Ich fühle mich naiv, weil ich dachte, Trennungen seien punktuelle Ereignisse. Im ersten Moment halten zwei Menschen zueinander und im nächsten Moment lässt einer von beiden los. Dieser Prozess, diesen Punkt zwischen den Momenten habe ich als den Kern einer Trennung verstanden. Dass es damit nicht getan ist, dass man noch lange in Trennung lebt, das habe ich schon gesehen. Aber das habe ich für den Verarbeitungsprozess gehalten.
Was ich jetzt aber spüren kann, ist, dass es sich bei meiner Trennung von Roman nicht um eine geschlagene Wunde handelt, die jetzt einfach mit der Zeit heilt. Denn die Trennung selbst dauert an. Das Erleben ist nicht wie beim schnellen Abreißen eines Pflasters. Es ist mehr wie ein Fädenziehen. Einen nach dem anderen, langsam, schmerzhaft, weil sie schon in mein Fleisch eingewachsen sind. Überwucherte Fäden, die mich an ihn binden und die in einer meiner viel älteren Wunden gesucht werden müssen.
Neue Schnitte, immer wieder frisches Blut werden begleitet von altem Schmerz. Wann sind endlich alle Fäden gefunden und aufgetrennt? Wie lange kann es dauern, die Fäden von vielen Jahren und der größten Verbindlichkeit, die ich bisher kannte, zu trennen? Wann ist die Trennung endlich vollzogen? Wenn mein Name nicht mehr an seiner Tür steht? Wenn wir uns nicht mehr zum Geburtstag gratulieren? Wenn ich akzeptiert habe, was ich nicht verstehen kann (merci @ Ricardia Bramley) und mir deswegen egal geworden ist, wo wir falsch abgebogen sind?
Dauern Trennungen länger als Beziehungen?
Irgendwo in der widersprüchlichen Popkultur der 2010er wurde mir erklärt, dass es doppelt so lange bräuchte wie die Beziehung selbst gedauert hat, um über sie hinwegzukommen.
Ich weise das weit von mir, ich will nicht meine ganzen Dreißiger auf Heilung verwenden müssen. Ich will nicht erst mit Mitte 40 denken, jetzt ist es soweit, das Leben kann weitergehen. Aber wie zieht man gleichzeitig weiter, ohne zu verdrängen, dass man eine Trennung zu verknusen hat?
Ist es normal, dass ich einfach immer wieder innehalten, mich wie auf eine Pausenbank setzen muss, um die Luft zu haben, den nächsten Faden zu ziehen? Und wenn ich die Bänke übersehe oder ignoriere, wird der Schmerz mich irgendwann zum Anhalten zwingen? Oder gewöhne ich mich einfach an ihn und lasse ihn endgültig in mir festwachsen? Ich glaube, genau das habe ich schon einmal getan. Mich daran gewöhnt, einen Verlust zu spüren, dessen Schmerz ein Grundrauschen gebildet hat.
Wie das Geräusch der Autobahn, in deren Nähe ich aufgewachsen bin. An manchen Tagen war es leiser, an manchen lauter. Je nachdem aus welcher Richtung der Wind blies und das Rauschen entweder transportierte oder sich dagegenstemmte. Sodass es sich leichter ignorieren ließ. Genau wie der Verlust meiner Mutter.
Ich kann es mir so gut wie nie leisten, mich auf eine Pausenbank zu setzen zum Fädenziehen. Genauso selten ist es windstill und dadurch möglich, die tatsächliche Lautstärke des Grundrauschens einzuschätzen. Sagen zu können, wie stark es meine Ruhe wirklich stört. Brauche ich noch mehr davon? Innere Ruhestörung, meine ich. Neben dem Rauschen auf den Ohren auch noch ständig Schmerzen beim Fortkommen? Natürlich nicht. Aber wo ist die Grenze erreicht? Was muss passieren, bis ich endlich die Notwendigkeit sehe, mir tatsächlich helfen zu lassen?
Ich bin doch faul, ich will meinen doch-noch-ganz-gut Status nicht verlassen. Auch wenn das kurzsichtig ist. Aber ich will auch nicht ewig oder auch „nur“ 16 Jahre in dieser Trennung stecken bleiben, nur weil das Fädenziehen einfach unangenehm ist. Weil man sie herausoperieren muss. Wie so oft fange ich Dringendes zu spät an. Zu spät, um einfach zu sein, obwohl „einfach“ hier eh falsch ist. Etwas Anstrengendes früher anzufangen, macht es nicht leichter. Man hat nur mehr Zeit zum Verschnaufen. Aber wer will schon das Heilen prokrastinieren. Oder das Leben.