Die Fortsetzung meines Interviews mit Nina (28) über ihre Beweggründe für die Entscheidung zu einer Brust-OP und welche Rolle der „Beauty Standard“ dabei spielt. Zum ersten Teil geht es hier entlang!
Hinweis: Dieser Text kommt keiner medizinischen oder anderweitig fachlichen Beratung zum Thema Brust-OP gleich. Die enthaltenen Informationen stellen individuelle Umstände dar und werden von Laien wiedergegeben. Für eine Expertise zu schönheitschirurgischen Eingriffen, wende dich bitte an Fachpersonal.
Ninas Umfeld nimmt ihr Vorhaben unerwartet auf
Und wenn du dich dann nach der OP dort in der Klinik auskurierst, hast du dir ja mit Sicherheit auch Hilfe organisiert. Was sagen denn deine Bezugspersonen zu deinem Vorhaben?
„Ich habe das neulich natürlich auch mit meinen Eltern besprochen. Vor allem meine Mutter wird mir in der Zeit nach der Operation zur Seite stehen. Generell haben meine Eltern ein hohes Sicherheitsbedürfnis, was mich betrifft, weshalb ich ihnen das recht schonend beigebracht habe. Ich bin aber ja selbst auch an meiner Sicherheit interessiert und habe mir daher Zeit gelassen bis ich meine Entscheidung gut durchdacht und informiert getroffen habe.
Erst dann wollte ich sie einweihen, auch mit dem eigenen festen Entschluss im Hinterkopf, dem unbedingten Willen das jetzt für mich in die Hand zu nehmen. Und wenn nötig auch Unterstützung einzufordern, weil mir das Anliegen so wichtig ist. Ich hab‘s zuerst meiner Mutter erzählt und ihre Reaktion war, zunächst einmal gar nichts dazu zu sagen. Sie war einfach still.“
Wusste deine Mutter denn, wie es dir mit deinen Brüsten geht?
„Nein, das hatte ich ihr noch nicht erzählt. Dementsprechend überraschend kam das auch für sie. Auf meine Nachfrage hin, was sie denn dazu meint, fragte sie: „Ja, aber ist es denn wirklich so schlimm?“ Und dann habe ich das bejaht. Worauf sie dann sagte, wenn das für mich so sei und die Entscheidung feststünde, dann würde sie das auch akzeptieren. Das hat mich ehrlicherweise sehr freudig überrascht.“
Hattest du erwartet, dass sie anfängt zu diskutieren und dir das ausreden will?
„Ja! Natürlich. Sie hat dann schon nochmal ein wenig nachgefragt und wollte auch wissen, ob es so schlimm sei, dass ich es auch ihr nicht zeigen würde. Und das musste ich bestätigen. Was ihr offenbar das ganze Ausmaß meiner Scham deutlich bewusstwerden ließ.“
Ich denke, dass du selbst deiner eigenen Mutter deine Brust nicht zeigen möchtest, macht das Ausmaß deiner Scham tatsächlich sehr deutlich. Sie ist ja wahrscheinlich der letzte Mensch auf der Welt, der dich wegen des Aussehens deiner Brüste verurteilen oder nicht lieben würde und selbst vor ihr ist die Scham so groß. Das gibt zumindest mir gerade noch ein Stück weit mehr zu verstehen, wie schlecht du dich fühlen musst.
Aber immerhin großartig, dass du von Seiten deiner Eltern uneingeschränkt Unterstützung erfährst. Hast du denn schon alles für deinen Heilungsprozess geregelt? Krankschreibung etc. organisiert?
„Ja, der Witz ist, dass man dafür nicht krankgeschrieben wird. Ist ja kein medizinisch notwendiger Eingriff.“
Das mag ja sein, aber du bist doch nach der OP verletzt und musst wieder auf die Beine kommen?! Und eine Heilung ist doch etwas medizinisch Notwendiges, egal was die Verletzung, von der du heilst, ausgelöst hat?
„In dem Fall ist das tatsächlich nicht so. Ich muss ja alle Kosten privat tragen und dazu zählt dann eben auch, dass ich mir Urlaub für die Zeit der Regeneration nehmen muss. Auch wenn ich dadurch auf der Arbeit länger ausfallen sollte als vorher gedacht, ist das alles mein privates Risiko. Praktisch wie wenn ich mir ein Auto kaufe oder ähnliches, liegt das quasi alles in meiner Verantwortung.“
Okay, findest du das fair?
„Naja, ich kann es nachvollziehen und ich finde es auch nicht schlimm. Natürlich fände ich es persönlich schöner, wenn ich nicht meinen Urlaub dafür investieren müsste. Aber ich bin an dem Punkt, wo es mir das wert ist.“
Wie wird denn dann deine Regenerationszeit aussehen?
„In den ersten Tagen nach dem Krankenhausaufenthalt werde ich wohl eine rundum Betreuung benötigen, weil ich meine Arme nicht wirklich anheben kann. Also meine Bewegungsfähigkeit wird stark eingeschränkt sein, weil die Muskeln so unter Spannung stehen. Und ich denke, Schmerzen werde ich natürlich auch haben bzw. von der OP an sich angestrengt sein. Daher wird empfohlen, dass eine weitere Person mit im Haushalt ist, die mir alles abnimmt, was Kraft oder schnellere Bewegungen erfordern würde. Also wird meine Mutter wohl ein paar Tage bei mir einziehen.
Ich habe auch schon bei mir auf der Arbeit Bescheid gesagt, dass für mich eine OP ansteht und ich für einige Zeit ausfallen werde. Mein Chef wollte allerdings auch gar nicht genauer wissen, worum es sich dabei handelt und wieso ich dafür Urlaub nehme, anstatt krankgeschrieben zu werden.“
Hast du denn bisher jemand anderem als deinen Eltern (und deinem Chef in Andeutungen) davon erzählt und Reaktionen bekommen?
„Tatsächlich ansonsten nur noch einer Arbeitskollegin von mir, die allerdings auch schon Wind von dieser Thematik bekommen hatte, als wir gemeinsam im Wellness-Urlaub waren und ich mich nicht getraut habe mit ihr in die Sauna zu gehen. Da habe ich das auch nur angedeutet und sie hat das offensichtlich für sich selbst eingeordnet. Sie hat dann auch nicht näher nachgefragt und das relativ unkommentiert gelassen. Sie versicherte mir aber, dass sie nicht drüber sprechen würde, wenn sie jemand fragen sollte.“
Macht auf mich den Eindruck, dass die Leute bei dem Thema ziemlich auf Eierschalen laufen. Meinst du, das liegt am Arbeitskontext, in dem man vielleicht sowieso nicht so persönlich werden will oder siehst du da ein Tabu bzgl. des Ansprechens von „Schönheitsmakeln“? Weil dieser Abstand, den die Menschen in deinem Umfeld zu deinem Thema halten, den kennt man ja sonst eher nur von Todesfällen oder anderen tragischen Ereignissen, bei denen alle Angst haben mit der Trauer der Betroffenen konfrontiert zu werden.
Mich wundert diese starke Zurückhaltung tatsächlich. Sonst sind doch auch direkt immer alle beim Thema „Möpse“ ganz vorne dabei und willens ihre Meinung kundzutun. Was mich zur nächsten Frage bringt: Wie willst du denn nach der OP mit dem Wissen darum umgehen? Planst du da offen drüber zu sprechen oder geht das die anderen Leute nichts an?
„Ich bin eigentlich grundsätzlich ein offener Mensch und versuche nicht mehr unter den Teppich zu kehren, was mich bewegt. Jetzt im Vorfeld würde ich zwar nicht überall hingehen und verkünden, dass ich da „was vorhabe“. Weil ich ja auch keine Lust auf unerwünschte persönliche Meinungen habe, die mich vielleicht in die eine oder andere Richtung beeinflussen wollen. Aber im Nachhinein, gesetzt den Fall ich bin zufrieden und es gibt keine weiteren Probleme, dann sehe ich keinen Grund dafür da nicht drüber zu sprechen oder es gar zu leugnen.“
Hast du denn Angst, dass Leute dir mit Klischees und Vorurteilen begegnen werden, wenn du offen zu deiner Brust-OP stehst?
„Angst habe ich nicht, nein. Es gibt sicher immer Menschen, die sich an meinen Entscheidungen und meinem Aussehen stören werden. Ich will es hier aber niemand anderem recht machen als mir selbst. Natürlich habe ich mir schonmal gedacht, dass die Leute in meinem Arbeitsumfeld wahrscheinlich über mich reden werden. Und vielleicht auch nicht in meinem Beisein.
Ich wollte dem ja sogar etwas entgegenwirken, indem ich meinem Chef im Vorhinein davon erzähle, damit das einfach schonmal so ein bisschen die Runde macht. Und zwar keine wilden Gerüchte, sondern eben Infos aus meiner Hand. Und damit es dann nach einem Monat auch keinen mehr juckt. Dadurch, dass meine Gesprächsversuche so abgeblockt wurden, klappt das jetzt nicht, aber damit kann ich auch leben. Dann werde ich vielleicht eben eine gewisse Zeit Klatschthema im Büro sein und dann ist es nach einer Weile wieder gut.“
Vorstellungen von der Zeit „danach“ – Hoffnungen und Reaktionen
Was erhoffst du dir von der Zeit nach der OP?
„Das ist gerade gar nicht so einfach in Worte zu fassen. Ich hoffe, dass es sich nicht mehr falsch anfühlt, wenn ich mich selbst im Spiegel betrachte. Das ist tatsächlich das Einzige, was ich mir wirklich wünsche. Ich habe gar keine genaue ästhetische Vorstellung vom „Danach“. Es müssen keine genauen Maße getroffen werden oder die Brustwarze an einer ganz bestimmten Stelle sitzen.
Es geht nicht um die Oberfläche an sich, sondern um das Lebensgefühl, das hoffentlich damit wieder zurückkommt. Dass ich einfach überhaupt wieder eine Brust habe. Daher ist es mir egal, ob ich am Ende doch nur ein B oder A-Körbchen habe oder wieder zurück auf die alte Größe komme. Solange die Brust wieder nach meiner eigenen Vorstellung ansprechend aussieht, ist alles gut. Im besten Fall sieht sie natürlich aus und nicht auffallend anders.“
Es geht dir also tatsächlich nicht darum, am Ende einem Traumbild oder Beauty Standard zu entsprechen, sondern darum, aus dem Ist-Zustand herauszukommen?
„Ja, genau.“
Das ist echt bezeichnend. Meine eigene Vorstellung von Motivationen für Schönheitseingriffe war bisher eher, dass ich ein Idealbild habe, das ich erreichen will.
„Kann ich mir vorstellen, aber das habe ich so gar nicht.“
Aber allgemein gefragt und die variantenreichen Motivationen für Schönheits-OPs einmal alle umfassend: Hältst du Schönheits-OPs bei Frauen und weiblich verstandenen Personen für anti-feministisch?
„Wie antworte ich jetzt darauf? (lacht) Ich kann nachvollziehen, dass man das für anti-feministisch hält.“
Ich glaube, dahinter steht der Vorwurf, dass man sich den Schönheitsidealen der Kultur, in der man lebt, unterwerfe, obwohl man für die Freiheit von Menschen eintreten möchte, die eben von solchen Standards unterdrückt werden. Also der Vorwurf einer Janusköpfigkeit, da Feminismus und die Anpassung des Äußeren augenscheinlich gegenläufige Ideen sind.
Vor allem bei Eingriffen wird die Behauptung laut, dass man sehr weit geht, nur um Ideale zu reproduzieren, die allein dem Patriarchat entstammen und nützen. Die Frau ließe sich dann quasi in die Form bringen, die das Patriarchat für den Typus „Frau“ definiert hat, anstatt Teil einer natürlichen weiblichen Vielfalt zu bleiben. Wie können dann Frauen mit der Entscheidung für eine OP zufrieden sein, wenn sie sich eigentlich als befreit und empowert verstehen?
„Das auf der einen Seite schon, aber auf der anderen nutze ich die Möglichkeiten, die mir gegeben werden, um mir in gewisser Weise die Macht über mein Leben und meine Entscheidungen zurückzuholen. Was genau der Grund ist, warum ich mich in meiner veränderten Haut nicht mehr wohlfühle, ist nicht eindeutig auszumachen. Wahrscheinlich eine Mischung von allem: Erwartungen an mein Äußeres von mir selbst und von außen, genauso wie Probleme, mich mit einem schnell und stark veränderten Körperbild nicht identifizieren zu können.
Am Ende füttere ich die Mühlen der Schönheitschirurgie mit meinem Geld, meiner Zeit und meiner Energie, aber wenn das durch ist, dann habe ich eine große Hürde genommen. Würde ich es nicht tun, würde mich derselbe Druck in meiner Scham und meinem Unwohlsein weiter einsperren und komplett einschränken. Die Entscheidung fällt hier nicht zwischen Freiheit und Unterdrückung, Feminismus oder Patriarchat, sondern zwischen Untätigkeit und mein Leben wieder in die Hand zu nehmen.“
Ich habe gar keine Intuition darüber, wie akzeptiert oder vorurteilsbehaftet das Thema Brust-OP/Schönheits-OP aktuell ist. Immerhin war die Brustvergrößerung mit Implantat der beliebteste kosmetische Eingriff im Jahr 2020 in Deutschland.
„Das weiß ich auch nicht. Ich glaube aber, so richtig will da keiner drüber reden. Davon wie zurückhaltend alle auf meine Ankündigung reagiert haben, war ich aber schon überrascht.“
Vielleicht war dein Umfeld da auch etwas überfordert von deiner Offenheit. Die laute mediale Aufmerksamkeit zu dem Thema ist ja auch häufig eher das „verruchte Mysterium“. „Hat sie oder hat sie sich nicht operieren lassen?“ „Meinst du die Dinger sind echt?“ Ich habe die Schlagzeilen und das Geraune direkt im Ohr!
„Ja, und genau darauf hatte ich dabei keine Lust. Ich beanspruche die Macht und Entscheidung für mich, ob und wie über meine OP geredet wird, wenn ich die Antworten den Fragen vorwegnehme. Und ich nehme dem Ganzen auch ziemlich den Wind aus den Segeln, weil es eben nicht mehr das große Mysterium werden kann, über das alle lästern. Wo kein Platz für lange Spekulationen ist, da ist das Gesprächsthema auch schnell abgehandelt.“
Ich bin selbst einmal ganz offen von einem Sexpartner darauf angesprochen worden, ob ich meine Brüste „habe machen lassen.“ Ich war total überfordert von der direkten Frage und gleichzeitig ein bisschen empört, weil ich sie so absurd fand. In meinen Augen hätten meine Brüste dann ganz anders (größer) aussehen müssen. Und – was für meine eigenen Vorurteile spricht – auch viel plastikmäßiger, härter, künstlicher. Mir ist bis heute nicht klar, ob er mir schmeicheln oder das Aussehen meiner Brust kritisieren wollte oder einfach nur neugierig war. Das Gespräch fand schnell ein Ende, weil ich laut und nachdrücklich verneinte. Dabei verstehe ich erst durch unsere Unterhaltung jetzt, dass es durchaus sein kann, dass eine operierte Brust natürlich und damit auch natürlich-unperfekt aussehen kann.
„Ja, ich habe ja auch viele falsche oder nur halb-wahre Annahmen bei mir entdeckt, während ich mich beraten ließ. Ganz voran, wie sich das Silikon überhaupt anfühlt. Ich habe eine Flüssigkeit in einer Art Kissen erwartet, dabei bleibt die Masse fest, wenn man das Implantat in Scheibchen schneiden würde. Und trotzdem fühlt es sich schön weich an.“
Das erinnert mich an diese Horrorgeschichte vom platzenden Implantat. Ist das dann nur ein Mythos?
„Nein, das Implantat kann schon beschädigt werden. Zum Beispiel falls ich einen Autounfall haben sollte. Dann „läuft“ das Silikon zwar nicht aus, aber man könnte das Implantat nicht so beschädigt in meinem Körper belassen. Es besteht auch immer das Restrisiko, dass es vom Körper nicht angenommen wird und es abstoßende Reaktionen auf den Fremdkörper gibt. Aber bei diesem medizinischen Silikon, das ja auch zu vielen anderen Gelegenheiten in der Medizin verwendet wird, hat man offenbar schon genug gute Erfahrungswerte gesammelt.
Trotzdem kann es immer auch zu Entzündungen kommen, die dann zur Folge haben können, dass alles wieder entfernt werden muss. Ich werde mir aber die größte Mühe geben, alles Förderliche für meine Wundheilung zu tun, was in meiner Macht liegt. Aber ich werde mich auf keinen Fall verrückt machen oder in Ängsten schwelgen. Ich bin mir bewusst, dass das alles kein leichter Eingriff in meine physische Gesundheit ist und die Heilung ihre Zeit benötigen und anstrengend sein wird. Meine Entscheidung steht trotzdem fest. Ich verlasse mich da auf meinen Körper. Das Verheilen nach der OP ist ein Prozess, der ein greifbares Ende hat. Weiter in meinem Zustand der Unzufriedenheit und psychischen Belastung zu bleiben, hat erst einmal kein absehbares Ende.“
Das ist ja auch die Alternative, die du schon ein paar Jahre lebst. Sie hat dich nicht weitergebracht, keine Lösung dargestellt. Allein wenn man bedenkt, was du alles für Chancen hast liegen lassen, weil du mit dir so unglücklich bist. Da ist ja auch Lebenszeit eine begrenzte Ressource. Es geht hier ja nicht nur um einen verpassten Saunabesuch, sondern um alle Ebenen deines Lebens. Ich bin darauf gespannt, was du im Nachhinein sagen wirst und ob sich deine Meinung zu Schönheits-OPs noch einmal verändert. Dass sie eine große Chance sein können, ist mir spätestens zum Ende unseres Schnacks klar geworden.
„Und das habe ich vor einigen Jahren auch so noch nicht erkannt. Ich hätte mir vor meinem Gewichtsverlust nicht erträumen lassen, dass ich mich einmal dazu entscheiden werde, eine Brust-OP in so jungem Alter machen zu lassen oder auch einfach so viel Geld für „Schönheit“ auszugeben.“
Andere Motivationen als das Erreichen des Beauty Standards
Was denkst du denn jetzt über Frauen, die sich für eine Brust-OP entscheiden, obwohl sie objektiv betrachtet schon normschöne Brüste haben? Oder über Operationen an anderen Körperstellen wie Modellierung der Vulvalippen oder Eingriffe gegen Alterserscheinungen? Siehst du da Unterschiede zu deiner Situation?
„Ich glaube, es wäre falsch jede von vorneherein in eine Schublade zu stecken oder für ihre Wünsche zu verurteilen. Weil man natürlich die Beweggründe nicht kennt, die die Person für sich entwickelt hat. Wenn ein 19jähriges Mädchen, das vielleicht noch gar nicht voll entwickelt ist, sich jetzt die Brüste krass vergrößern lassen will, dann wäre natürlich auch mein erster Gedanke, ob das jetzt wirklich sein muss. Ich denke aber nicht, dass man es ihr ausreden sollte. Im Fall der Veränderung von Vulvalippen zum Beispiel kann ich eine Entscheidung aus Scham oder kosmetischem Leidensdruck jetzt sehr viel besser verstehen als noch vor einigen Jahren. Ich glaube, dass es nicht förderlich ist, da alle Situationen über einen Kamm zu scheren.“
Ist deine Einstellung zu Beauty-Eingriffen also toleranter geworden?
„Mein Eindruck davon, welche Menschen sich für solche Eingriffe entscheiden, ist viel heterogener geworden. Medial finden da ja häufig nur sehr reiche oder mit ihrem Aussehen Geld verdienende Menschen eine Stimme bzw. werden zu dem Thema gezeigt, weshalb ich da nur diesen Stereotyp im Kopf hatte. Das Bild von der menschlichen Barbie, die komplett süchtig nach chirurgischen Veränderungen ihres Körpers ist beispielsweise. Ich habe nie an die Mutter mit vier Kindern gedacht, die gerne wieder ein Sexualleben haben würde und der da aber ihre beanspruchten Brüste und die Tatsache, wie sie sich körperlich verändert hat im Weg stehen.“
Weird, dass wir beim Thema Schönheits-OP erst einmal nur an die Menschen denken, die sich operieren lassen, obwohl sie schon „schön“ sind. In die Ecke der Mutter wird vielleicht nicht geschaut, weil ihre Rolle auch so entsexualisiert wird. Es passt nicht ins verbreitete Verständnis von Mutterschaft, dass die Frau, die Mutter ist, auch weiterhin begehrenswert und sexuell sein will.
Also findest du es durchweg positiv, dass du heute (natürlich nur mit dem richtigen Budget) die Möglichkeit hast, dich für einen Eingriff zu entscheiden?
„Einerseits ja und das Gefühl überwiegt auch. Auf der anderen Seite bleibt eine leise Stimme im Bewusstsein zurück, die anmerkt, dass man durch jede Menge mediale Einflüsse aber auch bestärkt wird, an sich selbst ständig nach Fehlern zu suchen, die man beheben muss. Schönheitsfehler, die auf einem Trend basieren und vor zehn Jahren vielleicht noch gar keine waren. Natürlich besteht dann die Gefahr, wenn man gefangen ist in diesem oft kommerziell motivierten Spiegelbild, dass man auch dahin beeinflusst wird, sich entsprechend der Moden zu verändern.
Und dass man vielleicht einfach dadurch, dass die Möglichkeit besteht, anfängt zu überlegen, was man an sich verändern lassen könnte. Ich habe auch selbst überlegt, ob ich eine Person wäre, die nach einer guten Erfahrung mit Schönheits-OPs ihre Hemmschwelle dahingehend komplett fallen lassen würde. Sodass ich dann in einem halben Jahr wieder etwas machen lassen will und gar kein Ende mehr finde. Aber allein meine Angst gegenüber so einer Suchtspirale hat mir gezeigt, dass das bei mir recht unwahrscheinlich ist.“
Eine Möglichkeit dem vorzubeugen könnte ja auch sein, dass man sich sehr viel Zeit lässt. Sich nach der ersten OP eine Mindestwartezeit bis zur möglicherweise nächsten setzt, um sich mit der ersten Veränderung erst einmal auseinanderzusetzen und zu akklimatisieren. Denn vielleicht hat man dann die perfekten Brüste und schaut plötzlich andere Körperstellen mit einem ganz verrutschten Maßstab an, der verlangen würde, dass sie „nachziehen“. Daher die Gewöhnungszeit, um die Veränderung, die ja über Nacht passiert, in Relation setzen zu lernen.
Mein persönliches Fazit aus dem Gespräch mit Nina
Wir sind beeinflusst von gesellschaftlichen und kulturellen Ideen von Schönheit, weil wir soziale Wesen sind und das Schöne sozial akzeptiert wird. Schönheit ist unsere Eintrittskarte in die Gemeinschaft, hoffen wir, gegen die Einsamkeit und für die Möglichkeit unsere Umwelt mitzugestalten. Dass sie nicht die einzige Eintrittskarte für eine Frau oder weiblich gelesene Person sein sollte, wird gerne vergessen. Selbstakzeptanz hingegen, auch die, die durch einen chirurgischen Eingriff erreicht werden kann, kann ein Rückgrat bilden. Ein Rückgrat, das Frauen immer noch benötigen, wenn sie sich aktiv einer anderen Eintrittskarte in die Gesellschaft bedienen wollen als ihrer Schönheit. Einer Eintrittskarte nämlich, die sie in Konkurrenz zu männlichen Mitgliedern dieser Gesellschaft setzen kann.
Also ja, wir füttern ein Ideal und eine Industrie, wenn wir Geld in unser Äußeres investieren. Andererseits sind wir auch gezwungen, uns zu dem Wunsch nach sozialer Akzeptanz zu verhalten, weil wir sowieso danach agieren. Wenn wir uns also für einen offenen Diskurs über die Opfer, die wir dafür bringen und über die Werte, die wir damit vermitteln, entscheiden, ist das der einzige Weg, um das Stigma zu vernichten und zu einem Werkzeug umzukehren.
Deutlich sichtbar zu machen, dass ein Eingriff nicht den Wert einer Person bestimmt und ihn weder in eine positive noch negative Richtung verschieben kann. Denn alternativ zu verlangen, dass eine Person lebenslang unglücklich mit ihrem Körper bleibt, weil es das Patriarchat und seine Schönheitsideale erhalten würde, wenn sie sich operieren ließe, ist keine Lösung. Im Privaten zu leiden stößt das Ideal auch nicht um. Sich selbst zu befähigen, Probleme mit dem eigenen Aussehen – mit welcher Technik auch immer – hinter sich zu lassen, um dann die Kraft zu haben, eine andere Eintrittskarte in die Hand zu nehmen, das ist, was dem System letztlich entgegenstehen kann. Das ist Empowerment und hat schon immer einen Preis gehabt.
Einige persönliche Fragen für uns alle zum Abschluss
Wie würde ich meine eigene Schönheit bewerten, wenn ich dazu kein Spiegelbild und kein Selfie zur Verfügung hätte? Wenn ich mich selbst und meinen Körper nur fühlen und aus der eigenen Perspektive betrachten könnte? Würde ich mich dann mehr auf mein Körpergefühl konzentrieren? Wären Dinge, die ich an mir verändern wollen würde, automatisch viel mehr auf die eigene Gesundheit bezogen? Würde ich bequeme Kleidung stylischer vorziehen? Würde ich mich schminken lassen? Würde ich Sport treiben und diäten, um Gewicht und Fettpolster zu verlieren oder aus Bewegungsdrang und Appetit auf Selbstgekochtes?
Wie würde sich meine Sexualität gestalten, wenn die einzigen Rückmeldungen zu mir selbst mein eigenes Körpergefühl und die Reaktionen meines*r Partners*in wären? Steht uns das buchstäbliche Selbstbild, die visuelle Wahrnehmung der eigenen Person im Weg oder hilft sie uns bei der Selbstbestätigung?
Ich möchte enden mit einem Zitat aus dem Orbit meines Interviews mit Nina
Dass die Anpassung vor allem weiblicher und weiblich gelesener Körper an Schönheitsideale nicht erst bei operativen Eingriffen beginnt, bezeugen viele Beispiele aus dem Alltag. Eines ist der Umgang mit Körperbehaarung. Darüber habe ich mir in Haarscham – weibliche Körperbehaarung aushalten mal so meine Gedanken gemacht.