Achtung, Achtung, dieser Text startet mit Konsens! Möchtest du gerne wissen, was ich mir zum Thema Kommunikation beim Sex überlegt habe? Ja? Wunderbar, dann lies gerne einfach weiter.
Und? War das jetzt sehr unangenehm? Ich habe sichergestellt, dass dieser einseitige Austausch von Gedanken hier einvernehmlich verläuft. Ich finde, so schwer war es nicht. Wieso stellt das Abfragen von Freiwilligkeit und enthusiastischer Zustimmung uns beim Paarsex bloß immer vor so eine schwer überwindbare Hürde? Mittlerweile sind wir es doch fast alle gewohnt, mindestens drei Mal am Tag ungesehen einer Cookie-Richtline unsere Zustimmung zu geben.
Sehr häufig wird für uns entscheiden mit welcher Arbeitsaufgabe, mit welchen Mitspielenden oder zu welchem Preis wir uns mit etwas involvieren. So häufig, dass es allgemein als Wertschätzung betrachtet wird, wenn jemand sich die Zeit nimmt, uns explizit um Zustimmung oder Absage zu bitten.
Die Forderung nach Mitspracherecht begegnet uns in beinahe jedem Kontext. Und in ebenso vielen Kontexten bedeuten Absagen für die eine Seite zwar eine Ablehnung, aber für die andere Seite Selbstbestimmung und Schutz. Konsens – das ist, wenn alle Beteiligten die Rahmenbedingungen akzeptieren, in denen sie interagieren. Konsens ist das Szenario, das die unverhandelbare Basis jeglicher Intimität darstellen muss. Wenn nicht, legt sich der Schalter um von Intimität zu Übergriff.
Kommunikation und Konsens – K.O. Runde der Lust?!
Aber Konsens ist nicht immer sofort hergestellt. Allen kann einleuchten, dass unterschiedliche Menschen mit unterschiedlichen Interessen nur durch Kommunikation und vielleicht Verhandlung einen Kompromiss finden, zu dem sie ihre Zustimmung geben.
Dieses Szenario weckt Assoziationen wie „vernünftig“, „rational“ und „arbeitsintensiv“ in mir. Aber auf keinen Fall Zuschreibungen wie „sexy“, „flirty“, „leidenschaftlich“. Es ist sogar das Gegenteil von „verführerisch“. Dabei sind das doch die Attribute, die wir unserem Sex zuordnen wollen.
Wie kommen dann Sex und Konsens jemals gut zusammen? Nein, letztlich gibt es keinen Zaubertrick, durch den du plötzlich die Wünsche und Gedanken von den Augen deines Gegenübers ablesen kannst. Und selbst das wäre eine Form der einzigen Medizin, die an dieser Stelle weiterhelfen kann: Erfolgreiche Kommunikation.
Wir müssen reden. Beim Sex. Und davor und danach und vor allem darüber. Und auch wenn Kommunikation durchaus non-verbale Signale wie genussvolles Stöhnen, ein sich versteifender Körper oder irritierte Mimik umfassen kann, sind klare Worte immer noch der unmissverständlichste Weg. Gesetzt den Fall, wir haben Begriffe zur Verfügung, um Körperstellen, Gefühle oder Praktiken, um die es uns geht, zu benennen. Diese häufigen Lücken im Vokabular sind jedoch eine eigene Baustelle.
Also wir müssen kommunizieren. Sowohl unsere Wünsche und Bedürfnisse als auch unsere Grenzen. Und wir müssen antizipieren, dass wir die Bedürfnisse, Vorlieben und Grenzen unserer Intimpartner*innen nicht kennen, solange sie uns nicht von diesen erläutert wurden. Daraus folgt: Wollen wir vermeiden, besagte Grenzen zu übertreten, müssen wir vor jeglichem Schritt, den wir tun wollen, fragen, ob wir ihn unternehmen dürfen. Ein konkretes Beispiel dafür ist: Darf ich dich jetzt küssen?
Anstatt des häufigen Schmeckens der Luft, ob die Sterne und Sinne gerade günstig danach stehen. Wenn es um Konsens zu Intimität und Sexualität geht, sollte es nicht „read the room“, sondern „ASK the room“ heißen.
Aber wieso eigentlich so vorsichtig? Es könnte doch auch einfach nur versucht werden, die andere Person positiv mit einem Kuss zu überraschen. Tja, was nett gemeint ist, kommt am Ende möglicherweise trotzdem kacke. Und es geht hier auch nicht darum, ob man dem*der Partner*in auf Verdacht einen Kaffee mitbringt. Im Gegensatz zu abgestandenem Kaffee ist ein unwillkommener Vorstoß in die Intimsphäre wirklich unerfreulich.
Falls dieser Vorstoß nämlich tiefer unter die Gürtellinie greifen sollte als ein Kuss, kann das sogar sehr weitreichende negative Folgen haben. Ganz zu schweigen von der unangenehmsten aller Situationen für Empfänger*innen ungewollter sexuell-taktiler Avancen: Durch Scham oder Angst nicht in der Lage zu sein, die Annäherung aufzuhalten.
Was für eine Art von Sex entsteht möglicherweise aus dieser Zwickmühle? Entgegen der Darstellung vieler alter „Romantikstreifen“ kein enthusiastisch-freiwilliger. Und Sex, der nicht freiwillig stattfindet, hat sogar einen eigenen Begriff: Vergewaltigung. Kaum zu glauben, dass in schwarz-weiß Filmen jeglichen Genres „Küss sie so brutal und lange, bis sie aufhört sich zu wehren! Dann schmelzen die Herzen!“ mal eine allgemein beliebte und sinnig erscheinende Regieanweisung war.
Stichwort „Romantik“
Wo denn da noch die Romantik bleibt, werde ich wehleidig gefragt. Wo sei denn da noch Platz für den Flirt? Es fehlte doch völlig die Möglichkeit, das Kribbeln der Ungewissheit darüber zu spüren, was da jetzt zwischen den Beteiligten laufen könnte oder nicht, wenn wir uns andauernd alles sagen. Ständig um Erlaubnis fragen! Wo bleibt die Spontaneität?
Auf all diese Luxusprobleme – und nichts anderes als Gewohnheit und bequemes entitlement sprechen gegen offene Kommunikation während Flirt und Sex – muss man eigentlich keine ernsthaft erklärende Antwort geben.
Denn sie enttarnen sich meistens schon durch den leicht quengeligen Tonfall, in dem diese Fragen oft vorgebracht werden, als trotzige Befindlichkeiten anstatt handfester Sorgen und Gegenargumente. Was kann auch realistisch dem Wunsch nach allgemein freiwilliger und enthusiastischer Beteiligung an Sex entgegengehalten werden?
„Aber ich bekomme vielleicht ein „nein“ als Antwort, wenn ich frage, bevor ich handle.“… Und müsste damit der Tatsache ins Auge sehen, dass ich mich bewusst über den Willen meines Gegenübers hinwegsetze, wenn ich meinem Impuls folgend fortfahre? Ich möchte keinem von uns absprechen, dass diese Einsicht nicht besonders leicht verdaulich ist.
Auch wenn ich dem Philosophen Alain de Botton gerne zustimme, wenn er sagt, dass es immer genau dort interessant würde, wo Menschen den Verlust der Romantik beklagten. Auch wenn ich denke, dass die aktuelle Auffassung von Romantik mehr mit Konsum und sehr steifen Rollenbildern zu tun hat als mit wohltuender Intimität. Auch wenn all das zutrifft, möchte ich den Menschen gönnen, an ihrer romantischen Idee festhalten zu wollen.
Aber ich möchte vorschlagen, dass wir die willkürlich festgesetzte Gleichung „wortloses Verständnis und von den Augen ablesen bedeutet ideal romantisch“ umbesetzen.
Braucht es brennende Leidenschaft für erfüllenden Sex?
Ich möchte, dass wir erkennen, wie romantisch, da wertschätzend, die Geste ist, unseren Partner*innen die Freiheit zu gewähren, über unseren ersten Kuss zu entscheiden. Würde es nicht schmeicheln, wenn das Geständnis „Ich würde dich jetzt so gerne küssen“ die schmachtenden Lippen des Gegenübers verlässt? Begleitet von einem intensiven Blick? Vielleicht bin ich damit allein, aber mich würde das ziemlich sicher anmachen, wenn ich die Person ebenfalls attraktiv finde (Ich glaube fest, dass ich damit nicht allein bin).
Und was den offenbar unverzichtbaren Kribbel-Flirt-Faktor der Ungewissheit angeht – ist das wirklich das einzige Mittel, um Leidenschaft füreinander zu entfachen? Und selbst wenn es das sein sollte, benötigen wir die heißeste, brennende Leidenschaft überhaupt für guten Sex? Bevor du „Na klar“ schnaubst, denk mal lieber an den Sex, den Leute in einer langjährigen Beziehung haben: Selten so brennend passioniert wie einst, häufig nicht minder erfüllend oder befriedigend.
Wir können nicht nur dann erfüllende körperlich-intime Erfahrungen machen, wenn wir frisch verliebt sind. In diesen Momenten geht es oft nur besonders leicht. Ich befand mich selbst kürzlich in einer Situation, in der ich buchstäblich am eigenen Leib erfahren habe, wie sich Sex ohne Leidenschaft anfühlt. Obwohl mein Sexpartner und ich füreinander einen One Night Stand darstellten (landläufig häufig mit Sex aus Leidenschaft konnotiert).
Die Lage war recht simpel und stellte uns trotzdem vor eine Herausforderung. Das Interesse unser Date in einem Schäferstündchen gipfeln zu lassen, hatten wir gegenseitig bereits festgestellt. Für mich stand die Sache so: Ich empfand Lust auf körperliche Nähe zu einem neuen Menschen und war zusätzlich ziemlich horny. Aber ich hatte zwischen ihm und mir über den ganzen schönen Abend verteilt keinen Flirt gespürt. Stattdessen eher eine generelle Sympathie, etwas Kumpelhaftes. Nicht unbedingt die Pole Position, um sich wild die Kleider vom Leib zu reißen, sobald die Tür hinter uns ins Schloss fällt.
Worte finden, Schweigen überwinden
Trotzdem begleitete ich ihn in seine Wohnung und in sein Schlafzimmer. Und als wir dann awkward af nebeneinander auf seinem Bett saßen und auf unsere jeweiligen Hände starrten, wurde es mir bewusst. Ich dachte mir: „Wenn du Sex willst, dann kommst du nicht darum herum, das laut zu sagen. Und ob er eigentlich auch immer noch Sex will, das musst du ihn vorher fragen.“ Denn weder unser schüchternes, unleidenschaftliches Verhalten gab gegenseitige Anhaltspunkte noch das nicht existente Knistern in der Luft.
Bevor ich mir selbst die Frage stellen konnte, ob ich wirklich selbstbewusst genug bin, Sex ohne Leidenschaft mit einem Fremden zu haben, hatte ich den Entschluss gefasst. Den Entschluss diese seltsame Stimmung als Chance zu nutzen, um etwas für mich Neues auszutesten: Sex einmal von vorne bis hinten durchzukommunizieren (das Wort ist genauso herrlich sperrig wie sich das Vorhaben in dem Moment anfühlte).
Also begann ich damit, schamglühend das Eis zwischen uns dadurch zu schmelzen, dass ich ihm erzählte, wie sich die Situation gerade für mich anfühlte. Und Überraschung, er stimmte mir grinsend zu: Schon seltsam gerade. Aber irgendwie auch ganz entspannt, so ohne Erwartung.
Und weil Reden nicht nur ein Schutzschild gegen überfordertes sondern auch überforderndes Schweigen sein kann, fing ich an zu erzählen, was ich im Bett mochte. Wie ich gerne wo berührt werde, um in Stimmung zu kommen. Ich beschrieb, wie wichtig mir Langsamkeit und Küssen und bewusste Wahrnehmung vor allem bei einem ersten Mal sind. Mein Date hörte aufmerksam zu und als ich fertig war, startete er einen ähnlichen Versuch sich mir mitzuteilen.
Wenn er ins Stocken geriet, stellte ich Fragen. Magst du überhaupt Oralsex geben? Oder würdest du lieber deine Hände einsetzen? Kannst du problemlos Kondome benutzen oder wollen wir lieber auf Penetration verzichten? Und wie fühlt es sich eigentlich an, wenn…
Der Appetit kam beim Bestellen
Wir redeten und redeten und redeten uns nicht in Rage, sondern in Lust. In die Lust darauf, aneinander umzusetzen, was wir uns gegenseitig empfohlen hatten. Natürlich fühlte sich das ungewohnt an und daher auch ein wenig ungelenk. Aber die fehlende Geschmeidigkeit dieser Situation kommt sicherlich mit der Wiederholung, Übung und Gewöhnung.
Mir jedenfalls hat diese Nacht und der Sex, der mit meinem Date stattfand, sehr gut gefallen. Wir konnten gar nicht anders, als auf unsere Kosten zu kommen. Hatten wir uns doch gegenseitig glasklar erklärt, beschrieben und gezeigt, was uns gefällt. Wie wir uns gerne selbst berühren. Was wir an Paarsex in Abgrenzung zum Solosex so sehr schätzen.
Zu keinem Zeitpunkt in dieser Nacht ist etwas passiert, das bei mir eine Grenze überschritten hätte. Und das, obwohl es sich dabei um ein wie üblich tapsiges erstes Mal miteinander handelte!
Was für ein Gefühl das war! Die Sicherheit zu spüren, dass tatsächlich ich die Kontrolle darüber innehabe, was ein anderer Mensch mit meinem Körper anstellt. Dass er ihn nicht auf die eine oder andere grenzwertige Art und Weise benutzt, um sich an mir zu befriedigen. Dass ich mich nicht erst gegen etwas wehren muss, dass ich nicht will, sondern dass ich schon das Angebot dazu ablehnen kann. Ich glaube, so muss sich sexuelle Selbstbestimmung im Team anfühlen. Nach Aufrichtigkeit, nach Selbstermächtigung und vor allem nach Respekt.
Ich geb’s zu, einen smoothen Einstieg in Kommunikation über Vorlieben, Grenzen, Bedürfnisse etc. beim Sex mit einer Partnerperson zu finden, ist nicht immer leicht. Vor allem, wenn man selbst noch herausfinden muss, was man eigentlich im Bett so alles mag. Ein Tipp von mir: Geh es spielerisch an! Werde kreativ und erfinde ein Fragespiel mit kleinen „Gewinnen“, wenn die Beteiligten etwas korrekt über die gegenseitigen Vorlieben erraten.
Oder bau direkt kleine praktische Aktivitäten zum Austesten von neuen, aufregenden, sexy oder intimen Sachen ein. Und wenn du selbst nicht so gerne Spiele erfindest, dann haben das andere Expert*innen sogar schon vorbereitet! Hier ist ein wenig ubeauftragte und nicht bezahlte Werbung für „Doch! Doch! Doch!“ von der Sexualtherapeutin und Sexologin Ann Marlene Henning. Auch der Seuxalpädagoge und Paartherapeut Carsten Müller hat so ein Spiel kreiert (das kenne ich selbst allerdings noch nicht): „Talk About“
Ich wünsche sehr viel Spaß beim Ausprobieren!