Dieser Text ist für S.
Letzte Nacht habe ich von einem Kuss geträumt. Mein Wortschatz kann diese Fantasie nur unter dem Begriff „Sextraum“ einordnen, weil es sich so anfühlte wie einer. Derselbe Genuss, die plötzliche Klarheit der Szene und vor allem, dass ich mich noch an sie erinnern kann, jetzt da ich wach bin. Das tolle am Sextraum ist, dass er echt ist. Zeigt es doch, wie viel vom physischen Sex eigentlich mental abläuft.
Der Kusstraum bestand aus Erinnerungen daran, wie sich mein Mund bewegte und anfühlt, wenn ich leidenschaftlich knutsche. Die Reaktionen der Lippen dieses fremden Mannes waren vage. Im Traum habe ich es mir mit einer Restzurückhaltung seinerseits erklärt, weil wir in der Öffentlichkeit waren.
Jetzt denke ich, dass mein Hirn sich einfach nicht ausmalen konnte, wie ein Fremder küsst. Sein Geruch, Geschmack und der Tanz seiner Lippen. Seine Eigenheiten eben. Offenbar ist ein Kuss viel individueller als mir bewusst war. Sodass eine Rekonstruktion gebildet aus meinen reichen Knutscherfahrungen tatsächlich nicht ausreicht. By the way, auch so eine Lebensstatistik, die ich gerne wüsste, aber nie wissen werde: Wie oft habe ich bereits geküsst?
Keine Begriffe für meine Erregung
Trotz der unscharfen Vorstellung davon, wie genau der Traum-Mann geküsst hat, weiß ich, dass es ein guter Kuss war. Es war lang und leidenschaftlich, aber nicht hektisch oder unnötig akrobatisch. Es lief sogar alles sehr, sehr langsam ab. Genuss erwuchs sich zu Begierde und in meinem Unterleib begann das Kribbeln. Wieso gibt es eigentlich kein Wort für dieses Gefühl? „Kribbeln“ beschreibt auch so viele andere Wahrnehmungen, aber diese ist so heftig gut, dass ich ihr gerne einen eigenen Begriff widmen würde.
Ich weiß, es gibt den Ausdruck der „Schmetterlinge im Bauch“, aber ich denke nicht, dass das Kribbeln damit gut beschrieben wäre. Denn die Schmetterlinge verbinde ich mit Verliebtheit oder mindestens verknallt sein. Schmetterlinge im Bauch zu haben verstehe ich mehr als Emotion und weniger als tatsächlich körperliche Wahrnehmung. Im körperlichen Sinne beschreiben Schmetterlinge im Bauch maximal die Aufregungsübelkeit, die empfunden wird, wenn es um die fokussierte Person geht.
Diese Empfindung mutet für mich romantisch an. Dabei wurzelt das Kribbeln, das ich spüre, in Lust und Begehren. Ich habe es noch nie romantisch verstanden. Und ich habe es bisher auch immer nur in Situationen verspürt, in denen es heiß herging und nicht emotional. Beim ersten Kuss, ja, aber mit viel mehr Personen, als nur mit denen, in die ich verliebt war. Beim Lesen oder Hören von Worten, ja. Aber keine Liebesschwüre, sondern Fantasien sexueller Natur oder Beschreibungen, was derjenige an mir als besonders geil empfindet. Oder was er mit mir machen möchte und mein Kopfkino, das mir direkt vorführt, wie scharf sich das jetzt anfühlen würde.
Ich habe das Kribbeln empfunden beim Ansehen von Fotos mit eindeutiger Message, beim Zuhören am Telefon, wie er stöhnend zum Höhepunkt kommt. Kurz gesagt, an Romantik dachte ich in diesen Situationen nicht ein einziges Mal.
Keine „Schmetterlinge im Bauch“
Auch die Körperstelle, an der ich das Kribbeln spüre, weist bei mir in eine ziemlich eindeutige Richtung. Wenn ich an dieser Stelle vom „Bauch“ sprechen würde, käme mir das wie eine verschämte und ziemlich unzutreffende Beschreibung für den tatsächlichen Ort vor. Ich bin hier mal so frei und schreibe: Es kribbelt nicht in meinem Bauch (und prickelt nicht in meinem Bauchnabel, Verzeihung), es kribbelt…ja wo eigentlich? In meiner Muschi? Das stimmt so nicht und klingt auch einfach so sehr nach Geschlechtskrankheit, dass ich den Ausweich-Bauch fast wieder verstehen könnte.
Es kribbelt überall im Bereich meines Venushügels und zwischen meinen Hüften. Aber auch weiter unter der Oberfläche. Nicht so weit, dass ich sagen würde, meine Eierstöcke vibrieren vor Wollust… Aber die Empfindung ist auch unter meiner Haut. Es ist fast unmöglich das Gefühl im Nachhinein zu lokalisieren. Auch wenn es offensichtlich (siehe Traum) durch mein Hirn allein ausgelöst wird, ich kann es nicht ohne Weiteres oder sogar willentlich hervorrufen. Wahrscheinlich würde ich dann den ganzen Tag nichts anderes mehr machen, wie diese Laborratten mit dem Orgasmusknopf.
Und das ist es sicherlich auch, was das Kribbeln in meinen Augen so begehrlich macht, seine Unkontrollierbarkeit. Nicht wie ein Orgasmus, den man im besten Fall immer, überall und allein mit sich selbst durch gezielte Techniken hervorrufen und erleben kann (und ja, es gibt leider sehr viele Ausnahmen dazu).
„Der Schauer ist nur von kurzer Dauer“
Es kommt mir trotzdem, genau wie beim Orgasmusreflex, eben wie eine reflexhafte Körperreaktion oder ein Schauer vor. Der berühmte Schauer, der einem den Rücken und die Arme hinunterläuft. Ich empfinde die Vorstellung, dass es sich bei dem Unterleibs-Kribbeln um einen Schauer handelt, der durch die Klitoris läuft, noch am passendsten. Ich stelle mir vor, wie er an der Perle anfängt und dann blitzschnell die Klitorisschenkel herunterrollt. Und mich jegliche Ecken und Winkel spüren lässt, in die die lustvolle Kraft dieses Selfcare Organs hineinreicht.
Was auch immer es ist, das diesen Schauer der Lust in mir auslöst, es passiert unweigerlich allein in meinem Kopf und ich denke, es verlangt ein gewisses Überraschungsmoment. Zumindest kann es nichts sein, womit ich gerechnet habe oder woran ich schon gewöhnt bin, denn dann funktioniert es nicht.
Parallel zur New Relationship Energy kommt es mir vor wie eine Unknown Sexual Tension Energy, die mich für kurze Zeit perplex werden lässt. Dieser Moment dauert genauso lange wie der Klitoris-Schauer anhält. Die Beobachtung erinnert mich an den Lachreflex. Denn auch dort spielt die Unerwartbarkeit, die Überraschung eine tragende Rolle, um den Reflex auszulösen. Ich finde, man kann daher an dieser Stelle Ähnlichkeiten zu der Situation erkennen, in der der Klitoris-Schauer losgetreten wird. Nur dass es hier speziellerweise um lustvolle Erregung geht, weshalb sich die Reaktion meines Körpers auf die Klitoris als lustbringendes Organ konzentriert.
Viel Theorie und „möglicherweise“, um ein Gefühl zu beschreiben, das meiner Meinung nach nur einen distinkteren und sprechenden Namen benötigen würde. Auch „Klitoris-Schauer“ klingt mir noch zu unpassend und „schaurig“ ist generell zu unbehaglich besetzt. Auch was den ersten Teil des Wortes betrifft, sind noch Fragen offen: Ist es wirklich die Klitoris, die ich kribbeln spüre? Wie empfinden Menschen ohne Klitoris ihre unerwartet einsetzende starke Erregung? Verwechseln auch andere sie mit Schmetterlingen in Bauch oder braucht sonst niemand Bezeichnungen, um Verliebtheit und Lust voneinander unterscheiden zu können? Was wäre eine wirklich geeignete Bezeichnung, die vor allem nicht so verschämt und grob die Wahrnehmung von Lust im Bauchraum verortet?
Einsendungen von Ideen gerne an mich. Zwinkersmiley