Trigger-Entwarnung: Es geht nur um Menstruationsblut.
Dieser Text erschien auch als Gastartikel auf imgegenteil.de
Früher in der Schule habe ich die Kinder nie verstanden, die sich über einen kleinen Schnitt am Finger gefreut haben. Ihn sich enthusiastisch in den Mund steckten, um an der kleinen Wunde zu saugen, bis das Bluten aufhörte. Es ging um den Geschmack. „Blut“, versicherte man mir, „schmeckt gut.“
Natürlich habe ich’s auch probiert. Man will sich ja nicht lumpen lassen und ängstlicher sein als die Nachbars-Lena. Als der nächste Papierschnitt an meinem Finger aufblühte, zögerte ich nicht lange. Verdutzt stellte ich fest, wie intensiv der Geschmack war. Dafür, dass kaum ein ganzer Tropfen Blut aus meiner winzigen Wunde ausgetreten war. Es schmeckte befremdlich, obwohl es aus meinem eigenen Körper kam. Und es erinnerte mich entfernt an den Geruch meines alten Fahrradschlosses und an meine Handflächen, nachdem ich lange am rostigen Geländer rumgeturnt hatte. Alles keine Dinge, die ich mit Flüssigkeit, Körperlichkeit verband. Und definitiv nichts, was ich mit der Zunge ablecken wollte.
Ich mag kein Blut
Ich war dementsprechend nicht überzeugt und entschied mich, das alles zu meiden. Ich wollte so etwas weder erneut schmecken noch unbedingt riechen. Man kann sich vorstellen, ich hielt nicht viel von Kleingeld oder einem unbeabsichtigten Biss in die Wange. Und beim Zahnarzt waren keine Spritze und kein Bohren so unangenehm, wie das Ende jeder Behandlung: Spülen, Ausspucken, Blut schmecken.
Ein Wanderausflug mit meinem Vater hat mich mal sehr verärgert, weil das ausgelobte Ziel, eine erfrischende Mineralquelle, sich als vor allem eines herausstellte: Sehr eisenhaltiges und salziges Heilwasser an einem heißen Sommertag. Die warme Luft summt, dick und schwer vor Energie, der Wald und die Quelle rauschen im Duett und ich würge ins Grüne.
Was Großmutter noch wusste
Auch als ich noch ein Kind war: Besuch bei meiner Oma bedeutete, Dinge lernen ohne es zu merken. Aber manchmal wurde sie auch deutlich und signalisierte mir, jetzt kommt eine Lektion. Das hier ist wichtig zu können oder zu wissen. Genauso als wir damals in ihrer Küche standen und sie nachdrücklich zu mir sagte: „Blut wäscht man mit kaltem Wasser aus, Kind.“ Ich war irritiert und antwortete, ich hätte nicht vor mir in den Finger zu schneiden. Little did I know.
Heute denke ich mindestens einmal im Monat an ihren Satz. Und frage mich im nächsten Gedanken, ob sie zu schüchtern war mir deutlicher zu sagen, worauf sie hinauswollte. Oder ob sie es tatsächlich als allgemeinen Ratschlag gemeint hat. Wahrscheinlich ein bisschen von beidem und eine ganz große Portion von „mit Kindern redet man nicht über solche Themen“ und ja, die Betonung liegt hier auf dem Tabu. Ein Tabu, unterstrichen durch den Umstand, dass der einzige Periodentipp, den ich jemals von einer Verwandten bekommen habe, sich darauf bezog, wie ich sie (wieder) unsichtbar machen kann.
Nicht, was ein uraltes langerprobtes Hausmittel gegen Krämpfe oder andere Periodenschmerzen ist. Nicht, welche Hygieneartikel man am besten wann und wie benutzt. Nicht, dass man es nicht überspielen muss. Nicht, dass man der Welt nicht suggerieren muss, alles sei wie immer, wenn man gerade gefühlt in der Mitte durchbricht oder einfach alles zu viel wird. Nicht, wie man sich eine Pause einräumt und was dazu der beste Snack ist. Nur, wie man die unliebsamen Blutflecke behandelt. Wahrscheinlich wollte sie mir etwas an die Hand geben, das im für sie unangenehmsten Moment hilft. Gegen eine Scham, die Menstruierende noch viel effektiver lähmt als jeder Krampf. Ich weiß, dass es gut gemeint war.
Alles andere als anständiges Blut
Aber so regelmäßig wie seit ungefähr 1,5 Jahren, habe ich selten an ihre Worte gedacht. Oder an die Heilquelle im Wald. Ich habe mein Menstruationsblut nicht mit dem leuchtenden Rot verknüpft, das eine Verletzung signalisiert und nach Metall riecht. Wie auch? In meiner langjährigen Karriere als Menstruierende habe ich hauptsächlich Tampons und Binden verwendet. Immer beides gleichzeitig, immer in Massen in jeder Tasche, jedem Rucksack und auf jeder Reise. Alles super häufig gewechselt aus Angst vor Auslaufen oder Infektion.
Ich habe mein Blut als Einheit mit dem betrachtet, das es aufsaugte: Müll.
Kaum ein Blick auf das benutzte Produkt, schnell in Klopapier einwickeln, kein Blick zurück in die Toilette, nur hektisches Checken der Innenseite der Jeans auf Flecken im Schritt. Und dank einer nicht immer penetranten, aber doch deutlichen Parfümierung vieler Einmal-Perioden-Hygieneartikel stand auch nie der Geruch im Vordergrund. Keine Erinnerung an Geländer und Kleingeld, nur ein vages Wissen, dass es diesen Ekel gibt. Und durch ihn den Drang alle Spuren zu verwischen.
Period Panties!
Stand heute: Mindestens beim ersten Mal denke ich an meine Oma. Spätestens, wenn meine Hände vor Kälte zu schmerzen anfangen, während in eisigem Wasser verdünntes Blut über meine Finger läuft. Vor circa anderthalb Jahren habe ich mir zum ersten Mal Menstruations-Unterwäsche gekauft. Ein bisschen fluffiger ist der Begriff „Period Panties“, aber beides steht für die weitgehend müllvermeidende und nachhaltige Version eines Produkts zur sogenannten Monatshygiene.
Okay, lassen wir diese möglichst sterile und von Fernsehwerbung zensierte Sprache einmal beiseite, dann sind das: Unterhosen, die nach dem Prinzip „Binde“ funktionieren und sich dabei absolut nicht wie Windeln gestalten. Sie saugen das Periodenblut einfach auf und sehen dabei sogar gut aus, wenn man das möchte. Es gibt sie in verschiedenen Saugstärken, aber vor allem in verschiedensten Farben und Designs. Manche sogar mit Spitze! Andere einfach in sehr bequem. Aber die ganzen werbewirksamen Vorteile für Umwelt und Geldbeutel und Vaginalflora aufzuzählen, möchte ich lieber den Marketing-Menschen der jeweiligen Marken überlassen[1].
Jedenfalls wenn so ein Höschen einmal voll geblutet ist, muss es (Überraschung), ausgewaschen werden, damit es wiederverwendet werden kann. Laut Herstellenden am besten schon vor dem Maschinenwaschgang einmal per Hand unter kaltem Wasser.
Mein Sprung ins…
Und so stand ich da: Vor dem Waschbecken, das volle Höschen in der Hand, meine Oma im Ohr und auch noch ne andere Hose voll. Mir wurde zum ersten Mal richtig klar, dass ich so gar keinen Bezug zu meinem Periodenblut hatte. Diese Aktion war fremd, viel Blut aus Kleidung auszuwaschen war fremd, es zu berühren, die Menge zu sehen, es zu riechen … alles fremd.
Not gonna lie, es hat mich Überwindung gekostet. Er wollte nicht so einfach aufhören, mein Ekel vor einem Teil von mir selbst. Vorsichtig ließ ich den Wasserstrahl auf den Stoff laufen, sehr darauf bedacht nichts „schmutziger“ als nötig zu machen. Die kräftig-rote Farbe auf der weißen Keramik, Schneewittchen-Effekt, plötzlich siehst du dich im Spiegel. Du siehst, wie albern diese ganze Zurückhaltung ist. Vor wem? Demselben Waschbecken, in das du deine Essensreste spuckst?
Die Hemmung fiel nur langsam und bis heute ist der metallische Geruch meines eigenen Bluts nichts Angenehmes für mich. Aber ich habe meine Berührungsängste verloren, dadurch, dass ich mich immer wieder überwinde, den Stoff mit meinen Händen auszuwaschen. Mir genau anzusehen, was passiert. Ab wann das Eiswasser sich nicht mehr färbt, ab wann es meine Finger sind, die vor Kälte rot werden.
Warum kaltes Wasser zum Auswaschen von Blut besser sein soll als warmes, hab ich noch nicht gegooglet. Ich mag den Gedanken, dass es bei kaltem Wasser einfach weniger intensiv metallisch riecht. Sodass es weniger Assoziation mit meinem alten Widerwillen hervorruft. Das sind mir die schmerzenden Hände wert. Der Kompromiss zwischen meiner Grenze und natürlichem Kontakt zu meinem eigenen Körper.
Ich kann Blut nicht gut schmecken und ich kann es nicht gut riechen, aber ich kann es jetzt gut sehen. Mein Periodenblut ist sichtbar, ich verstecke es nicht mehr vor mir selbst. Es leuchtet rot auf weißem Grund. „Blut wäscht man mit kaltem Wasser aus, Kind“, hat sie gesagt. Damit man es sehen kann, sage ich.
[1] Ein Tipp, der keine bezahlte Werbung ist, sondern dem schlicht meine eigenen Trage-Erfahrungen entstammen: Kora Mikino Menstruation Panty. Und ich bin übrigens sehr happy mit dieser Alternative zu Wegwerfartikeln! Es gibt aber bspw. auch Ooia in Kooperation mit der tollen The Female Company. Und deren Website inklusive Magazin ist sowieso unheimlich empfehlenswert!
Falls du mehr zu Themen lesen möchtest, die lange genug Scham und Schweigen ausgelöst haben, schau dir meine Texte zur Sprachlosigkeit über Lust & Erregung oder den Umgang mit weiblicher Körperbehaarung an.