tochter nicht gut ging und sie kurz nach der Geburt auf die Kinderintensivstation verlegt werden musste. Sie hatte Probleme mit der Atmung. Das war für mich emotional, aber auch körperlich extrem schwierig. Körperlich, weil ich nach der Geburt sehr mitgenommen war und diese zusätzliche nervliche Anstrengung mich stark belastete. Ich verbrachte den ganzen Tag bei ihr auf der Intensivstation, wo es zu meinem Glück auch eine Liege gab, auf der ich mich zwischendurch kurz ausruhen konnte. Trotzdem konnte ich nicht mit auf die Station aufgenommen werden.
Das hat die ersten Tage als junge Familie sehr schwierig für uns gestaltet. Nach einigen Tagen wurde sie dann auf die Säuglingsstation verlegt, wo ich auch mitaufgenommen werden konnte. Allerdings hätte ich mir dort etwas mehr Unterstützung gewünscht. In der ganzen Situation, in der es ihr und deshalb auch mir so schlecht ging, ging völlig unter, dass für mich alles neu und von Unsicherheit geprägt war. Das Krankenhauspersonal hat keine Rücksicht darauf genommen, dass ich überhaupt nicht wusste, was ich mache, als ich die Anweisung bekam, sie zu wickeln oder sie schnell mal an die Brust zu legen.
Ich weiß nicht, wie das bei anderen Müttern und ihren Kindern abläuft, die nicht direkt nach der Geburt getrennt werden. Vielleicht spielt sich da schneller eine gewisse Routine ein oder sie bekommen von den Hebammen und dem Pflegepersonal gezeigt, wie man mit einem Säugling umgeht. Das war bei uns einfach nicht der Fall. Niemand hat sich dafür verantwortlich gefühlt, mich als frisch gebackene Mutter an die Hand zu nehmen. Auf der Säuglingsstation ging es natürlich in erster Linie um die Kinder, da wurden die Mütter nur als Souvenir aufgenommen, um sich zu kümmern.“
Das bedeutet, du warst plötzlich Mutter und niemand hat dir erklärt, was du wie genau machen musst? Hast du denn anfangs Probleme beim Wickeln oder Stillen gehabt?
„Ja. Mit dem Stillen war ich ziemlich überfordert. Da habe ich mich dann allerdings selbstständig durchgekämpft. Was das Versorgen des Kindes angeht, da konnte ich auf seltene Erfahrungen zurückgreifen, die ich mit Kindern von Bekannten gemacht hatte. Das ging dann alles irgendwie, aber ich bin schon ziemlich ins kalte Wasser geworfen worden.
Was dabei aber auch eine Rolle spielt, ist die Unterbesetzung des Personals in den Kliniken. Selbst wenn bei der Geburt deines Kindes alles reibungslos verläuft, kann es bei anderen zu Notfällen kommen und dann müssen eben an der Stelle alle helfen. Dann ist für dich und deine Fragen und Unsicherheiten einfach keine Zeit.“
Du hast eben gesagt, beim Stillen hättest du dich durchgekämpft. Was ist denn schwierig daran? Funktioniert das nicht von selbst?
„Also am schwierigsten ist, dass das Kind auch wirklich andockt und saugt. Die Kinder wissen ja noch nicht wie das geht und meine Tochter hatte wegen der Stationierung nach ihrer Geburt auch zuerst eine Flasche bekommen. Das ist meistens als Start etwas kontraproduktiv, wenn man danach Stillen möchte. Die Brust ist ja nochmal etwas anders beschaffen als so eine Flasche. Die Herausforderung ist dann, dass das Kind lernt, wirklich ein Vakuum aufzubauen, zu saugen und zu trinken, anstatt nur zu nuckeln. Bevor es das richtig macht, wird erst immer wieder abgesetzt und weggeguckt und geschmatzt (lacht).“
Na hör mal, niemand will gehetzt werden beim Essen (gemeinsames Lachen). Aber wie bringt man das einem Kind bei? Ich meine, du kannst es ihm ja nicht erklären.
„Eine Krankenschwerster hat mir glücklicherweise einen guten Tipp gegeben. Ich hatte sowieso schon eine Abpump-Routine entwickelt, damit ich den Milchfluss stabil halten konnte, während meine Tochter auf der Intensivstation lag. Ich habe von der abgepumpten Milch dann immer ein bisschen auf eine Spritze aufgezogen und wenn sie an der Brust gesaugt hat, was instinktiv passiert, dann habe ich ein paar Tropfen in ihren Mund gespritzt. Einfach damit sie merkt, da kommt Milch, wenn sie saugt. Das war erfolgreich, auch wenn es manchmal bis zu einer halben Stunde gedauert hat, bis sie richtig getrunken hat. Nach ein paar Tagen hat es durch diesen kleinen Trick relativ reibungslos funktioniert.“
Hast du schon einen Plan, wie lange du sie Stillen wirst? Oder lässt du das erstmal auf dich zukommen?
„Ich werde im nächsten Jahr wieder anfangen zu arbeiten und bis dahin möchte ich sie auf jeden Fall stillen. Also insgesamt wahrscheinlich ein halbes Jahr.“
In Bezug aufs Stillen scheint es ja so zu sein: Frag zwei Leute und du bekommst fünf Meinungen. Darüber wie lange am besten gestillt werden sollte und was daran besser ist, als mit der Flasche zu füttern. Ist dir auch diese Erwartung begegnet, dass du besser länger stillen solltest, anstatt wieder arbeiten zu gehen?
„Nein, eher im Gegenteil. Ich wurde gefragt, wann ich endlich weiter mache mit meiner Ausbildung. Die Erwartungen an mich sind auch hoch, aber eben in Bezug darauf, dass ich so schnell wie möglich beides schaukeln soll – Kind und Karriere. In meinem Umfeld wollen sehr viele Leute ihre Meinung dazu abgeben, wie meine Lebensplanung am besten aussehen sollte. Das finde ich sehr anstrengend.
Schon als ich meine Schwangerschaft verkündete, wurde ich darüber ausgefragt, wie ich das im Anschluss mit meinem Studium vereinbaren können werde. Das hat mich am meisten gestört. Nach einem halben Jahr in Elternzeit wieder ins Krankenhaus zurückzugehen, um meine Ausbildung zu beenden, hat für mich genauso große Priorität, wie für meine Tochter zu sorgen. Aber mir wurde das Gefühl vermittelt, dass man mich erst daran erinnern muss, was wirklich wichtig sein soll in meinem Leben.“
Interessant, das ist genau die gespiegelte Erfahrung von vielen jungen Müttern, deren Entscheidung wieder arbeiten zu gehen, direkt kritisch beäugt und angezweifelt wird. Weil wer, wenn nicht die Mutter könnte sich bloß ums Kind kümmern? Wie man’s macht, macht man’s falsch.
„Genau! Mir wird immer entrüstet gesagt, ich könne doch nicht damit leben, dass mein Partner der Alleinverdiener ist. Ich möchte auch auf jeden Fall arbeiten gehen, aber am liebsten in Teilzeit. Denn ich möchte mich gerne um meine Familie kümmern. Das stößt allerdings nicht wirklich auf Begeisterung. Ich habe das Gefühl, mir wird unterstellt, dass ich dann gar nicht wirklich arbeiten gehen will. Als würde ich meinem Partner nur auf der Tasche liegen wollen.“
In meinen Augen ist das sehr falsch verstandener Feminismus. Kein Elternteil sollte für verantwortungsvolle Entscheidungen dieser Art verurteilt werden. In Deutschland scheint es allerdings eine Art Volkssport zu sein, generell alle Entscheidungen, die von Müttern getroffen werden, erst einmal hart in Frage zu stellen. Und dabei scheint es vollkommen egal zu sein, in welche Richtung ihre Entscheidungen gehen. Die Doppelstandards sind riesig. Für mich zählt das auch zu übergriffigem Verhalten.
Mutter – Tochter – Mutter
Hat sich dein Verhältnis zu deiner Mama dadurch verändert, dass du selbst Mutter geworden bist?
„Ich bin verständnisvoller geworden. Ich würde sagen, ich bin nicht mehr so zickig zu meiner Mutter. Nicht mehr so unterschwellig geladen und ungeduldig, wie man manchmal gegenüber seinen Eltern ist. Das hat sich schon in der Schwangerschaft verändert. Wir verstehen uns auch in unserer Kommunikation besser. Obwohl wir uns noch über das Thema Ratschläge streiten.
Ich nehme schon Ratschläge von ihr an, aber es ist schwierig zurück zu spiegeln, wenn ich etwas nicht für sinnvoll halte. Oder sogar etwas mehr Expertise habe durch meine medizinische Ausbildung. Die mir übrigens auch sehr dabei hilft, zwischen vertrauenswürdigen und kruden Quellen im Netz zu unterscheiden, wenn ich manche meiner Fragen dort recherchiere. Deshalb ist es zwischenzeitlich ein wenig schwierig, wenn sie sich beschwert, dass ich ihre Ratschläge nicht annehme und ich zu kommunizieren versuche, dass ich nur die unsinnigen nicht annehme (lacht). Aber insgesamt ist mein Verhältnis zu meiner Mutter deutlich erwachsener geworden.“
Was ist deine Message an Menschen, die überlegen Eltern zu werden?
„Ich denke, man sollte wissen, dass man in die Elternrolle reinwächst.
Es ist nicht alles von Beginn an einfach und schön. Es gibt schöne Momente, aber die Schwierigkeiten können am Anfang überwiegen. Davon sollte sich aber keine*r entmutigen lassen. Man wächst da rein und die Liebe für das Kind wächst jeden Tag mit.
Am Anfang fühlte ich noch gar nicht diese bedingungslose Liebe. Man muss sich erst einmal kennenlernen. Auch wenn da direkt eine Verbundenheit war, so eine richtige Liebe war das noch nicht. Die Verbindung zu meiner Tochter fühlte sich eher an, wie die Verbindung zu einem Körperteil von mir. Die Persönlichkeit dieses neuen Menschen und die Bedürfnisse, die sie hat, das war noch alles fremd für mich. Aber je länger man Zeit miteinander verbringt, desto tiefer greift diese Verbundenheit und wird mehr und mehr zu Liebe. Also nicht den Mut verlieren, das findet sich alles.“
Gilt das denn auch explizit so für die Väter?
„Ja, das denke ich schon. Mein Freund hatte zwar weniger Schwierigkeiten als ich, sich in seine Rolle einzufühlen. Aber ich denke schon, dass das allgemein auch die Väter Zeit und Gewöhnung braucht.“
Meine letzte Frage an dich, Simona: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Dass man sich um eine andere Person mehr sorgt, als um sich selbst. Dass man einen anderen Menschen auf einmal mehr liebt als sich selbst. Und dass man bereit ist sich in einem großen Maß selbst aufzugeben, ohne das als Verlust zu empfinden. Sondern es sogar als selbstverständlich zu verstehen und sich damit gut zu fühlen. Außerdem dass man die Bedürfnisse dieses neuen Menschen über die eigenen stellt. Punktuell habe ich das mit Partnern schon erlebt, aber noch nie so vollständig und bedingungslos wie mit meinem Kind.“
Genau das ist es aber doch auch, was den negativen Aspekt des „sich Selbst verlieren“ nach sich ziehen kann oder?
„Ja, es ist eine Gratwanderung. Man sollte versuchen das eigene Ich noch zu bewahren. Davon profitiert der Nachwuchs genauso wie die Eltern selbst.“
Findest du nicht auch, dass das super abstrakt klingt? Wenn du sagst, du versuchst dein Selbst nicht zu verlieren, wie schaffst du das?
„Indem ich Hobbies, die mir wichtig sind und mir immer schon viel gegeben haben, weiterverfolgen werde. Ich möchte einmal die Woche zum Tanzen gehen. Ich möchte darauf achten, mir weiterhin Zeit zu gönnen, in der ich mich pflege und mich auch mal wieder schön mache. Einfach nur, damit ich mich gut fühle.
Ich möchte außerdem meine Freundschaften nicht vergessen und mal für ein, zwei Stündchen etwas allein mit Freund*innen unternehmen, nicht immer nur mit Kind. Da ich einen engagierten Partner habe, möchte ich die Möglichkeit nutzen, dass er sich auch mal eine Weile lang allein um unsere Tochter kümmert. Ansonsten werde ich auch die Hilfe meiner Mutter annehmen, sodass ich mir Zeit für mich oder für meine Partnerschaft nehmen kann, auch wenn es nur kurz sein sollte. Ich denke, das ist erstmal eine gute Strategie.“
Kannst du dir vorstellen, dass du deswegen auch Mal ein schlechtes Gewissen bekommen wirst?
„Ja, ich denke schon. Wenn ich das Kind aber in guten Händen weiß, dann brauche ich ja kein schlechtes Gewissen zu haben. Da werde ich dann einmal durchmüssen und dann wird es sicherlich auch bald nicht mehr so schlimm sein. Ich denke, ich kann meinem Partner vertrauen, dass er sich genauso gut um unser Kind kümmern kann wie ich. Und ich darf auch darauf vertrauen, dass mein Kind es schafft, mal eine Stunde oder zwei ohne die Mama zu sein.“
Liebe Simona, ich danke dir herzlich für das Teilen deiner Erfahrungen und Gedanken! Ich drücke dir und deiner Familie fest die Daumen, dass alles so reibungslos läuft, wie ihr euch das erhofft. Und natürlich auch viel Erfolg beim Abschluss deiner Ausbildung! Ich bin überzeugt davon, dass du den besten Weg für dich findest.