Hört, hört! Die „Mama Messages“ gehen in die vierte Runde! Worum es da geht? Um Gespräche und authentische Berichte rund um Schwangerschaft, Geburtserfahrung und Mutterschaft. Dieser Text ist ein Interview mit Giselle, 35, die zum Zeitpunkt unseres Gesprächs eine 7,5 Monate alte Tochter hat.
Zur Einleitung der Gesprächsreihe, geht’s übrigens hier entlang: Wieso wir mehr und früheren Austausch über Mutterschaft brauchen
Cleo: Giselle, hast du Mutterschaft immer schon als Teil deiner Lebensplanung betrachtet oder nicht?
Giselle: „Ja, ich habe schon immer gesagt, dass ich mal ein Kind haben will, aber ich habe es dann doch lange aufgeschoben. Ich dachte immer, jetzt eher noch nicht. Mutter zu werden war für mich fern und unkonkret. Ich habe auch nie gesagt, ich bräuchte zehn Kinder und eine Großfamilie. Aber ich habe mir schon immer vorgestellt, später mal zumindest ein Kind zu haben.“
Und als du dann die Schwangerschaft mit deiner Tochter zum ersten Mal bemerkt hast, wie war das für dich?
Giselle: „Ich habe mich total gefreut, weil mein Mann und ich schon länger versucht hatten schwanger zu werden. Von daher war’s sehr schön, als es dann endlich geklappt hat.“
Das heißt, du wusstest auch direkt, was jetzt deine nächsten Schritte sind?
„Nein, nicht wirklich. Ich habe gedacht, okay, ich mache erst einmal noch einen Test. Wer weiß, ob der erste nicht falsch war (lacht). Dann habe ich relativ bald meine Ärztin angerufen. Und was ich nicht wusste, war, dass man in der Großstadt, in der ich wohne, eigentlich sofort die Hebamme anrufen muss. Das hätte ich fast verpasst und beinahe keine Hebamme mehr bekommen, weil mir überall gesagt wurde: „Was?! Siebte Woche? Nein, wir sind voll.“ Das war schon sehr krass und etwas, das ich auf jeden Fall vorher hätte wissen und machen müssen.
Aber ansonsten habe ich das erstmal auf mich wirken lassen. Am Anfang der Schwangerschaft steht ja die Schwangerschaft selbst noch mehr im Fokus und weniger das Kind, das dabei entsteht. Ich ging eben zum Arzt, besorgte mir Klamotten und überlegt mir, wie ich das am besten mit der Arbeit regeln kann. Da gab‘s bei mir auf der Arbeit glücklicherweise schon einen Leitfaden.“
Das bedeutet, alle Infos, die du beim ersten Arztbesuch gekriegt hast, wie Hinweise zur Ernährung in der Schwangerschaft, Nahrungsergänzung durch Folsäure etc… Das war dir alles schon bekannt? Hattest du das vorher recherchiert oder kam das dann in diesem Moment erst alles auf dich zu?
„Dass man Folsäure nehmen soll, wusste ich schon. Allerdings weiß ich nicht mehr, wo dieses Wissen herkam. Wahrscheinlich von meiner Frauenärztin im Zuge der Kinderwunschberatung. Und über Einschränkungen in der Ernährung hatte ich schon viel von anderen Schwangeren aus dem Bekanntenkreis gehört, wobei das natürlich auch stark divergiert. Meine Ärztin hat mir krasse Vorgaben gemacht, die ich im Nachhinein ziemlich schwierig fand. Ich habe das dann im Laufe der Schwangerschaft ein bisschen lockerer gesehen.
Lebensmittel wie frischer Salat sind mir von ihr strikt verboten worden und ich hatte in der ersten Zeit das Gefühl, dass ich eigentlich gar nichts essen darf, was ich mag. Aus Gesprächen mit anderen Schwangeren und Müttern und aus meiner eigenen Einschätzung heraus, hat sich dann ergeben, dass ich etwas weniger strengere Entscheidungen zu meiner Ernährung getroffen habe.“
Wenn du deine Schwangerschaft insgesamt in zwei oder drei Worten beschreiben müsstest, welche fallen dir dazu ein?
„Das ist natürlich schwierig (lacht). Schön, aber teilweise auch schmerzhaft. Die erste Hälfte der Schwangerschaft war total gut, da hatte ich überhaupt keine körperlichen Probleme. Ich habe mich nicht einmal übergeben müssen. Dafür litt ich an Appetitlosigkeit, was tatsächlich unangenehmer ist, als es zunächst klingt.
Und ab der zweiten Schwangerschaftshälfte hatte ich dann immer wieder starke Schmerzen, für die es keine richtige Erklärung gab. Das war dann natürlich unschön. Es ging so weit, dass ich eines Abends spontan in die Frauenklinik musste. Es war auf der einen Seite schön, endlich schwanger zu sein und ich habe auch große Freude daran gehabt, Kleidung zu kaufen und meinen schwangeren Bauch zu zeigen, den ich auf keinen Fall „kaschieren“ wollte. Doch dadurch, dass es körperlich irgendwann so schmerzhaft wurde, war’s gegen Ende sehr beschwerlich und ich war tatsächlich froh, als die Zeit vorbei war.“
Schwangerschaft – Schwerstarbeit oder Spaziergang?
Gab es denn etwas, das für dich total unerwartet war am schwanger sein?
„Die körperliche Anstrengung. Weißt du, wenn man Fernsehen guckt, dann gibt es häufig diese Dialoge, in denen ein Mann sagt: „Du darfst doch nicht so schwer tragen“ und dann antwortet die werdende Mutter immer: „Ich bin schwanger und nicht krank.“ Oder auch bei Grey’s Anatomy, wo hochschwanger noch am offenen Hirn operiert wird und sie dabei noch Wehen bekommt. Dadurch dachte ich auch immer, klar, man ist eben schwanger und nicht krank.
Aber als ich dann selbst schwanger war, habe ich beim Sport und auf der Arbeit gemerkt, wie krass körperlich anstrengend dieser Zustand ist. Auch an Tagen, an denen ich keine Schmerzen oder sonstige Beschwerden hatte. Man fühlt sich super schnell ausgepowert und fertig, das hatte ich echt nicht erwartet. Dass es wirklich so ein Marathon für den Körper ist und man eben nicht einfach mal so nebenbei ein Baby wachsen lässt, bis es irgendwann rauskommt.“
Hast du dafür in deinem Umfeld und auf der Arbeit Verständnis erfahren?
„Ja, das schon. Ich bin im öffentlichen Dienst und da ist es total üblich, dass Kolleginnen schwanger werden, weil dieses Arbeitsumfeld grundsätzlich sehr attraktiv für die Familiengründung ist. Das ist ja kein großes Wirtschaftsunternehmen, in dem Menschen dann strukturell benachteiligt werden, wenn es ums Kinder kriegen geht.
Deshalb war es auch kein Problem, meine Arbeitszeit recht schnell herunterzustufen. Meine Frauenärztin hat mir ein teilweises Beschäftigungsverbot ausgestellt, sodass ich dann in Teilzeit anstatt Vollzeit gearbeitet habe. Ich musste zwar sehen, wie ich dann alles geschafft bekam, was viel Selbstorganisation erforderte, aber niemand hat mir Hürden in den Weg gestellt.“
Aber ich höre raus, du hättest umgekehrt jetzt im Nachhinein mehr Verständnis für schwangere Personen, die sagen, dass sie kürzertreten müssen?
„Ja, voll! Wenn man das einmal selbst durchlebt hat, dann wird das sehr klar (lacht).“
Oder wenn man es überhaupt einmal öfter hört. Ich stimme dir zu, dass dieser Spruch „Ich bin schwanger und nicht krank“ medial total präsent ist. So wird der Eindruck einer Übervorsichtigkeit gegenüber Schwangeren vermittelt und eine Situation dargestellt, in der Unterforderung eine Rolle spielt. Dass es sich dabei um eine körperliche Arbeit handelt, die Tag und Nacht stattfindet, wird dadurch völlig in den Hintergrund gerückt.
„Ich habe das mit einer Freundin besprochen, die schon zwei Kinder hat. Und sie meinte, schwanger sein wäre für sie noch viel krasser als krank sein. Du baust gerade einen kompletten, neuen Menschen. Das hat mir das Ganze auch nochmal deutlicher vor Augen geführt.“
Das bedeutet, der Satz müsste eigentlich anders interpretiert werden. „Ich bin schwanger und nicht krank“ übersetzt sich eigentlich in ein „Ich bin um einiges mehr belastet, als wenn ich nur krank wäre“.
„Eigentlich schon, ja (lacht).“
Aber bitte mit Rücksicht
Eine der beliebtesten Fragen von vielleicht-mal-Eltern ist ja, wie es mit dem Sex in der Schwangerschaft und nach der Geburt aussieht. Wie hast du deine Sexualität erlebt? Mehr, weniger, gleich viel, spielte gar keine Rolle?
„Mein Erleben kann durch das Wort „phasenweise“ sehr gut beschrieben werden. Aber ich denke, solche Schwankungen sind ganz normal. Gerade zu Beginn der Schwangerschaft, als ich noch nicht so eine riesige Kugel vor mir hergetragen habe, hatte ich schon mehr Lust auf Sex. Aber gegen Ende habe ich mich einfach nur noch dick gefühlt und man ist dann auch einfach nicht mehr wirklich beweglich. Gar nicht mal im Sinne von „ich fühle mich so hässlich und ich will nicht, dass mich jemand sieht“, sondern es ist einfach alles so beschwerlich gewesen und das hat mir so gar keine Lust gemacht.
Nach der Geburt war es so, dass das Kind einfach stark im Vordergrund stand. Wir haben ein Schreibaby bekommen und daher ist überhaupt nicht daran zu denken gewesen, dass wir uns Zeit für Intimität nehmen. Wir haben tatsächlich einfach nur ans Überleben gedacht und versucht die Dinge abzuarbeiten, die getan werden mussten. Sex ist dann schlicht ein Luxus, den man sich gar nicht gönnt. Außerdem ist das Kind ja auch immer da und liegt auf deinem Bauch und du kannst keinen Sex haben, wenn das Kind auf deinem Bauch liegt. Also ist das abseits von der fehlenden Ruhe auch praktisch gar nicht möglich gewesen.“
Von welcher Seite hättest du dir denn – vor allem in der beschwerlichen letzten Phase der Schwangerschaft – mehr Verständnis oder Unterstützung gewünscht?
„Also die Zeit der Schwangerschaft ist dahingehend nichts, was ich schlecht in Erinnerung habe. Bei der Arbeit waren die Leute verständnisvoll und in der Familie auch. Die schwierige Zeit fing dann erst an, als unsere Tochter auf der Welt war. Ich bin während der Schwangerschaft zumindest nie auf Unverständnis gestoßen, wenn ich mich aus Sachen herausgenommen habe. Das war sehr gut.
Ansonsten hat mich negativ überrascht, wie wenig Rücksicht im Allgemeinen in der Öffentlichkeit auf mich genommen wurde. Ich habe es kein einziges Mal erlebt, dass mir jemand einen Sitzplatz in der S-Bahn angeboten hätte. Und das ist auch jetzt mit dem Kind noch so. Wenn ich mit ihr in der Trage in der Bahn fahre, dann kommt niemand auf die Idee, mir etwas mehr Raum zu lassen. Das hat mich nachhaltig erschreckt, zumal es in anderen Ländern anders abläuft.
Ich bin oft in Frankreich und da wurde gerade in Coronazeiten überall darauf aufmerksam gemacht, dass besonders Rücksicht genommen werden soll. Wie zum Beispiel ein vorrangiges Einkaufen für Schwangere, Alte und behinderte Menschen. Da bekam ich den Eindruck, dass dort allgemein-gesellschaftlich die Schwangerschaft als beschwerlich wahrgenommen wird. Aber an meinem Wohnort in Deutschland, wo die Leute grundsätzlich eher höflich und freundlich sind, war ich doch erstaunt, dass da niemand von meinen Umständen Notiz nahm.“
Klingt für mich so, als könnte das mit dem propagierten Bild des „schwanger und nicht krank“ zusammenhängen. Sodass die Leute gar nicht annehmen, mehr Rücksicht nehmen zu müssen. Eben genau, weil gar nicht so stark im Bewusstsein ist, dass es tatsächlich sehr beschwerlich und anstrengend sein kann.
Von Einsamkeit und Erschöpfung
Magst du mir von deiner Geburt erzählen? Gefühle, Wahrnehmungen, Erwartungen, alles zählt.
„Die Geburt war nicht schön, das muss ich ehrlich sagen. Es war tatsächlich sogar ganz, ganz schlimm für mich. Insgesamt hat alles 40 Stunden gedauert und erst ganz am Ende wurde entschieden, dass es einen Kaiserschnitt geben wird. Also bis zu diesem Moment hatte ich die ganze Zeit Wehen. Dabei habe ich nichts ausgelassen, ich habe jedes Schmerzmittel mitgenommen und alles, was man so macht.
Am Ende kam es dann zu einem Geburtsstillstand. Das ist der Zustand, wenn das Kind sich nicht mehr dreht. Also nicht die Wendungen vollzieht, die es braucht, damit es sich durch den Geburtskanal herauswinden kann. Das war bei uns einfach nicht der Fall, weshalb meine Tochter herausgeholt werden musste.
Dazu kam noch, dass ich mitten im tiefsten Corona-Winter im Krankenhaus war, sodass ich von den 40 Stunden, die die Geburt gedauert hat, ca. 30 Stunden alleine sein musste. Ich muss sagen, dass die Hebammen, die vor Ort waren, sich sehr gut um mich gekümmert haben. Ich kann nicht behaupten, dass mich irgendwer dort mutwillig allein gelassen hätte. Aber es gab Situationen, die in einem Krankenhaus wahrscheinlich nicht vermeidbar sind. Zum Beispiel musste bei einer anderen Person ein Notkaiserschnitt durchgeführt werden und dann mussten eben dort „all hands on deck“ sein.
Aber da mein Mann die meiste Zeit nicht dazu kommen durfte, saß ich dann dort alleine mit meinen Schmerzen und es war einfach niemand für mich da. Gerade in so einem Moment hatte das Schmerzmittel nachgelassen und ich habe meinen Mann angerufen und am Telefon geweint. Das war schon echt schlimm.
Ich erinnere mich, dass es in der Nacht mit den ersten Wehen losging, aber ich bin erst am Nachmittag ins Krankenhaus gefahren, weil ich nicht einschätzen konnte, ob es wirklich schon die Geburtswehen waren oder nicht. Sie kamen nämlich sehr unregelmäßig und waren von Anfang an irgendwie gestört. Nach längerem Hin und Her ging ich dann ins Krankenhaus und in der ersten Nacht, die ich dort stationär verbracht habe, war es sehr kalt.
Ich musste immer wieder runter in den Kreißsaal zum Checkup und in einem Wartezimmer alleine warten, in dem ein Fenster defekt war, das deshalb nicht geschlossen werden konnte. Es war so kalt, dass mir beim Warten die Zähne geklappert haben. Dazu kamen die Wehen und mein Gefühl, völlig verlassen zu sein.
Dann habe ich mich irgendwann auf den Flur gesetzt, weil es dort wenigstens ein bisschen wärmer war. Das waren so Momente, die mir als besonders schlimm in Erinnerung geblieben sind. Außerdem musste ich an einen Wehentropf, was ungefähr die schlimmsten Schmerzen verursacht, die man sich vorstellen kann.“
Ist da ein Mittel drin, das Wehen einleitet?
„Ja, das verstärkt die Wehen. Bei mir gab es das Problem, dass der Muttermund sich zu langsam geöffnet hat. Irgendwann wurde mir zum Wehentropf geraten, um die Prozedur zu beschleunigen. Der Wehentropf ist dann aber häufig so schlimm, dass man, um das wieder auszugleichen, eine PDA legen muss. Bei mir ist die PDA allerdings nur einseitig angeschlagen, sodass ich für den Kaiserschnitt noch eine weitere Rückenmarksbetäubung bekommen musste. Ich habe also wirklich alles mitgenommen und es war krass schmerzhaft.
Zwischendurch kam der Chefarzt immer mal wieder gucken und versicherte mir, dass das Kind bald kommen würde – nur kam es eben nicht. Dann gab es irgendwann noch schlechte Herztöne bei meiner Tochter, was Untersuchungen zur Folge hatte, ob es einen Kaiserschnitt geben muss oder nicht… Und am Ende war das dann der Fall und alle vorherigen Maßnahmen waren quasi umsonst geschehen. Letztlich war es für meine Tochter anstrengend und es war für mich anstrengend, aber mir war es wichtig, eine vaginale Geburt zu versuchen. Es heißt ja immer, das wäre das Beste fürs Kind.
Aber am Ende war der Kaiserschnitt das Beste, was mir passieren konnte und es war der schönste Moment der Geburt, weil ich nach 39 Stunden Wehen so erleichtert war, von der Brust ab betäubt zu sein. Es war das schönste Gefühl EVER (lacht). Deshalb habe ich mit dem Kaiserschnitt, mit dem ja viele Frauen hadern, keine Probleme gehabt. Ganz im Gegenteil hätte ich mir sogar gewünscht, dass es früher darauf hinausgelaufen wäre. Denn meine Erfahrung damit war sehr gut, meine Narbe ist top abgeheilt und ich hatte im Nachhinein kaum Schmerzen.
Was auch gut war: Ich habe mich unter Geburt zu keinem Zeitpunkt bevormundet gefühlt. Man hat mir an vielen Stellen immer die Möglichkeit gegeben selbst zu entscheiden, was als nächstes passiert. Egal, ob es um die Einnahme von Schmerzmitteln ging oder die nächsten Schritte, um die Geburt etwas voranzubringen. Ich wurde immer gefragt, was ich will und beim Kaiserschnitt war es sogar so, dass ich diejenige war, die ihn gefordert hat. Es war eine Ausnahmesituation, nicht zuletzt wegen der Corona-Maßnahmen, und das alles alleine durchzumachen, war wirklich heftig für mich.“
Man weiß ja nie, wie es geworden wäre, wenn du in einer anderen Situation deine Tochter geboren hättest. Aber ich höre da raus, wenn du dir hättest wünschen können, dass etwas anders gelaufen wäre, dann würde es dir dabei gar nicht um den Kaiserschnitt gehen, sondern tatsächlich darum, dass du über die Zeit nicht alleine gewesen wärst?
„Ja, die Einsamkeit ist das erste, was ich mir anders gewünscht hätte. Auch schon die ganze Schwangerschaft über war ja Corona und ich musste fast alles alleine machen, was an Untersuchungen anstand. Ich war vorher in meinem Leben noch nie im Krankenhaus gewesen und dann immer überall alleine zu sitzen, hat mich schon herausgefordert.“
Konflikte im Krankenhaus
Wie sind denn die ersten Tage nach der Geburt abgelaufen?
„Der Aufenthalt im Krankenhaus war auch nicht schön. Wie gesagt, medizinisch habe ich mich gut betreut gefühlt. Aber die Wochenbettstation und auch die Säuglingsstation, auf der meine Tochter dann lag, weil sie einen Infekt hatte, habe ich sehr negativ erlebt.“
Was hatte deine Tochter?
„Sie hatte Neugeborenengelbsucht. Darüber habe ich mich auch nur total unzureichend informiert gefühlt. Für mich war das in dem Moment ein Schock. Ich dachte, sie wäre todkrank. Mir wurde zwar schon erklärt, dass es da ein etabliertes Verfahren zur Behandlung gebe, aber ich war komplett aufgelöst, weil ich davon vorher noch nie gehört hatte.
Wenn mir mal jemand früher gesagt hätte, dass es total üblich ist, dass Kinder mit Gelbsucht zur Welt kommen und zwei, drei Tage länger im Krankenhaus bleiben müssen, dann hätte ich mich auch nicht so aufgeregt. Das sind Informationen, die ich gerne in einem Geburtsvorbereitungskurs erklärt bekommen würde. Aber so unvorbereitet wie ich war, war das alles so viel auf einmal, dass ich die Situation gar nicht richtig einschätzen und bewerten konnte.
Ich habe auf der Wochenbettstation nicht schlafen können, weil ich nach der Geburt so voll von Adrenalin und Eindrücken und Sorge war, dass ich nicht zur Ruhe kam. Dazu kam, dass meine Tochter schon relativ früh angefangen hat, viel zu schreien. Ein paar der Hebammen waren dann wirklich sehr hilfsbereit, aber die Tagesschicht hat mich mit allem komplett allein gelassen. Die haben mir ein richtiges Programm aufgelegt. Ich hatte mich dazu entschieden zu Stillen und mir war gar nicht bewusst, was es für Arbeit bedeutet, meine Brust so vorzubereiten, dass ich Stillen konnte.
Mir wurde gesagt, ich müsse alle zweieinhalb Stunden abpumpen. Vorher müsse ich das Kind aber anlegen. Dann sollte ich ihr die bereits abgepumpte Milch geben und dann sollte ich aufstehen und für die nächste Runde schon wieder abpumpen. Und dieses Verfahren hat genauso lange gedauert wie der vorgegebene zweieinhalb Stunden Takt. Es war also überhaupt nicht möglich dazwischen irgendwann einmal zu schlafen. Diese angeordnete Taktung hat mich richtig gestresst.
Die Geburt war in der Nacht zum Sonntag losgegangen und ich habe mich in der Nacht zum Donnerstag aus dem Krankenhaus entlassen lassen. Bis dahin hatte ich eine oder zwei Stunden geschlafen und das trotz dieser langen Geburt. Ich war so fertig, ich lief wie auf Drogen durch die Flure und konnte nur noch ganz benebelt sehen. Insgesamt habe ich mich menschlich sehr allein gelassen gefühlt und hatte eher den Eindruck, ich würde zur Last fallen, wenn ich um Unterstützung bat. Man hat mich an vielen Stellen spüren lassen, dass Rücksichtnahme nicht drin war.
Als ich dann donnerstags auf die Entlassung hoffte und stattdessen die Nachricht bekam, dass meine Tochter wegen der Gelbsucht noch weitere Tage auf der Station bleiben müsse, bin ich nervlich zusammengebrochen. Ich habe ohne Ende geheult, bis mein Mann gesagt hat, dass er über Nacht im Krankenhaus bei unserer Tochter bleibt, damit ich nach Hause gehen und mal ein bisschen schlafen kann. Ab dann war ich tagsüber immer bei ihr, was glücklicherweise trotz Corona möglich war. Und während nachts mein Mann bei unserer Tochter war, haben die Kinderkrankenschwestern ständig nachgefragt, wann ich denn endlich wieder übernachten wollen würde und uns deutlich vermittelt, dass sie mich für eine Rabenmutter hielten.
Ich sei ja schließlich die Mutter und daher viel besser für das Kind, vor allem, wenn ich voll Stillen wollte. Ich empfand das als unfair, denn ich hatte immer die Milch abgepumpt und war auch zuhause nachts aufgestanden, um zu pumpen. Ich fand es total unangemessen, dass jeden Tag vom Pflegepersonal nachgefragt wurde, ob ich nicht auch endlich wieder übernachten will.
Dabei fand ich es nach dieser Geburtserfahrung völlig okay, dass mein Mann, der total frisch war, diese Aufgabe übernommen hat. Aber an Ort und Stelle herrschte eindeutig die Meinung vor, die Mutter müsse alles machen und ich war zwischendurch geneigt zu sagen, dass ich gleich aufhören könne zu Stillen, wenn mich alle bedrängen, damit das Füttern endgültig vom Vater übernommen werden kann. Wir waren sehr froh, als wir das Krankenhaus schließlich gemeinsam verlassen konnten.“
Du hast gerade gesagt, dass das Stillen so ein schwieriges Thema war. Ich muss sagen, ich war auch überrascht zu hören, dass sie dir direkt das Abpumpen regelrecht verordnet haben. Kommt das oft vor?
„Das haben sie mir verordnet, damit die Milch einschießt. Am Anfang kommt ja erst einmal nur ganz wenig. Mir wurde immer nur gesagt, dass meine Tochter zu wenig trinken würde und zu schlecht angelegt sei. Ich fand eigentlich, dass sie ganz gut getrunken hat. Aber jedes Mal in dieser Beobachtungssituation mit vier Hebammen um mich herum, hat sie nicht gut getrunken.
Allerdings dachte ich mir auch, dass das bestimmt am „Vorführeffekt“ und dem Stress liegt, der dann damit einherging. Es war jedenfalls ein riesiges Drama, ob es genug Milch war oder nicht genug Milch und ob zugefüttert werden sollte oder nicht. Ich habe mich dann aus Angst, dass sie unterversorgt wird, dazu entschieden, dass sie auch noch Milchersatz zugefüttert bekommen sollte.“
Das heißt, du hattest in dieser Phase auch gar nicht die Selbstsicherheit und Ruhe, um zu entscheiden, dass ihr mit dem Stillen und Füttern so verfahrt, wie es sich für dich richtig anfühlt?
„Nein, absolut nicht. Ich wusste auch gar nicht, dass Abpumpen bedeutet, dass ich damit quasi den ganzen Tag beschäftigt bin. Ich hatte da die etwas romantische Vorstellung, dass ich mein Kind einfach nur anlege und dann kurz danach nochmal ein bisschen pumpe – eventuell. Mittlerweile habe ich mitbekommen, dass die Vorgehensweise wie bei mir gar nicht so unüblich ist. Viele Frauen, mit denen ich gesprochen habe, haben mir von einem ähnlichen „Abpump-Programm“ berichtet.
Letztlich, denke ich, machen die meisten das, was ihnen im Krankenhaus oder von der Hebamme gesagt wird. Man denkt sich, die machen das ja beruflich und ich selbst habe noch keine Erfahrungen mit dem Versorgen von Kindern. Aber am Ende sitzt man dann da nachts alleine und müde und fühlt sich angeschlossen wie eine Kuh an die Melkmaschine. Das war wirklich nicht angenehm insgesamt.“
Giselles Message: Bildet ein Supportsystem
Erzählst du mal ein wenig davon, wie eure ersten Monate mit Säugling waren?
„Die waren tatsächlich schlimm. Auch hier haben wir ein Thema, über das nochmal extra wenig Aufklärung herrscht. Denn unsere Tochter war ein Schreibaby. Ich wusste, dass es dieses Phänomen gibt, aber wenn mir davon erzählt wurde, dann dachte ich mir, ja, dann schreit das Kind eben ein bisschen. Man hat gar kein Gefühl dafür, wie schwierig es tatsächlich ist, ein Schreikind zu haben. Wenn ich darüber nachdenke, dann kann ich wirklich behaupten, dass diese Monate zu den schlimmsten Zeiten meines Lebens gehörten.
Es wird ja häufig suggeriert, dass man als Eltern in der ersten Zeit direkt komplett verliebt in das eigene Kind sei und alles easy Zuhause, denn man könne im Bett liegen und sich betüddeln lassen. Das war überhaupt nicht der Fall bei uns, ganz im Gegenteil. Du musst ja immer noch dein ganzes Leben zuhause im Griff behalten, den Haushalt schmeißen, neue Dinge rund ums Kind organisieren und lernen mit einem Baby umzugehen. Dazu noch mit einem Säugling, der die ganze Zeit schreit. Es war die absolute Ausnahmesituation.
Gerade in Bezug auf dieses Thema würde ich mir wünschen, dass das auch ein Thema in Geburtsvorbereitungskursen ist. Dass darüber informiert wird, dass es sehr gut sein kann, dass das Kind Koliken bekommt und es dann auch normal ist, dass die ersten Wochen und Monate nicht nur auf Wolke Sieben stattfinden. Und vor allen Dingen, dass es auch in Ordnung ist, wenn man diese Phase nicht als schön, sondern als schlimm und anstrengend empfindet. Ich hätte nämlich nicht gedacht, wie intensiv so etwas werden kann.
Unsere Tochter hat jeden Tag mehrere Stunden am Stück geschrien, total laut und ich selbst habe dabei die komplette Palette der Gefühle durchlebt. Das Kind tat mir leid, ich fühlte mich völlig hilflos und habe verzweifelte alle möglichen Ratschläge befolgt, weil ich gehofft habe, dass ihr irgendetwas hilft. Irgendwann wurde ich aber auch wütend und dachte mir, wieso schreit sie denn die ganze Zeit, sie soll einfach aufhören, sie hat doch nichts. Das war ein Wechselbad der Gefühle, was mich noch zusätzlich sehr angestrengt hat.
Dadurch dass landläufig suggeriert wird, dass die ersten Wochen mit dem Baby so harmonisch verlaufen sollen, hatte ich natürlich auch krasse Schuldgefühle. Ich dachte mir, ich funktioniere nur unzureichend in meiner Rolle als Mutter, weil ich es als so schlimm empfinde, dass mein Kind durchgehend schreit.
Deshalb habe ich mir Hilfe bei einer Mütterberatungsstelle gesucht und war später auch mit ihr in der [Schreiambulanz], wo mir erklärt worden ist, dass dieses romantisch-idyllische Bild der ersten Wochen etwas ist, das unkorrekter nicht kommuniziert werden könnte. Das war auch das erste Mal, dass mir gesagt wurde, dass es okay ist, zuzugeben, dass ich erschöpft bin und einfach nur darauf warte, dass diese erste Phase, von der immer alle schwärmen, vorbei geht.“
Was ist daher deine Message an die Menschen, die vielleicht einmal Eltern werden?
„Es ist eine enorme Umstellung. Das sagt einem zwar jeder, aber gleichzeitig reden es alle immer mindestens ein bisschen schön. Niemand erzählt einem von den anstrengenden Aspekten. Mir war vorher beispielsweise überhaupt nicht klar, wie abhängig man als Paar dadurch voneinander wird. Ich habe immer gedacht, wenn ich dann zum Sport gehen möchte, dann kann ich das trotzdem einfach machen. Aber wenn mein Partner krank ist, dann bedeutet das das Aus für meine Pläne und Routinen.
Oder dass wenn eine Person sich gerade auf die Kinderbetreuung fokussiert, die andere keine Zeit für sich hat, sondern sich wahrscheinlich dem Haushalt und anhängigen Aufgaben widmen muss, weil die betreuende Person nichts machen kann und sich die gesamte „Haushaltkraft“ auf einmal halbiert hat.
Wenn man Großeltern in der Nähe hat, kann ich nur befürworten, dass man deren Hilfe in Anspruch nimmt. Denn so ganz auf sich allein gestellt, wie das bei uns der Fall ist, ist es sauschwer. Sich also ein Supportsystem aufzubauen, ist eine absolute Empfehlung von mir.“
Das klingt nach einem ziemlich guten Hinweis. Ich weiß nicht, wie viele werdende Eltern sich darüber Gedanken machen, von welchen Seiten sie Hilfe bekommen können. Oder sogar Großeltern oder andere Personen aus dem Bekanntenkreis in Vorhinein fragen, ob sie Kapazitäten haben werden, bei der Betreuung zu unterstützen.
Kennst du den Diskurs rund um „regretting motherhood“?
„Ja, den kenne ich sehr gut.“
Was sind deine Gedanken dazu?
„Ich finde es sehr gut, dass das thematisiert wird und ich kann es auch nachvollziehen. Es geht ja darum, dass die betreffenden Frauen ihre Kinder sehr lieben, aber dass sie mit dieser Mutterrolle und den gesellschaftlichen Erwartungen daran nicht zurechtkommen. Und dass sie sich gegen Mutterschaft entschieden hätten, wenn ihnen das vorher bewusst gewesen wäre.
Ich finde, das ist ein guter Diskurs, weil gerade am Anfang, als alles so schlimm war, habe ich die Entscheidung Mutter zu werden tatsächlich auch bereut. Jetzt ist unsere Tochter aber ganz anders drauf. Es hat sich alles etwas eingerenkt und daher würde ich heute auf keinen Fall soweit gehen, zu sagen, dass ich es wirklich bereue. Ich kann aber verstehen, dass es Frauen gibt, die sich so fühlen. Und ich finde, der Diskurs sollte auf das, was dazwischen liegt, erweitert werden.
Aktuell ist „regretting motherhood“ abgestempelt als „Schock! Es gibt Mütter, die es bereuen Mütter zu sein!“ und das steht diesem Märchen der rosigen Mutterliebesidylle gegenüber. Vielleicht sollte der Diskurs an einen Punkt kommen, an dem wir offen sagen: In der Regel finden die meisten ihre Entscheidung Mutter zu werden gut, aber manchmal ist es auch Scheiße anstrengend. So ein Mittelding eben.“
Es würde den Schockfaktor von „regretting motherhood“ auch gar nicht geben, wenn wir nicht mit dem Märchen aufwachsen würden, dass alles immer nur rosig sei. Und dass es der natürlichste und unvermeidliche Wunsch einer jeden Person mit Uterus sei, Kinder zu gebären und großzuziehen. Du hast gerade eben als Grund für die Reue auf die gesellschaftlichen Anforderungen an die Mutterrolle verwiesen. Kannst du etwas genauer erklären, was du damit meinst?
„Es ist ja so, dass allgemeine Rollenvorstellungen und Erwartungen an eine Mutter bestehen. Dass besonders die Mutter sich viel um das Kind zu kümmern hat, scheint mir eine speziell deutsche Anforderung zu sein. Anders als in Frankreich, wo sie alles können muss, was auch nicht viel besser ist.
Aber gerade das Konzept der Rabenmutter ist hier sehr verbreitet. Ich bin schon früh wieder in Vollzeit in meinen Beruf eingestiegen, in dem ich einen wichtigen Posten bekleide. Und ich bekomme das Gefühl, dass einige Leute das verurteilen. Aber es dreht sich da nicht nur um die großen Fragen wie die Berufstätigkeit, sondern auch um Aspekte der Erziehung und Betreuung.
Ob man dem Kind Nahrung aus dem Fläschchen gibt zum Beispiel. Die Reaktionen auf solche Entscheidungen von mir haben mich richtig genervt. Der Stilldruck und die Wertung anderer Mütter, vor denen es mir dann regelrecht peinlich war, dass ich mich für Fläschchen entschieden habe. Es fängt also bei den kleinen Dingen an und man wird schnell in Misskredit gebracht, weil man nicht alles selbst kocht, sondern Beikost aus dem Gläschen gibt. Und es endet mitunter in totalem Entsetzen darüber, dass ich in Vollzeit arbeiten gehe. Das macht vieles unnötigerweise anstrengender.“
Mutter werden als Prozess
Meine letzte Frage an dich, Giselle: Was macht in deinen Augen eine Person zur Mutter?
„Ich finde, das kann man gar nicht so pauschal beantworten. Es gibt solche Charakteristika wie man kümmert sich um sein Kind, man liebt sein Kind, man versorgt sein Kind, aber das kann ja jeder unterschiedlich verwirklichen.
Für die eine Mutter bedeutet das, 24 Stunden am Tag für das Kind da zu sein und für mich persönlich wäre das nichts. Ich möchte meinen Beruf noch ausüben können und daher finde ich es auch okay, wenn der Papa oder die Tagesmutter sich um meine Tochter kümmern. Es gibt so viele unterschiedliche Arten, wie man die Mutterrolle ausfüllen kann, da gibt’s für mich kein Pauschalrezept.
Aber Mutter zu werden ist auf jeden Fall ein Prozess. Es ist nicht so, dass man unbedingt am Tag der Geburt des ersten Kindes schon Mutter ist. Ich habe selbst lange gebraucht, bis es mir nicht mehr so unwirklich vorkam, dass ich jetzt einen Kinderwagen schiebend durch die Nachbarschaft laufe.
An manchen Tagen bin ich wieder überrascht, wenn ich meine Kaiserschnittnarbe sehe und mir plötzlich bewusstwird, dass mal ein Baby in mir drin war. Mittlerweile bin ich in dieser Rolle gut angekommen, aber das war ein langer Prozess und es hat mehrere Monate gedauert, bis ich mich letztlich als Mutter gefühlt habe.“
Liebe Giselle, ich bewundere deine und eure Stärke und danke dir sehr, sehr herzlich, dass du mir erzählt hast, wie es für dich war, Mutter zu werden. Ich bin mir sicher, dass du mit deinen Erfahrungen und deiner Erschöpfung nicht alleine bist und dass deine Offenheit anderen Menschen hilft, mit ihrer eigenen Erschöpfung umzugehen. Ich wünsche dir und deiner Familie alles Gute für die Zukunft!