Die Themenreihe „Wann ist es bei dir soweit?“ mit Charlotte Theile und mir auf Spiegel Online geht in die 3. Runde! Wir thematisieren verschiedene Fragen rund um Kinderwunsch und Mutterschaft, die eins gemeinsam haben: Was passiert abseits vom klassischen Weg?
In meinem dritten Artikel „Co-Parenting: Wie viele Elternteile verträgt eine Familie?“ frage ich mich, ob Elternschaft auch abseits von Blutsverwandtschaft zum Kind funktioniert. Und zudem, ob es nicht mit mehr als nur zwei Caretakern besser gehen könnte? Finanziell? Zeitlich? Nervlich? Antworten hierauf ließ ich mir von einem meiner Tinderdates geben: Felix ist nämlich Elternteil Nummer 3 in seinem alternativen Familien- und Beziehungskonzept – und das schon seit 10 Jahren.
Ob er meine Vorstellung vom „best of borth worlds – Freiheit und Familie gleichzeitig“ als Utopie entlarvt oder bestätigt, liest du auf Spiegel Online im Ressort Leben und hier.
Felix war einer der ersten Menschen, die ich in Berlin – vor allem untenrum – näher kennenlernen durfte. Er superlikte mich auf Tinder, denn in meinem Profil stand, dass ich in offener Beziehung lebe. Genauso wie Felix (Anfang) und seine Frau (Mitte 40): Die beiden sind seit zehn Jahren verheiratet, sie hat eigene Kinder mit in die Ehe gebracht. Auf Online-Dating-Plattformen suchen beide nach nicht-monogamen Menschen. So kam es, dass ich Felix, der eigentlich anders heißt, im Café traf.
An Felix’ Leben faszinierte mich die Kombination aus Freiheit und Familie: In Berlin hat er eine eigene Wohnung, die Unabhängigkeit, das nicht monogame Sexleben und am Stadtrand die geborgene Verbindlichkeit des gemeinsamen Familienheims. Dort vervollständigt der leibliche Vater der Kinder das Familienbild. Auch nach der Trennung von Felix’ heutiger Frau engagiert er sich in der Familie. Heute wohnt er im selben Haus wie die Mutter, Felix und die Kinder.
Auf mich wirkt ihr Modell intimer als klassisches Patchwork, wo die leiblichen Eltern meist räumlich getrennt voneinander die Kinder erziehen. Und wo neue und alte Partner*innen der Eltern eher selten engen Kontakt haben. Funktioniert dieses Co-Parenting zu dritt? Und was ist das überhaupt?
Passt dieses alternative Familienkonzept zu mir?
Eine klare Definition gibt es bislang nicht: Die Co-Elternschaft-Modelle reichen von befreundeten Männern und Frauen, die abseits einer romantischen Beziehung gemeinsam ihren Kinderwunsch erfüllen, über Regenbogenfamilien mit mehr als zwei Elternteilen bis hin zu Mehrfachbeziehungen mit drei oder mehr Erwachsenen, die sich gemeinsam um die Kinder der einzelnen kümmern. Mal scheint eine partnerschaftliche Verbindung zwischen manchen Eltern eine Rolle zu spielen oder gespielt zu haben und mal explizit nicht.
Da ich mir sehr unsicher bin, ob ich überhaupt Kinder möchte und wenn ja , ob die klassische Kernfamilie das Modell der Wahl für meine eigene Zukunft sein soll, fragte ich mich sofort: Könnte Felix’ alternatives Familienkonzept auch etwas für mich sein? Kinder ja, aber eben nicht zwingend mein biologischer Nachwuchs, den ich zudem nicht nur mit einem Partner erziehe. Oder ich bekomme eigene Kinder, teile mir die Verantwortung für sie aber dauerhaft zu dritt oder zu viert. Verstehen sich alle Beteiligten dabei als Teil derselben Familie – oder kommt es dann doch wieder zu Patchwork-Konkurrenz?
Meine beiden Lebensgefährten sind jedenfalls dieser Idee nicht abgeneigt. Einer von ihnen wünscht sich leibliche Kinder und lebt in einer weiteren heterosexuellen Partnerschaft. Dem anderen ist Blutsverwandtschaft weniger wichtig als eine enge emotionale Bindung innerhalb der gewählten Familie. Theoretisch kann ich mich also auf eine harmonische Co-Parenting-Zukunft zubewegen, in der sich bis zu vier Elternteile gemeinsam und möglichst egalitär um ihre Kinder kümmern. Aber wie viel Utopie steckt in dieser Vorstellung?
Die Utopie im Praxistest
Zumindest Felix dämpft meine Hoffnung schnell. Denn im Alltag übernimmt er kaum Verantwortung für die Kinder seiner Frau. Er habe selbst nie einen Kinderwunsch verspürt und halte sich daher meist im Hintergrund. Sprich: Schulbrote schmieren, vom Training abholen – das machen auch in Felix’ Familie die beiden biologischen Elternteile unter sich aus. Allerdings empfinde Felix ein starkes Verantwortungsgefühl für die Bildung und Persönlichkeitsentwicklung der Kinder. Deshalb versuche er vor allem für die Söhne ein Vorbild in Sachen reflektierter Männlichkeit zu sein und beteiligt sich an der Erziehung im Bereich Kunst und Kultur.
Die Kinder würden es genießen, dass mehrere Erwachsene regelmäßig und unmittelbar an ihrem Leben teilhaben, so Felix’ Eindruck. Heute sei er sehr dankbar und glücklich, dass er Anschluss an ein Familienleben knüpfen durfte. Sein Appetit kam sozusagen beim Essen.
Was er mir erzählte, verstehe ich als »jeder Bonus-Elternteil nach seinen Talenten« und bin mir sicher: Hier handelt es sich um eine sehr privilegierte Herangehensweise.
Das ist allerdings nicht immer so, weiß Christine Wimbauer, Soziologie-Professorin an der Berliner Humboldt-Universität. Sie hat 2021 eine umfassende Studie zu »postromantischer Elternschaft« veröffentlicht. Ihre These: In Zukunft werden sich Familienmodelle weiter vervielfältigen. Das könne von Vorteil sein: So sei die Zufriedenheit oft größer, wenn alle Beteiligten sich Sorgearbeit und finanzielle Absicherung teilen. »Prekäre Situationen wie Arbeitslosigkeit oder Erkrankung können gemeinsam aufgefangen werden. Auch die Kinder haben mehr Ansprechpersonen, mehr Vorbilder und können mehr Zeit und Aufmerksamkeit bekommen«, sagte Wimbauer im Interview mit der Website Familyship.
Wie viel geteilte Verantwortung erlaubt das Gesetz?
Klingt nach schlechten Voraussetzungen für alle, die schon an einer Auseinandersetzung zu zweit zu scheitern drohen. Besonders da es laut Wimbauer in Deutschland eine große rechtliche Hürde für die Co-Elternschaft gibt: Offiziell können nämlich nicht mehr als zwei Elternteile pro Kind anerkannt werden. Inwieweit kann ein dritter Elternteil also überhaupt alltägliche Verantwortung übernehmen, mit dem Kind zur Ärztin gehen zum Beispiel und dort auch Entscheidungen treffen?
Felix’ Frau teilt sich seit jeher das Sorgerecht mit dem leiblichen Vater der Kinder. Und Felix sagt, er stecke ständig bei Meinungsverschiedenheiten zurück. Völlig gerechtfertigt sei das. Er sei nun mal nicht 24/7 im Leben der Kids präsent – so involviert ist er in Beruf und Projekten. Ich muss schmunzeln: Auch viele biologische Väter von früher und heute zeichnen sich doch durch Abwesenheit aus beruflichen Gründen aus. Wieso sollte Felix sich also deswegen nicht an Entscheidungsprozessen beteiligen können?
Hauptsächlich, weil er die ersten Lebensjahre der Kinder gänzlich verpasst habe, sagt Felix. Ihm fehlten elementare Erfahrungen frischgebackener Eltern, deshalb wolle er die meisten Entscheidungen lieber den Expert*innen überlassen.
Manchmal führe das zu Konflikten, gesteht Felix. Die Kinder würden sich von ihm auch oft mehr Zeit im gemeinsamen Zuhause wünschen. Und seine Frau hadere manchmal mit der Zweiteilung von Felix’ Lebenswelt. Da helfe aber zum Beispiel ein gemeinsamer Urlaub – auch mal nur allein mit einem der Kinder.
Kompromissbereitschaft, offene Kommunikation und ein Bewusstsein für die Individualität der eigenen Familienkonstellation – das sind also in Felix’ Familie die Schlüssel zum Co-Parenting-Glück. Aber ist seine Version von familiärer Gemeinschaft auch seine Empfehlung an mich? Da ich noch hadere, ob ich einmal Kinder bekomme, würde ich so vielleicht herausfinden, ob ich auch selbst biologischen Nachwuchs möchte, meint Felix. Oder ob mein Wunsch nach Kindern und Familie sich durch Co-Parenting bereits erfüllt – so wie es ihm erging.
Ich finde, das alles klingt immer noch gut – wenn auch nach »Familienverantwortung light«. Ich bezweifle daher, dass ich auf diese Weise einen realistischen Vorgeschmack auf eigene Kinder erhalte. Besonders, da das Kinderkriegen für mich als Frau andere Konsequenzen haben dürfte als für Felix als Mann.
Sind die Vorteile von Co-Parenting mit einer Mutter und zwei Vätern für die Mutter überhaupt spürbar? Hängt meine persönliche Freiheit nicht viel stärker davon ab, ob ich biologische Mutter oder Bonus-Mutter werde?
Um mich einer Antwort auf diese Frage zu nähern, habe ich mit zwei Frauen gesprochen, die eines gemeinsam haben: Die Erfahrung, ungeplant schwanger zu sein. Die Entscheidung für oder gegen ein eigenes Kind haben sie allerdings sehr gegensätzlich getroffen. Was sie mir erzählt haben, berichte ich im nächsten Text.